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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Shakespeare - Bacon - Frage

Ein größeres Lob konnte wohl niemand einem Dichter zollen, und Merch
war kein unbekannter Mann, sondern war Professor der Redekunst an der
Oxforder Hochschule, Auch die Grabschrift:


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las jedermann in der Kirche zu Stratford, und niemand erhob Einspruch
dagegen.

Wie aber verfällt man gerade auf Bacon? Einzig und allein deshalb
ist man auf ihn gekommen, weil man annahm, daß, um diese Stücke zu
schreiben, vor allem eine große Gelehrsamkeit nötig gewesen sei, das bißchen
dichterische Begabung, das der Verfasser besitzen mußte, betrachtet man als
Nebensache oder teilt es ohne weiteres Bacon zu.

Bacon war ein gelehrter Mann, dies braucht nicht erst bewiesen zu
werden. Wie aber stand es mit seiner Dichtkunst? Der berühmte Philosoph
und Staatsmann macht nach seinen prosaischen Schriften einen recht schnl-
fuchsigen Eindruck. Der berühmte Döllinger hatte jedenfalls auch diesen Ein¬
druck gewonnen, da er erklärte: wer behaupte, Bneon habe die Shakespearischen
Dramen geschrieben, könne niemals Baeons Werke gelesen haben. Auch Kuno
Fischer hebt hervor, Bacon sei keine eigentliche Dichternatur gewesen und habe
sich "Poesie und Kunst ohne schaffende Phantasie und Gemütsbewegung" ge¬
dacht. Noch stärker drückt sich ein jüngerer Philosoph, Heußler, ans. Er
sagt von Bacon: "Wenn dieser Demokrat und Pedant der Methode, dieser
astronomische Verächter der Erde, dieser alles Wunderbare samt den Zwecke"
aus der Wissenschaft eliminirende, die Erscheinungen sezireude, die äußere Ge¬
stalt der Natur geringschätzende Geist nicht Prosa zu nennen ist, dann herrschen
von der Poesie recht sonderbare Vorstellungen." Auch der beste Kenner
Baeons in England, Spedding, ist ein entschiedner Gegner der Baeonhhpothese-
Das ganze Wesen Baeons spricht also entschieden gegen seine dichterische Be¬
gabung. Doch da wir noch Dichtungen von ihm besitzen, läßt sich die Frag^
weiter verfolgen. 1624 übertrug er sieben Psalmen (1, 12, 90, 104, 126,
137, t4!y in englische Verse. Diese Übersetzung ist das Werk eines Dichters
nicht ersten, sondern vielleicht vierten, fünften Ranges. Die Verse sind schlecht
und schleppend, der Ausdruck undichterisch, voll von prosaischen Wendungen,
von Flickwörtern und Flicksntzen, Zwei kleine Gedichte, die ihm zugeschrieben
werden, sind mich nnr Nachahmungen klassischer Gedichte und ohne dichterischen
Wert. Sollte aber jemand an der Psalmendichtung noch nicht genug haben,
der lese Bnevns Maskenspiele, um sich von seiner Unfähigkeit, Stücke wie die
Shakespearischen zu dichten, zu überzeuge". Diese Maskenspiele, wie die
(üonnzrknke! ol l'wu-un', bestehen überhaupt uur aus einzelnen geschraubten
Reden, sind ohne Handlung und ohne eigentliche sachliche Verbindung. Kann
mau sich etwas weniger Dichterisches als die Reden, etwas Alberneres als die


Die Shakespeare - Bacon - Frage

Ein größeres Lob konnte wohl niemand einem Dichter zollen, und Merch
war kein unbekannter Mann, sondern war Professor der Redekunst an der
Oxforder Hochschule, Auch die Grabschrift:


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las jedermann in der Kirche zu Stratford, und niemand erhob Einspruch
dagegen.

Wie aber verfällt man gerade auf Bacon? Einzig und allein deshalb
ist man auf ihn gekommen, weil man annahm, daß, um diese Stücke zu
schreiben, vor allem eine große Gelehrsamkeit nötig gewesen sei, das bißchen
dichterische Begabung, das der Verfasser besitzen mußte, betrachtet man als
Nebensache oder teilt es ohne weiteres Bacon zu.

