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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Shakespeare - Lacon - ^rage

serner, wenn der Dichter im Julius Cäsar Uhren schlagen, im Troilus und
Cressida Trommeln rühren, im König Johann Kanonen abschießen laßt u. dergl.
Ein Kenner des Altertums wie Bacon hätte sich so etwas nicht zu schulden kom¬
men lassen. Ebenso wenig hätte ein Gelehrter Böhmen am Meer liegen oder
Valentin (in den Edelleuten vou Verona) sich in Verona nach Mailand ein¬
schiffen lassen. Wir sehen also, daß Shakespeare vou seinen Quellen abhängig
war und nicht viel eigne Gelehrsamkeit zuzugeben hatte. Als Schauspieler
blieb ihm Zeit genug übrig, seine Kenntnisse auf deu verschiedensten Gebieten
zu erweitern dnrch Lesen von Büchern. Manchmal erhielt er sogar mehr freie
Zeit, als ihm wohl lieb war. So wurden z.B. 1592, weil die Pest in London
herrschte, die Bühnen lange Zeit geschlossen. Zeigt der Verfasser der Dramen
Kenntnis fremder Länder, so könnte man denken, er habe Reisen gemacht (etwa
1592 die unfreiwillige Muße dazu benutzt). Doch wissen wir auch, welch
großer Verkehr damals zwischen London und den nordischen Ländern, Holland,
Deutschland und Italien stattfand. Shakespeare konnte also leicht Nachrichten
über alle diese Länder einziehen, ohne London zu verlassen. Ähnlich erklären
sich des Dichters Kenntnisse auf deu verschiedensten Gebieten, ohne daß er
Advvkntenschreiber, Mediziner, Apotheker, Lehrer, Soldat, Seemann und ver¬
schiedenes andre gewesen zu sein braucht.

Doch damit sind die Gründe, warum Shakespeare kein Dichter gewesen
sein könne, noch nicht zu Ende. "War er wirklich ein so bedeutender Dichter,
s" müßte man doch mehr über sein Leben Nüssen!" behauptet man. Das ist
grundfalsch. Von Dichtern, die man damals für ebenso bedeutend wie Shake¬
speare hielt, wie Spenser, Marlvwe. Greeue, Peele, Kyd, wissen wir ebenso
wenig, von manchen noch weniger. Thöricht geradezu ist es mit einem der
neuesten Bacvninner zu fragen: Wo sind Shakespeares Briefe? wo seine Bücher?
wo die .Handschriften seiner Stücke? Wir fragen dagegen: Wo sind die Briefe,
^e Bücher, die Handschriften von Marlvwe, Greeue, Peele, Spenser u. a.?
So lauge diese nicht herbeigebracht sind, läßt sich auch aus denn Fehlen der
ändern kein Schluß auf Shakespeares Dichtergabe ziehen.

Weiterhin aber wird Shakespeare vorgeworfen, er sei, nachdem er in feiner
Tugend liederlich und verschwenderisch gelebt habe, in London sehr geizig ge¬
worden und habe durch die ärgsten Wuchergeschäfte sein Vermögen noch ver¬
äußert. Beweise für diese Behauptung sollen sein: 1598 im Januar sucht
Uhr. Sturley durch Richard Quiney Shakespeare zu bewege", den Zehnten in
^trntfvrd zu pachten. Weil man annahm, daß Shakespeare sich vielleicht zu
Lesern Geschäft herbeigelassen hätte, darum muß er ein Wucherer gewesen sein.
1605 pachtet der Dichter auch wirklich die Hälfte des Zehnten, darum kann
^ nach Ansicht der Bacvuianer keine Schauspiele verfaßt haben. 1598 im
Oktober bittet Richard Quiney den Dichter brieflich um ein Darieh" von
^ Pfd. Sterl. gegen Bürgschaft, und es wird ihm die Bitte gewährt. Weil also


