Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

würde sich dies mit dem, was mir über sei" Leben wissen, sehr wohl ver¬
engen lassen. Am wenigsten würde sein späterer Schauspielerberuf dagegen
sprechen, denn Mnrlowe, Ben Jvnsvn und andre studirten auch erst "ud wurden
dann Schauspieler. Ben Jvnson zeigt ferner, daß jemand, auch nachdem er
einen andern Beruf ergriffen hatte, sich damals weiter bilden konnte; warum
hätte also nicht auch Shakespeare das thun können? Doch brauchen wir für
ihn gar leine tiefen philologischen Studien anzunehmen. So wenig wir sagen
können, was Shakespeare Ma seinem Austritt aus der Schule bis zu seiner
Verheiratung trieb, ebensowenig läßt sich angeben, womit er sich von da an
bis zu seinem Weggang von Stratfvrd beschäftigte. Am wenigsten unwahr¬
scheinlich ist noch,' daß er Advvkatenschreiber gewesen sei. Die Baeouianer
Wissen allerdings auch hier das genaueste. Shakespeare war vor seiner Hoch¬
zeit ein Taugenichts und blieb es auch darnach. Er faulenzte und tage-
diebte und ließ Fran und Kinder daheim darben. Besonders gab er sich
auch der Wilddieberei hin, und dies führte eine Wendung herbei. Als er
einst wieder eine große Wilddieberei auf dein Jagdgebiete des Sir Lues be¬
gangen hatte, wurde er, von Häschern verfolgt, gezwungen, Weib und Kind
im Stiche zu lassen und nach London zu fliehen. Gegen diese Wilddiebs-
üeschichte ist schon so viel geschrieben und ihre geringe Glaublichkeit gezeigt
worden, daß es eigentlich überflüssig ist. noch ein Wort darüber zu verlieren.
Allein sie ist und bleibt nun einmal die Lieblingsgeschichte und der Mittel¬
punkt der ganzen Shakespearesage, daher sei darüber noch folgendes bemerkt,
^'wiesen ist, daß wildern zur Zeit der Königin Elisabeth durchaus nicht für
ehrlos galt, daß sich ihm vielmehr viele Studenten, ^ohne sehr hochstehender
Familien, mit Leidenschaft Hingaben. Warum soll also Shakespeare in seiner
Tugend nicht auch hie und da einmal gewittert haben? Dagegen haben wir
deinen Anhalt, daß der Dichter, der ein Bürgerssohn, wenn nicht schon selbst
Bürger von Stratford, ein verheirateter und ansässiger Mann war, wegen einer
Wilddieberei Weib und Kind habe verlasset, und sich in London verbergen
wüssen. Viel glaublicher ist es, daß Shakespeare dem Drange nachgegeben
habe, als Schauspieler (und wohl auch Schauspieldichter) nach London zu gehen,
^le Schauspieler und Landsleute Burbage und Heminge waren öfters in
stratford aufgetreten und waren sicherlich mit Shakespeare bekannt geworden.
Rechnet man noch dazu, daß des Dichters Familie 1585 um Zwillinge ver¬
mehrt wurde, zu einer Zeit, wo der Bater kaum Zuschüsse geben konnte, so
lU'det man genug Ursache, warum Shakespeare um diese Zeit nach London ging.