Bacon war ein gelehrter Mann, dies braucht nicht erst bewiesen zu
werden. Wie aber stand es mit seiner Dichtkunst? Der berühmte Philosoph
und Staatsmann macht nach seinen prosaischen Schriften einen recht schnl-
fuchsigen Eindruck. Der berühmte Döllinger hatte jedenfalls auch diesen Ein¬
druck gewonnen, da er erklärte: wer behaupte, Bneon habe die Shakespearischen
Dramen geschrieben, könne niemals Baeons Werke gelesen haben. Auch Kuno
Fischer hebt hervor, Bacon sei keine eigentliche Dichternatur gewesen und habe
sich „Poesie und Kunst ohne schaffende Phantasie und Gemütsbewegung" ge¬
dacht. Noch stärker drückt sich ein jüngerer Philosoph, Heußler, ans. Er
sagt von Bacon: „Wenn dieser Demokrat und Pedant der Methode, dieser
astronomische Verächter der Erde, dieser alles Wunderbare samt den Zwecke»
aus der Wissenschaft eliminirende, die Erscheinungen sezireude, die äußere Ge¬
stalt der Natur geringschätzende Geist nicht Prosa zu nennen ist, dann herrschen
von der Poesie recht sonderbare Vorstellungen." Auch der beste Kenner
Baeons in England, Spedding, ist ein entschiedner Gegner der Baeonhhpothese-
Das ganze Wesen Baeons spricht also entschieden gegen seine dichterische Be¬
gabung. Doch da wir noch Dichtungen von ihm besitzen, läßt sich die Frag^
weiter verfolgen. 1624 übertrug er sieben Psalmen (1, 12, 90, 104, 126,
137, t4!y in englische Verse. Diese Übersetzung ist das Werk eines Dichters
nicht ersten, sondern vielleicht vierten, fünften Ranges. Die Verse sind schlecht
und schleppend, der Ausdruck undichterisch, voll von prosaischen Wendungen,
von Flickwörtern und Flicksntzen, Zwei kleine Gedichte, die ihm zugeschrieben
werden, sind mich nnr Nachahmungen klassischer Gedichte und ohne dichterischen
Wert. Sollte aber jemand an der Psalmendichtung noch nicht genug haben,
der lese Bnevns Maskenspiele, um sich von seiner Unfähigkeit, Stücke wie die
Shakespearischen zu dichten, zu überzeuge». Diese Maskenspiele, wie die
(üonnzrknke! ol l'wu-un', bestehen überhaupt uur aus einzelnen geschraubten
Reden, sind ohne Handlung und ohne eigentliche sachliche Verbindung. Kann
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[0244] Die Shakespeare - Bacon - Frage Ein größeres Lob konnte wohl niemand einem Dichter zollen, und Merch war kein unbekannter Mann, sondern war Professor der Redekunst an der Oxforder Hochschule, Auch die Grabschrift: .liMivio I^IMm, Aönio LoorA-loin, >>rw Agronom ?srr» tsxii, xoMlns msskst, 01>my»s dulzsi las jedermann in der Kirche zu Stratford, und niemand erhob Einspruch dagegen. Wie aber verfällt man gerade auf Bacon? Einzig und allein deshalb ist man auf ihn gekommen, weil man annahm, daß, um diese Stücke zu schreiben, vor allem eine große Gelehrsamkeit nötig gewesen sei, das bißchen dichterische Begabung, das der Verfasser besitzen mußte, betrachtet man als Nebensache oder teilt es ohne weiteres Bacon zu. Bacon war ein gelehrter Mann, dies braucht nicht erst bewiesen zu werden. Wie aber stand es mit seiner Dichtkunst? Der berühmte Philosoph und Staatsmann macht nach seinen prosaischen Schriften einen recht schnl- fuchsigen Eindruck. Der berühmte Döllinger hatte jedenfalls auch diesen Ein¬ druck gewonnen, da er erklärte: wer behaupte, Bneon habe die Shakespearischen Dramen geschrieben, könne niemals Baeons Werke gelesen haben. Auch Kuno Fischer hebt hervor, Bacon sei keine eigentliche Dichternatur gewesen und habe sich „Poesie und Kunst ohne schaffende Phantasie und Gemütsbewegung" ge¬ dacht. Noch stärker drückt sich ein jüngerer Philosoph, Heußler, ans. Er sagt von Bacon: „Wenn dieser Demokrat und Pedant der Methode, dieser astronomische Verächter der Erde, dieser alles Wunderbare samt den Zwecke» aus der Wissenschaft eliminirende, die Erscheinungen sezireude, die äußere Ge¬ stalt der Natur geringschätzende Geist nicht Prosa zu nennen ist, dann herrschen von der Poesie recht sonderbare Vorstellungen." Auch der beste Kenner Baeons in England, Spedding, ist ein entschiedner Gegner der Baeonhhpothese- Das ganze Wesen Baeons spricht also entschieden gegen seine dichterische Be¬ gabung. Doch da wir noch Dichtungen von ihm besitzen, läßt sich die Frag^ weiter verfolgen. 1624 übertrug er sieben Psalmen (1, 12, 90, 104, 126, 137, t4!y in englische Verse. Diese Übersetzung ist das Werk eines Dichters nicht ersten, sondern vielleicht vierten, fünften Ranges. Die Verse sind schlecht und schleppend, der Ausdruck undichterisch, voll von prosaischen Wendungen, von Flickwörtern und Flicksntzen, Zwei kleine Gedichte, die ihm zugeschrieben werden, sind mich nnr Nachahmungen klassischer Gedichte und ohne dichterischen Wert. Sollte aber jemand an der Psalmendichtung noch nicht genug haben, der lese Bnevns Maskenspiele, um sich von seiner Unfähigkeit, Stücke wie die Shakespearischen zu dichten, zu überzeuge». Diese Maskenspiele, wie die (üonnzrknke! ol l'wu-un', bestehen überhaupt uur aus einzelnen geschraubten Reden, sind ohne Handlung und ohne eigentliche sachliche Verbindung. Kann mau sich etwas weniger Dichterisches als die Reden, etwas Alberneres als die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/244>, abgerufen am 01.07.2024.