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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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sich zu Unterhandlungen in ihre Mitte, wurde aber schwer gemißhandelt und
als Gefangener zurückbehalten. Der erste Versuch der Aufständischen, sich der
innern Stadt zu bemächtigen, wurde durch die Truppen vereitelt, ein zweiter,
am folgenden Tag unternommen, nachdem sich die meisten übrigen Vorstädte
der Revolution angeschlossen hatten, gelang, sodaß sich nun nur noch das Rat¬
haus und desseir Umgebung in den Händen des Militärs befanden, und in
der Nacht beschlossen der kommandirende General Rognet und der inzwischen
freigelassene Präfekt Dnmolard, dn die Truppen erschöpft und von der 15000
Mann starken Nationnlgarde nur noch etwa hundert unter den Waffen waren,
die militärische Räumung der Stadt, die sofort bewerkstelligt wurde. Un¬
mittelbar darauf überließen der Präfekt und die Gemeindebehörden das Rat¬
haus den Aufständischen, die nun durch einen Ausschuß, der ans Fabrikarbeitern
und politischen Abenteurern aller Art zusammengesetzt war und sich "Proviso¬
rischer Generalstab" betitelte, die öffentliche Gewalt in die Hände nahmen.
Sie hatten vollständig gesiegt, aber wegen der Früchte ihres Sieges war guter
Rat teuer. Erhöhung des Arbeitslohnes war nicht erfochten, und was weiter
"" geschehe" habe, wußte niemand anzugeben. Man rächte sich an einigen
besonders verhaßten Arbeitgebern, indem man ihre Wohnhäuser und Fabriken
^störte, schadete sich damit aber mehr selbst, indem man so für die nächste
Zeit eben einige Arbeitgeber verlor. Mit Raub und Plünderung aber wollte
'nan sich so wenig helfen, das; dergleichen bei Todesstrafe untersagt und in
einigen Fälle" auch damit bestraft wurde. Die Rat- und Thatlosigkeit der
siegreichen Empörer ermutigten den Präfekten und einige städtische Beamte zur
Rückkehr nach dem Rathaus und zu dem Versuch, ob etwa verständiges Zu-
^eden jetzt mehr bei ihnen vermöchte als Kartätschen und Bajonette, und diese
Versuche'hatten Erfolg: Die Amtsgewalt des Präfekten wurde von den Auf¬
ständischen wieder anerkannt, und wenn sie noch unter den Waffen blieben, so
geschah es nur, um nach seinen Befehlen die öffentliche Ruhe vollends wieder¬
herzustellen und zu erhalten. Der "Provisorische Generalstab" aber löste sich
^mählich vou selber auf. Unterdessen hatte die Regierung Anstalten getroffen,
^r gedemütigten Staatsgewalt vollständigere Genugthuung zu verschaffein
^'u 3. Dezember rückte ein Heer von 20000 Mann unter Marschall ^vult,
dem der älteste Sohn des Königs, der Herzog vou Orleans, beigegeben war,
^ Lhon ein. Von Widerstand oder Bedingungen war keine Rede. Die Stadt
wurde entwaffnet, die Nationalgarde aufgelöst, der Präfekt wegen übertriebener
^"chgiebigkeit abgesetzt und die Verhaftung der Rädelsführer des Aufstandes völl¬
igen, gegen die nun die Kammern in besondern Adressen an den König die
volle Strenge des Gesetzes angewendet wissen wollten. Übrigens wünschten sich"lie Gegner der Lyoner Arbeiterrevolution Glück, daß auch die sorgfältigsten
"utersnchuugen dabei keinen Zug politischen Charakters herausfanden, und in
gcuiz Frankreich schien damals niemand zu ahnen, daß die Frage vom Tagelohn


^renzboten II 1890 27

sich zu Unterhandlungen in ihre Mitte, wurde aber schwer gemißhandelt und
als Gefangener zurückbehalten. Der erste Versuch der Aufständischen, sich der
innern Stadt zu bemächtigen, wurde durch die Truppen vereitelt, ein zweiter,
am folgenden Tag unternommen, nachdem sich die meisten übrigen Vorstädte
der Revolution angeschlossen hatten, gelang, sodaß sich nun nur noch das Rat¬
haus und desseir Umgebung in den Händen des Militärs befanden, und in
der Nacht beschlossen der kommandirende General Rognet und der inzwischen
freigelassene Präfekt Dnmolard, dn die Truppen erschöpft und von der 15000
Mann starken Nationnlgarde nur noch etwa hundert unter den Waffen waren,
die militärische Räumung der Stadt, die sofort bewerkstelligt wurde. Un¬
mittelbar darauf überließen der Präfekt und die Gemeindebehörden das Rat¬
haus den Aufständischen, die nun durch einen Ausschuß, der ans Fabrikarbeitern
und politischen Abenteurern aller Art zusammengesetzt war und sich „Proviso¬
rischer Generalstab" betitelte, die öffentliche Gewalt in die Hände nahmen.