Ein andres Ereignis aber, woraus sich das verwvrsue Wesen Shakespeares
^Neben soll, ist, daß er nnr einmal, im November 1582, aufgeboten wurde, und
,"'"' schon im Mai 1583 die Geburt eines Kindes erfolgte. Nach jetzigen An-
lU'dem würde dies bei Städtern allerdings bedenklich sein, nach damaligen durch¬
aus nicht. Wie wir aus einer Reihe von Stellen in des Dichters Werken sehen,


würde sich dies mit dem, was mir über sei» Leben wissen, sehr wohl ver¬
engen lassen. Am wenigsten würde sein späterer Schauspielerberuf dagegen
sprechen, denn Mnrlowe, Ben Jvnsvn und andre studirten auch erst »ud wurden
dann Schauspieler. Ben Jvnson zeigt ferner, daß jemand, auch nachdem er
einen andern Beruf ergriffen hatte, sich damals weiter bilden konnte; warum
hätte also nicht auch Shakespeare das thun können? Doch brauchen wir für
ihn gar leine tiefen philologischen Studien anzunehmen. So wenig wir sagen
können, was Shakespeare Ma seinem Austritt aus der Schule bis zu seiner
Verheiratung trieb, ebensowenig läßt sich angeben, womit er sich von da an
bis zu seinem Weggang von Stratfvrd beschäftigte. Am wenigsten unwahr¬
scheinlich ist noch,' daß er Advvkatenschreiber gewesen sei. Die Baeouianer
Wissen allerdings auch hier das genaueste. Shakespeare war vor seiner Hoch¬
zeit ein Taugenichts und blieb es auch darnach. Er faulenzte und tage-
diebte und ließ Fran und Kinder daheim darben. Besonders gab er sich
auch der Wilddieberei hin, und dies führte eine Wendung herbei. Als er
einst wieder eine große Wilddieberei auf dein Jagdgebiete des Sir Lues be¬
gangen hatte, wurde er, von Häschern verfolgt, gezwungen, Weib und Kind
im Stiche zu lassen und nach London zu fliehen. Gegen diese Wilddiebs-
üeschichte ist schon so viel geschrieben und ihre geringe Glaublichkeit gezeigt
worden, daß es eigentlich überflüssig ist. noch ein Wort darüber zu verlieren.
Allein sie ist und bleibt nun einmal die Lieblingsgeschichte und der Mittel¬
punkt der ganzen Shakespearesage, daher sei darüber noch folgendes bemerkt,
^'wiesen ist, daß wildern zur Zeit der Königin Elisabeth durchaus nicht für
ehrlos galt, daß sich ihm vielmehr viele Studenten, ^ohne sehr hochstehender
Familien, mit Leidenschaft Hingaben. Warum soll also Shakespeare in seiner
Tugend nicht auch hie und da einmal gewittert haben? Dagegen haben wir
deinen Anhalt, daß der Dichter, der ein Bürgerssohn, wenn nicht schon selbst
Bürger von Stratford, ein verheirateter und ansässiger Mann war, wegen einer
Wilddieberei Weib und Kind habe verlasset, und sich in London verbergen
wüssen. Viel glaublicher ist es, daß Shakespeare dem Drange nachgegeben
habe, als Schauspieler (und wohl auch Schauspieldichter) nach London zu gehen,
^le Schauspieler und Landsleute Burbage und Heminge waren öfters in
stratford aufgetreten und waren sicherlich mit Shakespeare bekannt geworden.
Rechnet man noch dazu, daß des Dichters Familie 1585 um Zwillinge ver¬
mehrt wurde, zu einer Zeit, wo der Bater kaum Zuschüsse geben konnte, so
lU'det man genug Ursache, warum Shakespeare um diese Zeit nach London ging.

