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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Shakespeare - Bacon - Frage

Wissen, irgendwie mit Recht behaupten läßt, Shakespeare sei zu ungebildet (denn
gelehrt war, wie wir sahen, der Dichter der Dramen nicht) oder sittlich zu
gemein gewesen, um die ihm zugeschriebnen Werke verfaßt haben zu können.

Es bleibt aber noch eine Frage übrig: Wie verhielten sich denn seine Zeit¬
genossen ihm gegenüber? erkannten sie ihn als Dichter an oder hielten sie ihn
für einen Betrüger? Die erste Erwähnung Shakespeares in einem Litteratur¬
denkmal ist die von Greene in einer Flugschrift aus dem Jahre 1592. Hier
wird ihm allerdings vorgeworfen, er schmücke sich mit fremden Federn. Aber
Greene war offenbar neidisch auf den Erfolg des jungen Dichters, und darum
ist sein Urteil nicht ohne Voreingenommenheit. Immerhin laßt sich der Vor¬
wurf, Shakespeare habe in seinen Erstlingswerken auf dramatischem Gebiete
sich sehr stark um vorliegende Stücke gehalten, diese vielleicht nur überarbeitet,
nicht beseitigen. Doch brauchen wir dies auch gar nicht zu thun. Shakespeare
wurde durchaus nicht gleich als Meister geboren, er mußte so gut wie andre
erst seine Lehrjahre durchmachen, um Meister werden zu können. Wie Lessing
und andre unsrer große" Dichter zuerst fremde Werke umarbeitete" und nach¬
ahmten, ebenso sind Shakespeares Heinrich VI., Titus Andronicus, Die Komödie
der Irrungen, Die bezähmte Widerspenstige Umarbeitungen und Nachahmungen
"vrhandner Stücke. So wenig aber wie unsre großen Schauspieldichter, weil
sie aufmigs nachahmten, ihr ganzes Leben Nachahmer geblieben sind, ebenso
wenig ist es berechtigt, dies für Shakespeare anzunehmen. Bis zu Shakespeares
Tod und dem Erscheine" der Folioausgabe seiner Dramen haben wir mehr als
dreißig Erwähnungen des Dichters bei Zeitgenosse,,. Alle stimmen darin
überein, daß er ein bedeutender Schauspieldichter gewesen sei, und keiner deutet
"u, daß vielleicht die unter seinem Namen verbreiteten Stücke von einem andern
gedichtet wären. Vor allem ist das Zeugnis von Merch (15W) nicht umzu-
stoßen, der in seinem Schatzhans der Weisheit (?-MMs 'kainen) sagt: "Wie
'"an glaubte, die Seele des Euphvrbus lebe im Pythagoras fort, so lebt die
süße witzige Seele Ovids in dein süßredenden houigzuugigen Shakespeare fort;
^es beweisen seine Venus und Adonis, seine Lucretia, seine zuckersüßen (Lugreä)
Sonette, die im Freundeskreise bekannt sind. Wie Plautus und Seneca als
^e besten Lustspiel- und Tranerspieldichter nnter den Lateinern gelten, so ist
Shakespeare unter den Engländern der ausgezeichnetste auf beiden Gebieten:
sür das Lustspiel beweisen dies seine Edelleute von Verona, seine Komödie der
Errungen, Die Verlorne Liebesmüh, Die gewonnene Liebesmüh, Der Sommer-
'wchtstramn und Der Kaufmann von Venedig; für das Trauerspiel Richard II.,
Richard III., Heinrich IV., König Johann, Titus Andronicus und Romeo und
Tukiu. Wie Epins Stolo sagte, die Musen würden, wenn sie sich des Lateins
^dienen wollten, in der Zunge des Plautus sprechen, so sage ich: die Musen
Werde" Shakespeares feine Sprechweise gebrauchen, wenn sie Englisch reden
wollen."


Die Shakespeare - Bacon - Frage

Wissen, irgendwie mit Recht behaupten läßt, Shakespeare sei zu ungebildet (denn
gelehrt war, wie wir sahen, der Dichter der Dramen nicht) oder sittlich zu
gemein gewesen, um die ihm zugeschriebnen Werke verfaßt haben zu können.