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Die Shakespeare - Lacon - ^rage

serner, wenn der Dichter im Julius Cäsar Uhren schlagen, im Troilus und
Cressida Trommeln rühren, im König Johann Kanonen abschießen laßt u. dergl.
Ein Kenner des Altertums wie Bacon hätte sich so etwas nicht zu schulden kom¬
men lassen. Ebenso wenig hätte ein Gelehrter Böhmen am Meer liegen oder
Valentin (in den Edelleuten vou Verona) sich in Verona nach Mailand ein¬
schiffen lassen. Wir sehen also, daß Shakespeare vou seinen Quellen abhängig
war und nicht viel eigne Gelehrsamkeit zuzugeben hatte. Als Schauspieler
blieb ihm Zeit genug übrig, seine Kenntnisse auf deu verschiedensten Gebieten
zu erweitern dnrch Lesen von Büchern. Manchmal erhielt er sogar mehr freie
Zeit, als ihm wohl lieb war. So wurden z.B. 1592, weil die Pest in London
herrschte, die Bühnen lange Zeit geschlossen. Zeigt der Verfasser der Dramen
Kenntnis fremder Länder, so könnte man denken, er habe Reisen gemacht (etwa
1592 die unfreiwillige Muße dazu benutzt). Doch wissen wir auch, welch
großer Verkehr damals zwischen London und den nordischen Ländern, Holland,
Deutschland und Italien stattfand. Shakespeare konnte also leicht Nachrichten
über alle diese Länder einziehen, ohne London zu verlassen. Ähnlich erklären
sich des Dichters Kenntnisse auf deu verschiedensten Gebieten, ohne daß er
Advvkntenschreiber, Mediziner, Apotheker, Lehrer, Soldat, Seemann und ver¬
schiedenes andre gewesen zu sein braucht.

Doch damit sind die Gründe, warum Shakespeare kein Dichter gewesen
sein könne, noch nicht zu Ende. „War er wirklich ein so bedeutender Dichter,
s» müßte man doch mehr über sein Leben Nüssen!" behauptet man. Das ist
grundfalsch. Von Dichtern, die man damals für ebenso bedeutend wie Shake¬
speare hielt, wie Spenser, Marlvwe. Greeue, Peele, Kyd, wissen wir ebenso
wenig, von manchen noch weniger. Thöricht geradezu ist es mit einem der
neuesten Bacvninner zu fragen: Wo sind Shakespeares Briefe? wo seine Bücher?
wo die .Handschriften seiner Stücke? Wir fragen dagegen: Wo sind die Briefe,
^e Bücher, die Handschriften von Marlvwe, Greeue, Peele, Spenser u. a.?
So lauge diese nicht herbeigebracht sind, läßt sich auch aus denn Fehlen der
ändern kein Schluß auf Shakespeares Dichtergabe ziehen.

Weiterhin aber wird Shakespeare vorgeworfen, er sei, nachdem er in feiner
Tugend liederlich und verschwenderisch gelebt habe, in London sehr geizig ge¬
worden und habe durch die ärgsten Wuchergeschäfte sein Vermögen noch ver¬
äußert. Beweise für diese Behauptung sollen sein: 1598 im Januar sucht
Uhr. Sturley durch Richard Quiney Shakespeare zu bewege», den Zehnten in
^trntfvrd zu pachten. Weil man annahm, daß Shakespeare sich vielleicht zu
Lesern Geschäft herbeigelassen hätte, darum muß er ein Wucherer gewesen sein.
1605 pachtet der Dichter auch wirklich die Hälfte des Zehnten, darum kann
^ nach Ansicht der Bacvuianer keine Schauspiele verfaßt haben. 1598 im
Oktober bittet Richard Quiney den Dichter brieflich um ein Darieh» von
^ Pfd. Sterl. gegen Bürgschaft, und es wird ihm die Bitte gewährt. Weil also