Ein andres Ereignis aber, woraus sich das verwvrsue Wesen Shakespeares
^Neben soll, ist, daß er nnr einmal, im November 1582, aufgeboten wurde, und
,"'»' schon im Mai 1583 die Geburt eines Kindes erfolgte. Nach jetzigen An-
lU'dem würde dies bei Städtern allerdings bedenklich sein, nach damaligen durch¬
aus nicht. Wie wir aus einer Reihe von Stellen in des Dichters Werken sehen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207534"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_675" prev="#ID_674"> würde sich dies mit dem, was mir über sei» Leben wissen, sehr wohl ver¬<lb/>
engen lassen. Am wenigsten würde sein späterer Schauspielerberuf dagegen<lb/>
sprechen, denn Mnrlowe, Ben Jvnsvn und andre studirten auch erst »ud wurden<lb/>
dann Schauspieler. Ben Jvnson zeigt ferner, daß jemand, auch nachdem er<lb/>
einen andern Beruf ergriffen hatte, sich damals weiter bilden konnte; warum<lb/>
hätte also nicht auch Shakespeare das thun können? Doch brauchen wir für<lb/>
ihn gar leine tiefen philologischen Studien anzunehmen. So wenig wir sagen<lb/>
können, was Shakespeare Ma seinem Austritt aus der Schule bis zu seiner<lb/>
Verheiratung trieb, ebensowenig läßt sich angeben, womit er sich von da an<lb/>
bis zu seinem Weggang von Stratfvrd beschäftigte. Am wenigsten unwahr¬<lb/>
scheinlich ist noch,' daß er Advvkatenschreiber gewesen sei. Die Baeouianer<lb/>
Wissen allerdings auch hier das genaueste. Shakespeare war vor seiner Hoch¬<lb/>
zeit ein Taugenichts und blieb es auch darnach. Er faulenzte und tage-<lb/>
diebte und ließ Fran und Kinder daheim darben. Besonders gab er sich<lb/>
auch der Wilddieberei hin, und dies führte eine Wendung herbei. Als er<lb/>
einst wieder eine große Wilddieberei auf dein Jagdgebiete des Sir Lues be¬<lb/>
gangen hatte, wurde er, von Häschern verfolgt, gezwungen, Weib und Kind<lb/>
im Stiche zu lassen und nach London zu fliehen. Gegen diese Wilddiebs-<lb/>
üeschichte ist schon so viel geschrieben und ihre geringe Glaublichkeit gezeigt<lb/>
worden, daß es eigentlich überflüssig ist. noch ein Wort darüber zu verlieren.<lb/>
Allein sie ist und bleibt nun einmal die Lieblingsgeschichte und der Mittel¬<lb/>
punkt der ganzen Shakespearesage, daher sei darüber noch folgendes bemerkt,<lb/>
^'wiesen ist, daß wildern zur Zeit der Königin Elisabeth durchaus nicht für<lb/>
ehrlos galt, daß sich ihm vielmehr viele Studenten, ^ohne sehr hochstehender<lb/>
Familien, mit Leidenschaft Hingaben. Warum soll also Shakespeare in seiner<lb/>
Tugend nicht auch hie und da einmal gewittert haben? Dagegen haben wir<lb/>
deinen Anhalt, daß der Dichter, der ein Bürgerssohn, wenn nicht schon selbst<lb/>
Bürger von Stratford, ein verheirateter und ansässiger Mann war, wegen einer<lb/>
Wilddieberei Weib und Kind habe verlasset, und sich in London verbergen<lb/>
wüssen. Viel glaublicher ist es, daß Shakespeare dem Drange nachgegeben<lb/>
habe, als Schauspieler (und wohl auch Schauspieldichter) nach London zu gehen,<lb/>
^le Schauspieler und Landsleute Burbage und Heminge waren öfters in<lb/>
stratford aufgetreten und waren sicherlich mit Shakespeare bekannt geworden.<lb/>
Rechnet man noch dazu, daß des Dichters Familie 1585 um Zwillinge ver¬<lb/>
mehrt wurde, zu einer Zeit, wo der Bater kaum Zuschüsse geben konnte, so<lb/>
lU'det man genug Ursache, warum Shakespeare um diese Zeit nach London ging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_676" next="#ID_677"> Ein andres Ereignis aber, woraus sich das verwvrsue Wesen Shakespeares<lb/>