Sie hatten vollständig gesiegt, aber wegen der Früchte ihres Sieges war guter
Rat teuer. Erhöhung des Arbeitslohnes war nicht erfochten, und was weiter
»" geschehe» habe, wußte niemand anzugeben. Man rächte sich an einigen
besonders verhaßten Arbeitgebern, indem man ihre Wohnhäuser und Fabriken
^störte, schadete sich damit aber mehr selbst, indem man so für die nächste
Zeit eben einige Arbeitgeber verlor. Mit Raub und Plünderung aber wollte
'nan sich so wenig helfen, das; dergleichen bei Todesstrafe untersagt und in
einigen Fälle» auch damit bestraft wurde. Die Rat- und Thatlosigkeit der
siegreichen Empörer ermutigten den Präfekten und einige städtische Beamte zur
Rückkehr nach dem Rathaus und zu dem Versuch, ob etwa verständiges Zu-
^eden jetzt mehr bei ihnen vermöchte als Kartätschen und Bajonette, und diese
Versuche'hatten Erfolg: Die Amtsgewalt des Präfekten wurde von den Auf¬
ständischen wieder anerkannt, und wenn sie noch unter den Waffen blieben, so
geschah es nur, um nach seinen Befehlen die öffentliche Ruhe vollends wieder¬
herzustellen und zu erhalten. Der „Provisorische Generalstab" aber löste sich
^mählich vou selber auf. Unterdessen hatte die Regierung Anstalten getroffen,
^r gedemütigten Staatsgewalt vollständigere Genugthuung zu verschaffein
^'u 3. Dezember rückte ein Heer von 20000 Mann unter Marschall ^vult,
dem der älteste Sohn des Königs, der Herzog vou Orleans, beigegeben war,
^ Lhon ein. Von Widerstand oder Bedingungen war keine Rede. Die Stadt
wurde entwaffnet, die Nationalgarde aufgelöst, der Präfekt wegen übertriebener
^"chgiebigkeit abgesetzt und die Verhaftung der Rädelsführer des Aufstandes völl¬
igen, gegen die nun die Kammern in besondern Adressen an den König die
volle Strenge des Gesetzes angewendet wissen wollten. Übrigens wünschten sich"lie Gegner der Lyoner Arbeiterrevolution Glück, daß auch die sorgfältigsten
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[0217] sich zu Unterhandlungen in ihre Mitte, wurde aber schwer gemißhandelt und als Gefangener zurückbehalten. Der erste Versuch der Aufständischen, sich der innern Stadt zu bemächtigen, wurde durch die Truppen vereitelt, ein zweiter, am folgenden Tag unternommen, nachdem sich die meisten übrigen Vorstädte der Revolution angeschlossen hatten, gelang, sodaß sich nun nur noch das Rat¬ haus und desseir Umgebung in den Händen des Militärs befanden, und in der Nacht beschlossen der kommandirende General Rognet und der inzwischen freigelassene Präfekt Dnmolard, dn die Truppen erschöpft und von der 15000 Mann starken Nationnlgarde nur noch etwa hundert unter den Waffen waren, die militärische Räumung der Stadt, die sofort bewerkstelligt wurde. Un¬ mittelbar darauf überließen der Präfekt und die Gemeindebehörden das Rat¬ haus den Aufständischen, die nun durch einen Ausschuß, der ans Fabrikarbeitern und politischen Abenteurern aller Art zusammengesetzt war und sich „Proviso¬ rischer Generalstab" betitelte, die öffentliche Gewalt in die Hände nahmen. Sie hatten vollständig gesiegt, aber wegen der Früchte ihres Sieges war guter Rat teuer. Erhöhung des Arbeitslohnes war nicht erfochten, und was weiter »" geschehe» habe, wußte niemand anzugeben. Man rächte sich an einigen besonders verhaßten Arbeitgebern, indem man ihre Wohnhäuser und Fabriken ^störte, schadete sich damit aber mehr selbst, indem man so für die nächste Zeit eben einige Arbeitgeber verlor. Mit Raub und Plünderung aber wollte 'nan sich so wenig helfen, das; dergleichen bei Todesstrafe untersagt und in einigen Fälle» auch damit bestraft wurde. Die Rat- und Thatlosigkeit der siegreichen Empörer ermutigten den Präfekten und einige städtische Beamte zur Rückkehr nach dem Rathaus und zu dem Versuch, ob etwa verständiges Zu- ^eden jetzt mehr bei ihnen vermöchte als Kartätschen und Bajonette, und diese Versuche'hatten Erfolg: Die Amtsgewalt des Präfekten wurde von den Auf¬ ständischen wieder anerkannt, und wenn sie noch unter den Waffen blieben, so geschah es nur, um nach seinen Befehlen die öffentliche Ruhe vollends wieder¬ herzustellen und zu erhalten. Der „Provisorische Generalstab" aber löste sich ^mählich vou selber auf. Unterdessen hatte die Regierung Anstalten getroffen, ^r gedemütigten Staatsgewalt vollständigere Genugthuung zu verschaffein ^'u 3. Dezember rückte ein Heer von 20000 Mann unter Marschall ^vult, dem der älteste Sohn des Königs, der Herzog vou Orleans, beigegeben war, ^ Lhon ein. Von Widerstand oder Bedingungen war keine Rede. Die Stadt wurde entwaffnet, die Nationalgarde aufgelöst, der Präfekt wegen übertriebener ^"chgiebigkeit abgesetzt und die Verhaftung der Rädelsführer des Aufstandes völl¬ igen, gegen die nun die Kammern in besondern Adressen an den König die volle Strenge des Gesetzes angewendet wissen wollten. Übrigens wünschten sich"lie Gegner der Lyoner Arbeiterrevolution Glück, daß auch die sorgfältigsten "utersnchuugen dabei keinen Zug politischen Charakters herausfanden, und in gcuiz Frankreich schien damals niemand zu ahnen, daß die Frage vom Tagelohn ^renzboten II 1890 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/217>, abgerufen am 28.12.2024.