Es bleibt aber noch eine Frage übrig: Wie verhielten sich denn seine Zeit¬
genossen ihm gegenüber? erkannten sie ihn als Dichter an oder hielten sie ihn
für einen Betrüger? Die erste Erwähnung Shakespeares in einem Litteratur¬
denkmal ist die von Greene in einer Flugschrift aus dem Jahre 1592. Hier
wird ihm allerdings vorgeworfen, er schmücke sich mit fremden Federn. Aber
Greene war offenbar neidisch auf den Erfolg des jungen Dichters, und darum
ist sein Urteil nicht ohne Voreingenommenheit. Immerhin laßt sich der Vor¬
wurf, Shakespeare habe in seinen Erstlingswerken auf dramatischem Gebiete
sich sehr stark um vorliegende Stücke gehalten, diese vielleicht nur überarbeitet,
nicht beseitigen. Doch brauchen wir dies auch gar nicht zu thun. Shakespeare
wurde durchaus nicht gleich als Meister geboren, er mußte so gut wie andre
erst seine Lehrjahre durchmachen, um Meister werden zu können. Wie Lessing
und andre unsrer große» Dichter zuerst fremde Werke umarbeitete» und nach¬
ahmten, ebenso sind Shakespeares Heinrich VI., Titus Andronicus, Die Komödie
der Irrungen, Die bezähmte Widerspenstige Umarbeitungen und Nachahmungen
"vrhandner Stücke. So wenig aber wie unsre großen Schauspieldichter, weil
sie aufmigs nachahmten, ihr ganzes Leben Nachahmer geblieben sind, ebenso
wenig ist es berechtigt, dies für Shakespeare anzunehmen. Bis zu Shakespeares
Tod und dem Erscheine» der Folioausgabe seiner Dramen haben wir mehr als
dreißig Erwähnungen des Dichters bei Zeitgenosse,,. Alle stimmen darin
überein, daß er ein bedeutender Schauspieldichter gewesen sei, und keiner deutet
"u, daß vielleicht die unter seinem Namen verbreiteten Stücke von einem andern
gedichtet wären. Vor allem ist das Zeugnis von Merch (15W) nicht umzu-
stoßen, der in seinem Schatzhans der Weisheit (?-MMs 'kainen) sagt: „Wie
'"an glaubte, die Seele des Euphvrbus lebe im Pythagoras fort, so lebt die
süße witzige Seele Ovids in dein süßredenden houigzuugigen Shakespeare fort;
^es beweisen seine Venus und Adonis, seine Lucretia, seine zuckersüßen (Lugreä)
Sonette, die im Freundeskreise bekannt sind. Wie Plautus und Seneca als
^e besten Lustspiel- und Tranerspieldichter nnter den Lateinern gelten, so ist
Shakespeare unter den Engländern der ausgezeichnetste auf beiden Gebieten:
sür das Lustspiel beweisen dies seine Edelleute von Verona, seine Komödie der
Errungen, Die Verlorne Liebesmüh, Die gewonnene Liebesmüh, Der Sommer-
'wchtstramn und Der Kaufmann von Venedig; für das Trauerspiel Richard II.,
Richard III., Heinrich IV., König Johann, Titus Andronicus und Romeo und
Tukiu. Wie Epins Stolo sagte, die Musen würden, wenn sie sich des Lateins
^dienen wollten, in der Zunge des Plautus sprechen, so sage ich: die Musen
Werde» Shakespeares feine Sprechweise gebrauchen, wenn sie Englisch reden
wollen."


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[0243] Die Shakespeare - Bacon - Frage Wissen, irgendwie mit Recht behaupten läßt, Shakespeare sei zu ungebildet (denn gelehrt war, wie wir sahen, der Dichter der Dramen nicht) oder sittlich zu gemein gewesen, um die ihm zugeschriebnen Werke verfaßt haben zu können. Es bleibt aber noch eine Frage übrig: Wie verhielten sich denn seine Zeit¬ genossen ihm gegenüber? erkannten sie ihn als Dichter an oder hielten sie ihn für einen Betrüger? Die erste Erwähnung Shakespeares in einem Litteratur¬ denkmal ist die von Greene in einer Flugschrift aus dem Jahre 1592. Hier wird ihm allerdings vorgeworfen, er schmücke sich mit fremden Federn. Aber Greene war offenbar neidisch auf den Erfolg des jungen Dichters, und darum ist sein Urteil nicht ohne Voreingenommenheit. Immerhin laßt sich der Vor¬ wurf, Shakespeare habe in seinen Erstlingswerken auf dramatischem Gebiete sich sehr stark um vorliegende Stücke gehalten, diese vielleicht nur überarbeitet, nicht beseitigen. Doch brauchen wir dies auch gar nicht zu thun. Shakespeare wurde durchaus nicht gleich als Meister geboren, er mußte so gut wie andre erst seine Lehrjahre durchmachen, um Meister werden zu können. Wie Lessing und andre unsrer große» Dichter zuerst fremde Werke umarbeitete» und nach¬ ahmten, ebenso sind Shakespeares Heinrich VI., Titus Andronicus, Die Komödie der Irrungen, Die bezähmte Widerspenstige Umarbeitungen und Nachahmungen "vrhandner Stücke. So wenig aber wie unsre großen Schauspieldichter, weil sie aufmigs nachahmten, ihr ganzes Leben Nachahmer geblieben sind, ebenso wenig ist es berechtigt, dies für Shakespeare anzunehmen. Bis zu Shakespeares Tod und dem Erscheine» der Folioausgabe seiner Dramen haben wir mehr als dreißig Erwähnungen des Dichters bei Zeitgenosse,,. Alle stimmen darin überein, daß er ein bedeutender Schauspieldichter gewesen sei, und keiner deutet "u, daß vielleicht die unter seinem Namen verbreiteten Stücke von einem andern gedichtet wären. Vor allem ist das Zeugnis von Merch (15W) nicht umzu- stoßen, der in seinem Schatzhans der Weisheit (?-MMs 'kainen) sagt: „Wie '"an glaubte, die Seele des Euphvrbus lebe im Pythagoras fort, so lebt die süße witzige Seele Ovids in dein süßredenden houigzuugigen Shakespeare fort; ^es beweisen seine Venus und Adonis, seine Lucretia, seine zuckersüßen (Lugreä) Sonette, die im Freundeskreise bekannt sind. Wie Plautus und Seneca als ^e besten Lustspiel- und Tranerspieldichter nnter den Lateinern gelten, so ist Shakespeare unter den Engländern der ausgezeichnetste auf beiden Gebieten: sür das Lustspiel beweisen dies seine Edelleute von Verona, seine Komödie der Errungen, Die Verlorne Liebesmüh, Die gewonnene Liebesmüh, Der Sommer- 'wchtstramn und Der Kaufmann von Venedig; für das Trauerspiel Richard II., Richard III., Heinrich IV., König Johann, Titus Andronicus und Romeo und Tukiu. Wie Epins Stolo sagte, die Musen würden, wenn sie sich des Lateins ^dienen wollten, in der Zunge des Plautus sprechen, so sage ich: die Musen Werde» Shakespeares feine Sprechweise gebrauchen, wenn sie Englisch reden wollen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/243>, abgerufen am 03.07.2024.