^Neben soll, ist, daß er nnr einmal, im November 1582, aufgeboten wurde, und<lb/>
,"'»' schon im Mai 1583 die Geburt eines Kindes erfolgte.  Nach jetzigen An-<lb/>
lU'dem würde dies bei Städtern allerdings bedenklich sein, nach damaligen durch¬<lb/>
aus nicht. Wie wir aus einer Reihe von Stellen in des Dichters Werken sehen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] würde sich dies mit dem, was mir über sei» Leben wissen, sehr wohl ver¬ engen lassen. Am wenigsten würde sein späterer Schauspielerberuf dagegen sprechen, denn Mnrlowe, Ben Jvnsvn und andre studirten auch erst »ud wurden dann Schauspieler. Ben Jvnson zeigt ferner, daß jemand, auch nachdem er einen andern Beruf ergriffen hatte, sich damals weiter bilden konnte; warum hätte also nicht auch Shakespeare das thun können? Doch brauchen wir für ihn gar leine tiefen philologischen Studien anzunehmen. So wenig wir sagen können, was Shakespeare Ma seinem Austritt aus der Schule bis zu seiner Verheiratung trieb, ebensowenig läßt sich angeben, womit er sich von da an bis zu seinem Weggang von Stratfvrd beschäftigte. Am wenigsten unwahr¬ scheinlich ist noch,' daß er Advvkatenschreiber gewesen sei. Die Baeouianer Wissen allerdings auch hier das genaueste. Shakespeare war vor seiner Hoch¬ zeit ein Taugenichts und blieb es auch darnach. Er faulenzte und tage- diebte und ließ Fran und Kinder daheim darben. Besonders gab er sich auch der Wilddieberei hin, und dies führte eine Wendung herbei. Als er einst wieder eine große Wilddieberei auf dein Jagdgebiete des Sir Lues be¬ gangen hatte, wurde er, von Häschern verfolgt, gezwungen, Weib und Kind im Stiche zu lassen und nach London zu fliehen. Gegen diese Wilddiebs- üeschichte ist schon so viel geschrieben und ihre geringe Glaublichkeit gezeigt worden, daß es eigentlich überflüssig ist. noch ein Wort darüber zu verlieren. Allein sie ist und bleibt nun einmal die Lieblingsgeschichte und der Mittel¬ punkt der ganzen Shakespearesage, daher sei darüber noch folgendes bemerkt, ^'wiesen ist, daß wildern zur Zeit der Königin Elisabeth durchaus nicht für ehrlos galt, daß sich ihm vielmehr viele Studenten, ^ohne sehr hochstehender Familien, mit Leidenschaft Hingaben. Warum soll also Shakespeare in seiner Tugend nicht auch hie und da einmal gewittert haben? Dagegen haben wir deinen Anhalt, daß der Dichter, der ein Bürgerssohn, wenn nicht schon selbst Bürger von Stratford, ein verheirateter und ansässiger Mann war, wegen einer Wilddieberei Weib und Kind habe verlasset, und sich in London verbergen wüssen. Viel glaublicher ist es, daß Shakespeare dem Drange nachgegeben habe, als Schauspieler (und wohl auch Schauspieldichter) nach London zu gehen, ^le Schauspieler und Landsleute Burbage und Heminge waren öfters in stratford aufgetreten und waren sicherlich mit Shakespeare bekannt geworden. Rechnet man noch dazu, daß des Dichters Familie 1585 um Zwillinge ver¬ mehrt wurde, zu einer Zeit, wo der Bater kaum Zuschüsse geben konnte, so lU'det man genug Ursache, warum Shakespeare um diese Zeit nach London ging. Ein andres Ereignis aber, woraus sich das verwvrsue Wesen Shakespeares ^Neben soll, ist, daß er nnr einmal, im November 1582, aufgeboten wurde, und ,"'»' schon im Mai 1583 die Geburt eines Kindes erfolgte. Nach jetzigen An- lU'dem würde dies bei Städtern allerdings bedenklich sein, nach damaligen durch¬ aus nicht. Wie wir aus einer Reihe von Stellen in des Dichters Werken sehen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/239>, abgerufen am 28.12.2024.