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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Shakespeare-Bacon-Frage

galt im 16, Jahrhundert nicht die kirchliche Trauung als das Bindende, son¬
dern der Verspruch. Sobald sich ein Paar versprochen hatte, betrachteten sie
sich als Ehepaar. Die kirchliche Trauung folgte dann gelegentlich. Wenn
diese also in unserm Falle etwa Anfang Dezember 1582 stattfand und im Mai
1583 eine Taufe, so hat dies gar nichts anstößiges. Endlich soll Shakespeare
noch daran ein gemeiner Mensch sein, weil er in unglücklicher Ehe gelebt
habe. Aber abgesehen davon, daß Anna Shakespeare acht Jahre älter als ihr
Mann war und dadurch eine gewisse Ungleichheit der Eheleute entstehen mußte,
und daß Shakespeare, wenn er überhaupt als Schauspieler etwas leisten wollte,
nach London gehen und sich dort aufhalten mußte, deshalb also viel von Strat-
sord abwesend war, haben wir keinen Anhaltepunkt sür die unglückliche Ehe.
Allerdings führen einige gefühlvolle Gemüter des Dichters letzten Willen an:
es sei darin nicht mit der gehörigen Liebe der Frau gedacht. Aber eine solche
amtliche Urkunde ist doch nicht der Ort, wo Gatten sich ihrer Liebe versichern.
Außerdem dentet alles darauf hin, daß der Dichter seine letztwillige Verfügung
in Eile traf.

So läßt sich aus dein, was wir von Shakespeare, bis er nach London
kam, wissen, gar nicht folgern, er habe nicht seine Schauspiele schreiben können-
Aber aus dem, was wir nicht wissen, läßt sich vielleicht ein derartiger Schluß
ziehen? Da müssen wir noch einmal auf Shakespeares Bildung zurückkommen-
Ben Jonsou sagt in einen: Lobgedicht auf unsern Dichter:


Und wußtest du auch wenig nur Latein,
Noch war'ger Griechisch.

Hieraus entnahm man, der Dichter habe gar kein Latein oder nur etwa
so viel, als der kleine Wilhelm Page in den Luftiger Weibern in der Prüfung
weiß, verstanden. Ben Jonsvn aber, auf der Westminster-Schule vorgebildet,
war ein berühmter Lateiner (ein so guter, daß der gelehrte Bacon ihn sogar
als Übersetzer ins Latein benutzte). Wenn dieser daher Shakespeares Latein¬
kenntnisse gering nennt, so brauchen sie in unsern Augen noch nicht gering,
sondern nur nicht Hervorragelid gewesen zu sein. Mit einiger Mühe wird er
wohl einen leichtern römischen Schriftsteller verstanden haben. Wollte er sich
aber diese Mühe nicht nehmen, (und es ist kaum anzunehmen, daß er es gethan
habe), so gab es damals genug Übersetzungen; Virgil, Ovid, Horaz, Lucan,
Seneca waren ganz oder größtenteils damals ins Englische übersetzt, ebenso
Livius, Taeitus, Sallust, Sueton, Cäsar, Curtius u. a. Von Griechen seien
nnr Homer, Herodot, Thnkhdides, Polybios, Diodor, Plutarch u. a. erwähnt-
Dieser Übertragungen bediente sich Shakespeare bei dein Dichten seiner Dramen
und nahm auch Fehler ans ihnen aus. (Dieser Art sind die Versehen I^alis- für
l^biÄ, jAntonius und Kleopatra III, 6, 10j oder on Uns "into 'libvr für on
tot fiele 'I'ibvr >Cäsnr III, 2, 254j u. a.) Gegen einen gelehrten Verfasser spricht


Die Shakespeare-Bacon-Frage

galt im 16, Jahrhundert nicht die kirchliche Trauung als das Bindende, son¬
dern der Verspruch. Sobald sich ein Paar versprochen hatte, betrachteten sie
sich als Ehepaar. Die kirchliche Trauung folgte dann gelegentlich. Wenn
diese also in unserm Falle etwa Anfang Dezember 1582 stattfand und im Mai
1583 eine Taufe, so hat dies gar nichts anstößiges. Endlich soll Shakespeare
noch daran ein gemeiner Mensch sein, weil er in unglücklicher Ehe gelebt
habe. Aber abgesehen davon, daß Anna Shakespeare acht Jahre älter als ihr
Mann war und dadurch eine gewisse Ungleichheit der Eheleute entstehen mußte,
und daß Shakespeare, wenn er überhaupt als Schauspieler etwas leisten wollte,
nach London gehen und sich dort aufhalten mußte, deshalb also viel von Strat-
sord abwesend war, haben wir keinen Anhaltepunkt sür die unglückliche Ehe.
Allerdings führen einige gefühlvolle Gemüter des Dichters letzten Willen an:
es sei darin nicht mit der gehörigen Liebe der Frau gedacht. Aber eine solche
amtliche Urkunde ist doch nicht der Ort, wo Gatten sich ihrer Liebe versichern.
Außerdem dentet alles darauf hin, daß der Dichter seine letztwillige Verfügung
in Eile traf.

So läßt sich aus dein, was wir von Shakespeare, bis er nach London
kam, wissen, gar nicht folgern, er habe nicht seine Schauspiele schreiben können-
Aber aus dem, was wir nicht wissen, läßt sich vielleicht ein derartiger Schluß
ziehen? Da müssen wir noch einmal auf Shakespeares Bildung zurückkommen-
Ben Jonsou sagt in einen: Lobgedicht auf unsern Dichter:


Und wußtest du auch wenig nur Latein,
Noch war'ger Griechisch.

Hieraus entnahm man, der Dichter habe gar kein Latein oder nur etwa
so viel, als der kleine Wilhelm Page in den Luftiger Weibern in der Prüfung
weiß, verstanden. Ben Jonsvn aber, auf der Westminster-Schule vorgebildet,
war ein berühmter Lateiner (ein so guter, daß der gelehrte Bacon ihn sogar
als Übersetzer ins Latein benutzte). Wenn dieser daher Shakespeares Latein¬
kenntnisse gering nennt, so brauchen sie in unsern Augen noch nicht gering,
sondern nur nicht Hervorragelid gewesen zu sein. Mit einiger Mühe wird er
wohl einen leichtern römischen Schriftsteller verstanden haben. Wollte er sich
aber diese Mühe nicht nehmen, (und es ist kaum anzunehmen, daß er es gethan
habe), so gab es damals genug Übersetzungen; Virgil, Ovid, Horaz, Lucan,
Seneca waren ganz oder größtenteils damals ins Englische übersetzt, ebenso
Livius, Taeitus, Sallust, Sueton, Cäsar, Curtius u. a. Von Griechen seien
nnr Homer, Herodot, Thnkhdides, Polybios, Diodor, Plutarch u. a. erwähnt-
Dieser Übertragungen bediente sich Shakespeare bei dein Dichten seiner Dramen
und nahm auch Fehler ans ihnen aus. (Dieser Art sind die Versehen I^alis- für
l^biÄ, jAntonius und Kleopatra III, 6, 10j oder on Uns «into 'libvr für on
tot fiele 'I'ibvr >Cäsnr III, 2, 254j u. a.) Gegen einen gelehrten Verfasser spricht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/240>, abgerufen am 23.07.2024.