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[0241] Die Shakespeare - Lacon - ^rage serner, wenn der Dichter im Julius Cäsar Uhren schlagen, im Troilus und Cressida Trommeln rühren, im König Johann Kanonen abschießen laßt u. dergl. Ein Kenner des Altertums wie Bacon hätte sich so etwas nicht zu schulden kom¬ men lassen. Ebenso wenig hätte ein Gelehrter Böhmen am Meer liegen oder Valentin (in den Edelleuten vou Verona) sich in Verona nach Mailand ein¬ schiffen lassen. Wir sehen also, daß Shakespeare vou seinen Quellen abhängig war und nicht viel eigne Gelehrsamkeit zuzugeben hatte. Als Schauspieler blieb ihm Zeit genug übrig, seine Kenntnisse auf deu verschiedensten Gebieten zu erweitern dnrch Lesen von Büchern. Manchmal erhielt er sogar mehr freie Zeit, als ihm wohl lieb war. So wurden z.B. 1592, weil die Pest in London herrschte, die Bühnen lange Zeit geschlossen. Zeigt der Verfasser der Dramen Kenntnis fremder Länder, so könnte man denken, er habe Reisen gemacht (etwa 1592 die unfreiwillige Muße dazu benutzt). Doch wissen wir auch, welch großer Verkehr damals zwischen London und den nordischen Ländern, Holland, Deutschland und Italien stattfand. Shakespeare konnte also leicht Nachrichten über alle diese Länder einziehen, ohne London zu verlassen. Ähnlich erklären sich des Dichters Kenntnisse auf deu verschiedensten Gebieten, ohne daß er Advvkntenschreiber, Mediziner, Apotheker, Lehrer, Soldat, Seemann und ver¬ schiedenes andre gewesen zu sein braucht. Doch damit sind die Gründe, warum Shakespeare kein Dichter gewesen sein könne, noch nicht zu Ende. „War er wirklich ein so bedeutender Dichter, s» müßte man doch mehr über sein Leben Nüssen!" behauptet man. Das ist grundfalsch. Von Dichtern, die man damals für ebenso bedeutend wie Shake¬ speare hielt, wie Spenser, Marlvwe. Greeue, Peele, Kyd, wissen wir ebenso wenig, von manchen noch weniger. Thöricht geradezu ist es mit einem der neuesten Bacvninner zu fragen: Wo sind Shakespeares Briefe? wo seine Bücher? wo die .Handschriften seiner Stücke? Wir fragen dagegen: Wo sind die Briefe, ^e Bücher, die Handschriften von Marlvwe, Greeue, Peele, Spenser u. a.? So lauge diese nicht herbeigebracht sind, läßt sich auch aus denn Fehlen der ändern kein Schluß auf Shakespeares Dichtergabe ziehen. Weiterhin aber wird Shakespeare vorgeworfen, er sei, nachdem er in feiner Tugend liederlich und verschwenderisch gelebt habe, in London sehr geizig ge¬ worden und habe durch die ärgsten Wuchergeschäfte sein Vermögen noch ver¬ äußert. Beweise für diese Behauptung sollen sein: 1598 im Januar sucht Uhr. Sturley durch Richard Quiney Shakespeare zu bewege», den Zehnten in ^trntfvrd zu pachten. Weil man annahm, daß Shakespeare sich vielleicht zu Lesern Geschäft herbeigelassen hätte, darum muß er ein Wucherer gewesen sein. 1605 pachtet der Dichter auch wirklich die Hälfte des Zehnten, darum kann ^ nach Ansicht der Bacvuianer keine Schauspiele verfaßt haben. 1598 im Oktober bittet Richard Quiney den Dichter brieflich um ein Darieh» von ^ Pfd. Sterl. gegen Bürgschaft, und es wird ihm die Bitte gewährt. Weil also Gttnzbvten II N>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/241>, abgerufen am 22.07.2024.