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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Shakespeare - Bacon - Frage

schrvbenheit und innere Unwahrheit des damaligen geselligen Lebens der vor¬
nehmen Welt lächerlich machen. Die Posse erreicht ihren Höhepunkt im letzten
(zweiten) Auszug, wo die Dienerschaft eines reichen Herrn eine Abendgesellschaft
hält, genan nach dem Muster, das sie ihrer Herrschaft abgeguckt haben. Dazu
gehörte damals vor allem, sich gebildet über Litteratur zu unterhalten, und
it' entspinnt sich denn unter den dienenden Schöngeistern folgendes ergötzliche
Gespräch über die schönen Wissenschaften, Dus Kammermädchen der Lady Bab
behauptet:

Ich lese nur ein einziges Buch!


Kätcheu:

Wovon ist denn die gnädige Frau so sehr entzückt?


L. Bob:

Von Shikspur! Haben Sie noch niemals Shikspllr gelesen?


Kätchen:

Shikspur! Shikspur! -- Wer schrieb dies Buch? -- Nein, ich

hube uoch nie den Shikspur gelesen!

O, dann steht Ihnen noch ein großer Genuß bevor.


L. Bab:
Kätchen:

Gut! daun werde ich das Buch einmal an einem schönen Nachmittag

durchlesen!

Es versteht sich von selbst, daß der Witz nur zutrifft, wenn Shakespeares
Werke als jedem Gebildeten bekannt und die Verfasserschaft Shakespeares als
"icht im geringsten zweifelhaft angenommen werden konnte. Wäre Kätchen
"ber hundert Jahre später aufgetreten, so hätte sie nicht nnr nicht für ungebildet,
wildem sogar als tiefsinnige Denkerin gegolten; sie hätte ihrer Gesinnnngs-
fchwester Miß Della Bacon in Amerika oder ihrem Landsmanne Smith die
Hand reichen und mit diesen alles Ernstes fragen können: "Shikspur, Shikspur!
wer schrieb dies Buch?"

Amerika, das Land, das auf geistigem Gebiete schon manche wunderbare
Frucht gezeitigt, Tischrückeu, Klopfgeister, vierte Dimension und ähnliches her¬
vorgerufen hat, hat auch die zweifelhafte Ehre, das Mutterland und die Haupt-
^stanzstätte der Shakespeare-Bacon-Frage zu sein, d. h. der Ansicht, Shccke-
ll'Mre habe die Werke, die ihm Jahrhunderte lang zugeschrieben worden sind, gar
Alast verfaßt, sondern der Philosoph und Staatsmann Bacon habe sie gedichtet.

Wie konnte aber diese Frage überhaupt aufgeworfen werden? Sie entstand
"us dem Bedürfnis der Menschen, einmal von Zeit zu Zeit etwas ganz Neues
<>u hören und, nachdem es etwas Altes geworden war, Shakespeare als den
bedeutendsten Dramatiker zu preisen, ihn auch einmal als Taugenichts, Wucherer,
Betrüger und vor allen Dingen als geistig ganz unbedeutenden Menschen dar¬
gestellt zu sehen. Sie beruht aber auf zwei ganz falschen Voraussetzungen:
Ostens, daß wir so viel von Shakespeares Leben wüßten, um behaupten
^ können, Wilhelm Shakespeare aus Stratford habe die ihm zugeschriebenen
Stücke nicht schreiben können, und zweitens, Franz Bneon habe dichterische
^gcibung genug besessen, um die unter Shakespeares Namen umlaufenden
^erke dichten zu können.


Die Shakespeare - Bacon - Frage

schrvbenheit und innere Unwahrheit des damaligen geselligen Lebens der vor¬
nehmen Welt lächerlich machen. Die Posse erreicht ihren Höhepunkt im letzten
(zweiten) Auszug, wo die Dienerschaft eines reichen Herrn eine Abendgesellschaft
hält, genan nach dem Muster, das sie ihrer Herrschaft abgeguckt haben. Dazu
gehörte damals vor allem, sich gebildet über Litteratur zu unterhalten, und
it' entspinnt sich denn unter den dienenden Schöngeistern folgendes ergötzliche
Gespräch über die schönen Wissenschaften, Dus Kammermädchen der Lady Bab
behauptet:

Ich lese nur ein einziges Buch!


Kätcheu:

Wovon ist denn die gnädige Frau so sehr entzückt?


L. Bob:

Von Shikspur! Haben Sie noch niemals Shikspllr gelesen?


Kätchen:

Shikspur! Shikspur! — Wer schrieb dies Buch? — Nein, ich

hube uoch nie den Shikspur gelesen!

O, dann steht Ihnen noch ein großer Genuß bevor.


L. Bab:
Kätchen:

Gut! daun werde ich das Buch einmal an einem schönen Nachmittag

durchlesen!

Es versteht sich von selbst, daß der Witz nur zutrifft, wenn Shakespeares
Werke als jedem Gebildeten bekannt und die Verfasserschaft Shakespeares als
"icht im geringsten zweifelhaft angenommen werden konnte. Wäre Kätchen
"ber hundert Jahre später aufgetreten, so hätte sie nicht nnr nicht für ungebildet,
wildem sogar als tiefsinnige Denkerin gegolten; sie hätte ihrer Gesinnnngs-
fchwester Miß Della Bacon in Amerika oder ihrem Landsmanne Smith die
Hand reichen und mit diesen alles Ernstes fragen können: „Shikspur, Shikspur!
wer schrieb dies Buch?"

