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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jngendjcchren der Sozialdemokratie

später einmal verhängnisvoller werde" sollte als die Frage, ob Monarchie
oder Republik,

Der Aufstand der Republikaner, der am 5. Juni 1882 in Paris bei Ge¬
legenheit des Leichenbegängnisses des Generals Lcimarque, eines der heftigsten
Wortführer der Liberalen in der Kammer, ausbrach, wurde, obwohl er mit
nicht ganz unberechtigter Hoffnung auf Gelingen von Lnfnyette und dessen
Partei vorbereitet war, schon am nächsten Tage vollständig niedergeworfen-
Die Regierung war im Voralls unterrichtet und vorbereitet. Die Besatzung
von Paris betrug 20000 Maun und ließ sich in wenigen Stunden verdoppeln,
der Oberbefehl über die Linientruppen und die Nationalgarde lag in der Hand
des Marschalls Lobau, der seine militärischen Unordnungen mit Umsicht und
Knltbliitigleit getroffen hatte. Zweifelhaft erschien nnr die Zuverlässigkeit der
Truppen. In manchen Abteilungen der Nationalgarde herrschte die entschiedenste
Feindseligkeit gegen die bestehende Ordnung der Dinge, auch in der Armee gab
es entschlossene Anhänger der republikanischen Idee. Die Republikaner rech¬
neten auf mehrere hohe Offiziere, namentlich ans den Marschall Clauzel, selbst
auf den Kriegsminister Soult. In der That blieb der Kampf einige Stunden
unentschieden, Wnchthäuser lind Kasernen wurden erstürmt, Barrikaden aufge¬
worfen, Wasfeulädeu geplaudert, aber es fehlte der Revolution an einem festen
Mittelpunkte lind einheitlicher Leitung, denn Lafayette war zwar wie immer
bereit, sich an die Spitze der Revolte zu stellen, aber altersschwach, und
Clnuzels Bedingung für die Übernahme des Oberbefehls, daß wenigstens el"
Regiment sich dem Aufstande anschließe, wurde nicht erfüllt. Die Truppen
blieben dem König, der bei dieser Gelegenheit viel Ruhe. Mut und Thatkraft
entwickelte, getreu, und die Nationalgarde zeigte nur in einigen Abteilungen
das Gegenteil, ii" ganzen genommen aber nicht nur Eifer, sondern auch
Tapferkeit bei Verteidigung der öffentlichen Ordnung. Am Nachmittag des ti,
waren die Barrikaden zertrümmert, die Verteidiger größtenteils niedergemacht,
und so erlosch der Aufstand.

Aber die Republikaller verfolgten ihre Pläne weiter, und das jetzt be¬
ginnende reaktionäre Regiment Ludwig Philipps gab ihnen reichlich Handhabe"
dazu. Darunter befand sich das gerichtliche Vorgehen gegen eine beträchtliche
Anzahl von Mitgliedern der "Gesellschaft der Menschenrechte," die sich zur Be¬
kämpfung der Monarchie militärisch organisirt und mit ihrem Programm den
sozialistischen Sekten des Proletariats genähert hatte; denn es hieß darin n. :
"Der Staat ist verpflichtet, für den Unterhalt aller seiner Angehörigen zu
sorge", indem er ihne" entweder Arbeit verschafft oder ihnen, falls sie arbeits¬
unfähig find, Unterhaltsmittel giebt. Die Unterstützung dessen, dem das Not¬
wendige fehlt, ist eine Schuld dessen, der das Überflüssige besitzt, und das
Gesetz bestimmt die Weise, wie diese Schuld abzutragen ist. Jedes Gesetz
ist fehlerhaft, wen" es nicht von der Voraussetzung ausgeht, daß das Voll


Aus den Jngendjcchren der Sozialdemokratie

später einmal verhängnisvoller werde» sollte als die Frage, ob Monarchie
oder Republik,

Der Aufstand der Republikaner, der am 5. Juni 1882 in Paris bei Ge¬
legenheit des Leichenbegängnisses des Generals Lcimarque, eines der heftigsten
Wortführer der Liberalen in der Kammer, ausbrach, wurde, obwohl er mit
nicht ganz unberechtigter Hoffnung auf Gelingen von Lnfnyette und dessen
Partei vorbereitet war, schon am nächsten Tage vollständig niedergeworfen-
Die Regierung war im Voralls unterrichtet und vorbereitet. Die Besatzung
von Paris betrug 20000 Maun und ließ sich in wenigen Stunden verdoppeln,
der Oberbefehl über die Linientruppen und die Nationalgarde lag in der Hand
des Marschalls Lobau, der seine militärischen Unordnungen mit Umsicht und
Knltbliitigleit getroffen hatte. Zweifelhaft erschien nnr die Zuverlässigkeit der
Truppen. In manchen Abteilungen der Nationalgarde herrschte die entschiedenste
Feindseligkeit gegen die bestehende Ordnung der Dinge, auch in der Armee gab
es entschlossene Anhänger der republikanischen Idee. Die Republikaner rech¬
neten auf mehrere hohe Offiziere, namentlich ans den Marschall Clauzel, selbst
auf den Kriegsminister Soult. In der That blieb der Kampf einige Stunden
unentschieden, Wnchthäuser lind Kasernen wurden erstürmt, Barrikaden aufge¬
worfen, Wasfeulädeu geplaudert, aber es fehlte der Revolution an einem festen
Mittelpunkte lind einheitlicher Leitung, denn Lafayette war zwar wie immer
bereit, sich an die Spitze der Revolte zu stellen, aber altersschwach, und
Clnuzels Bedingung für die Übernahme des Oberbefehls, daß wenigstens el»
Regiment sich dem Aufstande anschließe, wurde nicht erfüllt. Die Truppen
blieben dem König, der bei dieser Gelegenheit viel Ruhe. Mut und Thatkraft
entwickelte, getreu, und die Nationalgarde zeigte nur in einigen Abteilungen
das Gegenteil, ii» ganzen genommen aber nicht nur Eifer, sondern auch
Tapferkeit bei Verteidigung der öffentlichen Ordnung. Am Nachmittag des ti,
waren die Barrikaden zertrümmert, die Verteidiger größtenteils niedergemacht,
und so erlosch der Aufstand.

