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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Shakespeare-Bacon-Frage

Um die erstere Ansicht mit Wahrscheinlichkeit aufstellen zu können, war
es nötig, die Shakespearesage mit dem Leben Shakespeares zu verschmelzen
und daraus das Gebräu fertig zu bringen, das die Baevnicmer "das Leben
des geschichtlichen Shakespeare" nennen. Nach ihnen wissen wir, daß Wilhelm
Shakespeare als Sohn des Metzgers Shakespeare zu Stratford geboren wurde, daß
er früh aus der Dorfschule seiner Vaterstadt kam, wo er eine dürftige Bildung
empfing, daß er dann viele schlechte Streiche ausführte, seinem Vater aus der
Lehre entlief, einige Jahre hermnlungerte, sich dann mit einem acht Jahre
ältern Mädchen abgab, dieses, um großes Ärgernis zu vermeiden, Hals über
Kopf heiratete und sehr unglücklich mit ihr lebte. Der verheiratete Shakespeare
sei alsdann, wegen Wilddieberei von Häschern verfolgt, nach London geflohen,
sei dort erst Pferdejunge, dann Souffleur und wer weiß was alles noch ge¬
wesen, bis er es zum Schauspieler und Schauspieldirektor gebracht habe. Als
solcher habe er viel Geld verdient, dies durch Wuchergeschäfte schlimmster Art
noch vermehrt, habe sich dann als Bierbrauer nach Stratford zurückgezogen
und sei als reicher Mann 1616 in seiner Vaterstadt gestorben. Ein solcher
Mensch aber könne doch unmöglich die sogenannten Shakespeareschen Stücke
verfaßt haben!

Man sieht, daß diese Darstellung des Lebens des Dichters vorzugsweise
auf dem Klatsch beruht, den das Dreigestirn Davencint, Andres, Betterton
gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts zusammenbrachten.

Stellt man die beglaubigten Nachrichten über des Dichters Leben zusammen,
so bekommen wir allerdings ein sehr andres Ergebnis. Steevens gestand gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts in seiner Shakespeareausgabe ehrlich ein:
"Alles, was mit einiger Sicherheit über Shakespeare feststeht, ist: er wurde
zu Stratford um Avon geboren, heiratete dort und hatte Kinder, ging nach
London, wo er Schauspieler wurde, schrieb Gedichte und Theaterstücke, kehrte
nach Stratford zurück, machte dort sein Testament und wurde begraben." E^
ist das allerdings recht wenig, aber fügen wir hinzu, daß des Dichters Vater
eine Zeit laug Ehrenämter in der Stadt versah, wie aus städtischen Urkunden
zweifellos hervorgeht, und daß der Dichter selbst, wie sich aus Kanfurknnden
und seinem letzten Willen ergiebt, zu Vermögen kam und dieses in Ländereien
und Grundstücken in Strntfvrt und London anlegte, so haben wir damit anch
heute "och alles, was sich ganz sicher feststellen läßt.

Seit seiner Taufe (1564, 26. April alten Stils) wissen wir von dem
Leben des Dichters nichts bis zu seinem Aufgebot (28. November 1582).
Dann erfahren wir, daß 1583 eine Tochter Susanne, 1585 Zwillinge, Hamlet
und Judiths getauft wurden. Die^nächste Erwähnung Shakespeares geschieht
in einer Schmähschrift Greenes, die in das Jahr 1592 gesetzt werden muß
und aus der hervorgeht, daß Shakespeare sich damals als Schauspieler und
Schanspieldichter bereits einen Namen erworben hatte. 1593 erschien Shccke-


Die Shakespeare-Bacon-Frage

Um die erstere Ansicht mit Wahrscheinlichkeit aufstellen zu können, war
es nötig, die Shakespearesage mit dem Leben Shakespeares zu verschmelzen
und daraus das Gebräu fertig zu bringen, das die Baevnicmer „das Leben
des geschichtlichen Shakespeare" nennen. Nach ihnen wissen wir, daß Wilhelm
Shakespeare als Sohn des Metzgers Shakespeare zu Stratford geboren wurde, daß
er früh aus der Dorfschule seiner Vaterstadt kam, wo er eine dürftige Bildung
empfing, daß er dann viele schlechte Streiche ausführte, seinem Vater aus der
Lehre entlief, einige Jahre hermnlungerte, sich dann mit einem acht Jahre
ältern Mädchen abgab, dieses, um großes Ärgernis zu vermeiden, Hals über
Kopf heiratete und sehr unglücklich mit ihr lebte. Der verheiratete Shakespeare
sei alsdann, wegen Wilddieberei von Häschern verfolgt, nach London geflohen,
sei dort erst Pferdejunge, dann Souffleur und wer weiß was alles noch ge¬
wesen, bis er es zum Schauspieler und Schauspieldirektor gebracht habe. Als
solcher habe er viel Geld verdient, dies durch Wuchergeschäfte schlimmster Art
noch vermehrt, habe sich dann als Bierbrauer nach Stratford zurückgezogen
und sei als reicher Mann 1616 in seiner Vaterstadt gestorben. Ein solcher
Mensch aber könne doch unmöglich die sogenannten Shakespeareschen Stücke
verfaßt haben!

Man sieht, daß diese Darstellung des Lebens des Dichters vorzugsweise
auf dem Klatsch beruht, den das Dreigestirn Davencint, Andres, Betterton
gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts zusammenbrachten.