Amerika, das Land, das auf geistigem Gebiete schon manche wunderbare
Frucht gezeitigt, Tischrückeu, Klopfgeister, vierte Dimension und ähnliches her¬
vorgerufen hat, hat auch die zweifelhafte Ehre, das Mutterland und die Haupt-
^stanzstätte der Shakespeare-Bacon-Frage zu sein, d. h. der Ansicht, Shccke-
ll'Mre habe die Werke, die ihm Jahrhunderte lang zugeschrieben worden sind, gar
Alast verfaßt, sondern der Philosoph und Staatsmann Bacon habe sie gedichtet.

Wie konnte aber diese Frage überhaupt aufgeworfen werden? Sie entstand
"us dem Bedürfnis der Menschen, einmal von Zeit zu Zeit etwas ganz Neues
<>u hören und, nachdem es etwas Altes geworden war, Shakespeare als den
bedeutendsten Dramatiker zu preisen, ihn auch einmal als Taugenichts, Wucherer,
Betrüger und vor allen Dingen als geistig ganz unbedeutenden Menschen dar¬
gestellt zu sehen. Sie beruht aber auf zwei ganz falschen Voraussetzungen:
Ostens, daß wir so viel von Shakespeares Leben wüßten, um behaupten
^ können, Wilhelm Shakespeare aus Stratford habe die ihm zugeschriebenen
Stücke nicht schreiben können, und zweitens, Franz Bneon habe dichterische
^gcibung genug besessen, um die unter Shakespeares Namen umlaufenden
^erke dichten zu können.


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[0235] Die Shakespeare - Bacon - Frage schrvbenheit und innere Unwahrheit des damaligen geselligen Lebens der vor¬ nehmen Welt lächerlich machen. Die Posse erreicht ihren Höhepunkt im letzten (zweiten) Auszug, wo die Dienerschaft eines reichen Herrn eine Abendgesellschaft hält, genan nach dem Muster, das sie ihrer Herrschaft abgeguckt haben. Dazu gehörte damals vor allem, sich gebildet über Litteratur zu unterhalten, und it' entspinnt sich denn unter den dienenden Schöngeistern folgendes ergötzliche Gespräch über die schönen Wissenschaften, Dus Kammermädchen der Lady Bab behauptet: Ich lese nur ein einziges Buch! Kätcheu: Wovon ist denn die gnädige Frau so sehr entzückt? L. Bob: Von Shikspur! Haben Sie noch niemals Shikspllr gelesen? Kätchen: Shikspur! Shikspur! — Wer schrieb dies Buch? — Nein, ich hube uoch nie den Shikspur gelesen! O, dann steht Ihnen noch ein großer Genuß bevor. L. Bab: Kätchen: Gut! daun werde ich das Buch einmal an einem schönen Nachmittag durchlesen! Es versteht sich von selbst, daß der Witz nur zutrifft, wenn Shakespeares Werke als jedem Gebildeten bekannt und die Verfasserschaft Shakespeares als "icht im geringsten zweifelhaft angenommen werden konnte. Wäre Kätchen "ber hundert Jahre später aufgetreten, so hätte sie nicht nnr nicht für ungebildet, wildem sogar als tiefsinnige Denkerin gegolten; sie hätte ihrer Gesinnnngs- fchwester Miß Della Bacon in Amerika oder ihrem Landsmanne Smith die Hand reichen und mit diesen alles Ernstes fragen können: „Shikspur, Shikspur! wer schrieb dies Buch?" Amerika, das Land, das auf geistigem Gebiete schon manche wunderbare Frucht gezeitigt, Tischrückeu, Klopfgeister, vierte Dimension und ähnliches her¬ vorgerufen hat, hat auch die zweifelhafte Ehre, das Mutterland und die Haupt- ^stanzstätte der Shakespeare-Bacon-Frage zu sein, d. h. der Ansicht, Shccke- ll'Mre habe die Werke, die ihm Jahrhunderte lang zugeschrieben worden sind, gar Alast verfaßt, sondern der Philosoph und Staatsmann Bacon habe sie gedichtet. Wie konnte aber diese Frage überhaupt aufgeworfen werden? Sie entstand "us dem Bedürfnis der Menschen, einmal von Zeit zu Zeit etwas ganz Neues <>u hören und, nachdem es etwas Altes geworden war, Shakespeare als den bedeutendsten Dramatiker zu preisen, ihn auch einmal als Taugenichts, Wucherer, Betrüger und vor allen Dingen als geistig ganz unbedeutenden Menschen dar¬ gestellt zu sehen. Sie beruht aber auf zwei ganz falschen Voraussetzungen: Ostens, daß wir so viel von Shakespeares Leben wüßten, um behaupten ^ können, Wilhelm Shakespeare aus Stratford habe die ihm zugeschriebenen Stücke nicht schreiben können, und zweitens, Franz Bneon habe dichterische ^gcibung genug besessen, um die unter Shakespeares Namen umlaufenden ^erke dichten zu können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/235>, abgerufen am 21.06.2024.