Aber die Republikaller verfolgten ihre Pläne weiter, und das jetzt be¬
ginnende reaktionäre Regiment Ludwig Philipps gab ihnen reichlich Handhabe»
dazu. Darunter befand sich das gerichtliche Vorgehen gegen eine beträchtliche
Anzahl von Mitgliedern der „Gesellschaft der Menschenrechte," die sich zur Be¬
kämpfung der Monarchie militärisch organisirt und mit ihrem Programm den
sozialistischen Sekten des Proletariats genähert hatte; denn es hieß darin n. :
„Der Staat ist verpflichtet, für den Unterhalt aller seiner Angehörigen zu
sorge», indem er ihne» entweder Arbeit verschafft oder ihnen, falls sie arbeits¬
unfähig find, Unterhaltsmittel giebt. Die Unterstützung dessen, dem das Not¬
wendige fehlt, ist eine Schuld dessen, der das Überflüssige besitzt, und das
Gesetz bestimmt die Weise, wie diese Schuld abzutragen ist. Jedes Gesetz
ist fehlerhaft, wen» es nicht von der Voraussetzung ausgeht, daß das Voll


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[0218] Aus den Jngendjcchren der Sozialdemokratie später einmal verhängnisvoller werde» sollte als die Frage, ob Monarchie oder Republik, Der Aufstand der Republikaner, der am 5. Juni 1882 in Paris bei Ge¬ legenheit des Leichenbegängnisses des Generals Lcimarque, eines der heftigsten Wortführer der Liberalen in der Kammer, ausbrach, wurde, obwohl er mit nicht ganz unberechtigter Hoffnung auf Gelingen von Lnfnyette und dessen Partei vorbereitet war, schon am nächsten Tage vollständig niedergeworfen- Die Regierung war im Voralls unterrichtet und vorbereitet. Die Besatzung von Paris betrug 20000 Maun und ließ sich in wenigen Stunden verdoppeln, der Oberbefehl über die Linientruppen und die Nationalgarde lag in der Hand des Marschalls Lobau, der seine militärischen Unordnungen mit Umsicht und Knltbliitigleit getroffen hatte. Zweifelhaft erschien nnr die Zuverlässigkeit der Truppen. In manchen Abteilungen der Nationalgarde herrschte die entschiedenste Feindseligkeit gegen die bestehende Ordnung der Dinge, auch in der Armee gab es entschlossene Anhänger der republikanischen Idee. Die Republikaner rech¬ neten auf mehrere hohe Offiziere, namentlich ans den Marschall Clauzel, selbst auf den Kriegsminister Soult. In der That blieb der Kampf einige Stunden unentschieden, Wnchthäuser lind Kasernen wurden erstürmt, Barrikaden aufge¬ worfen, Wasfeulädeu geplaudert, aber es fehlte der Revolution an einem festen Mittelpunkte lind einheitlicher Leitung, denn Lafayette war zwar wie immer bereit, sich an die Spitze der Revolte zu stellen, aber altersschwach, und Clnuzels Bedingung für die Übernahme des Oberbefehls, daß wenigstens el» Regiment sich dem Aufstande anschließe, wurde nicht erfüllt. Die Truppen blieben dem König, der bei dieser Gelegenheit viel Ruhe. Mut und Thatkraft entwickelte, getreu, und die Nationalgarde zeigte nur in einigen Abteilungen das Gegenteil, ii» ganzen genommen aber nicht nur Eifer, sondern auch Tapferkeit bei Verteidigung der öffentlichen Ordnung. Am Nachmittag des ti, waren die Barrikaden zertrümmert, die Verteidiger größtenteils niedergemacht, und so erlosch der Aufstand. Aber die Republikaller verfolgten ihre Pläne weiter, und das jetzt be¬ ginnende reaktionäre Regiment Ludwig Philipps gab ihnen reichlich Handhabe» dazu. Darunter befand sich das gerichtliche Vorgehen gegen eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern der „Gesellschaft der Menschenrechte," die sich zur Be¬ kämpfung der Monarchie militärisch organisirt und mit ihrem Programm den sozialistischen Sekten des Proletariats genähert hatte; denn es hieß darin n. : „Der Staat ist verpflichtet, für den Unterhalt aller seiner Angehörigen zu sorge», indem er ihne» entweder Arbeit verschafft oder ihnen, falls sie arbeits¬ unfähig find, Unterhaltsmittel giebt. Die Unterstützung dessen, dem das Not¬ wendige fehlt, ist eine Schuld dessen, der das Überflüssige besitzt, und das Gesetz bestimmt die Weise, wie diese Schuld abzutragen ist. Jedes Gesetz ist fehlerhaft, wen» es nicht von der Voraussetzung ausgeht, daß das Voll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/218>, abgerufen am 01.07.2024.