Stellt man die beglaubigten Nachrichten über des Dichters Leben zusammen,
so bekommen wir allerdings ein sehr andres Ergebnis. Steevens gestand gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts in seiner Shakespeareausgabe ehrlich ein:
„Alles, was mit einiger Sicherheit über Shakespeare feststeht, ist: er wurde
zu Stratford um Avon geboren, heiratete dort und hatte Kinder, ging nach
London, wo er Schauspieler wurde, schrieb Gedichte und Theaterstücke, kehrte
nach Stratford zurück, machte dort sein Testament und wurde begraben." E^
ist das allerdings recht wenig, aber fügen wir hinzu, daß des Dichters Vater
eine Zeit laug Ehrenämter in der Stadt versah, wie aus städtischen Urkunden
zweifellos hervorgeht, und daß der Dichter selbst, wie sich aus Kanfurknnden
und seinem letzten Willen ergiebt, zu Vermögen kam und dieses in Ländereien
und Grundstücken in Strntfvrt und London anlegte, so haben wir damit anch
heute »och alles, was sich ganz sicher feststellen läßt.

Seit seiner Taufe (1564, 26. April alten Stils) wissen wir von dem
Leben des Dichters nichts bis zu seinem Aufgebot (28. November 1582).
Dann erfahren wir, daß 1583 eine Tochter Susanne, 1585 Zwillinge, Hamlet
und Judiths getauft wurden. Die^nächste Erwähnung Shakespeares geschieht
in einer Schmähschrift Greenes, die in das Jahr 1592 gesetzt werden muß
und aus der hervorgeht, daß Shakespeare sich damals als Schauspieler und
Schanspieldichter bereits einen Namen erworben hatte. 1593 erschien Shccke-


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[0236] Die Shakespeare-Bacon-Frage Um die erstere Ansicht mit Wahrscheinlichkeit aufstellen zu können, war es nötig, die Shakespearesage mit dem Leben Shakespeares zu verschmelzen und daraus das Gebräu fertig zu bringen, das die Baevnicmer „das Leben des geschichtlichen Shakespeare" nennen. Nach ihnen wissen wir, daß Wilhelm Shakespeare als Sohn des Metzgers Shakespeare zu Stratford geboren wurde, daß er früh aus der Dorfschule seiner Vaterstadt kam, wo er eine dürftige Bildung empfing, daß er dann viele schlechte Streiche ausführte, seinem Vater aus der Lehre entlief, einige Jahre hermnlungerte, sich dann mit einem acht Jahre ältern Mädchen abgab, dieses, um großes Ärgernis zu vermeiden, Hals über Kopf heiratete und sehr unglücklich mit ihr lebte. Der verheiratete Shakespeare sei alsdann, wegen Wilddieberei von Häschern verfolgt, nach London geflohen, sei dort erst Pferdejunge, dann Souffleur und wer weiß was alles noch ge¬ wesen, bis er es zum Schauspieler und Schauspieldirektor gebracht habe. Als solcher habe er viel Geld verdient, dies durch Wuchergeschäfte schlimmster Art noch vermehrt, habe sich dann als Bierbrauer nach Stratford zurückgezogen und sei als reicher Mann 1616 in seiner Vaterstadt gestorben. Ein solcher Mensch aber könne doch unmöglich die sogenannten Shakespeareschen Stücke verfaßt haben! Man sieht, daß diese Darstellung des Lebens des Dichters vorzugsweise auf dem Klatsch beruht, den das Dreigestirn Davencint, Andres, Betterton gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts zusammenbrachten. Stellt man die beglaubigten Nachrichten über des Dichters Leben zusammen, so bekommen wir allerdings ein sehr andres Ergebnis. Steevens gestand gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in seiner Shakespeareausgabe ehrlich ein: „Alles, was mit einiger Sicherheit über Shakespeare feststeht, ist: er wurde zu Stratford um Avon geboren, heiratete dort und hatte Kinder, ging nach London, wo er Schauspieler wurde, schrieb Gedichte und Theaterstücke, kehrte nach Stratford zurück, machte dort sein Testament und wurde begraben." E^ ist das allerdings recht wenig, aber fügen wir hinzu, daß des Dichters Vater eine Zeit laug Ehrenämter in der Stadt versah, wie aus städtischen Urkunden zweifellos hervorgeht, und daß der Dichter selbst, wie sich aus Kanfurknnden und seinem letzten Willen ergiebt, zu Vermögen kam und dieses in Ländereien und Grundstücken in Strntfvrt und London anlegte, so haben wir damit anch heute »och alles, was sich ganz sicher feststellen läßt. Seit seiner Taufe (1564, 26. April alten Stils) wissen wir von dem Leben des Dichters nichts bis zu seinem Aufgebot (28. November 1582). Dann erfahren wir, daß 1583 eine Tochter Susanne, 1585 Zwillinge, Hamlet und Judiths getauft wurden. Die^nächste Erwähnung Shakespeares geschieht in einer Schmähschrift Greenes, die in das Jahr 1592 gesetzt werden muß und aus der hervorgeht, daß Shakespeare sich damals als Schauspieler und Schanspieldichter bereits einen Namen erworben hatte. 1593 erschien Shccke-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/236>, abgerufen am 27.06.2024.