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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Iugendjcchren der Lozialdemokratie

Tage zuvor ließ die Regierung in Paris vier Unteroffiziere als Teilnehmer
am Vuude der Carbonari guillotiniren.

Der Sieg der Julirevolution von 1830 Narde, wie oben bemerkt, von
der Bourgeoisie und dem vierten Stande, den Liberalen und den Republi¬
kanern gemeinsam erfochten, trug aber nur den Liberalen Gewinn ein, indem
der neue König anfangs streng nach der Karte von 1814 regierte, wie man
sie jetzt gestaltet hatte. Die Republikaner hatten allerdings Lafayette zum
Diktator ausrufen und Frankreich zur Republik erklären können, aber darauf
verzichtet, da beides nur kurzen Bestand versprach. Sie fügten sich jedoch
uur mit Vorbehalt und für die Gegenwart, und schon 1831 bildeten sich neue
geheime Gesellschaften zu dem Zwecke gewaltsamer Erreichung ihrer Ziele. Der
zahlreichste und in den untern Schichten des Volkes verbreiterte dieser Vereine
von Verschwörern war die Losislü ävs eiroits Ah 1'Iwnira"z, die die Erklärung
der Menschenrechte von 1789 zum Programm hatte, ihr aber noch keinen
sozialistischen Zusatz gab, die Bedürfnisse und Forderungen des vierten Standes,
der Besitzlose", der Arbeiter also noch nicht berücksichtigte. Im Juni 1832
wagten diese unbefriedigten Parteien deu ersten Aufstand zur Einführung der
Republik, nachdem schon im Herbst des vorherigen Jahres die Arbeiter von Lyon
sich mit den Massen in der Hand zur Verbesserung ihrer Lage, aber nicht zu¬
gleich zu politischen Zwecken erhoben hatten. Die Geschäftsstockung hatte hier
den Lohn der Seideuweber um mehr als die Hälfte herabgedrückt, und sie
machten nun für ihre Not die Habsucht der Fabrikanten, die Hartherzigkeit
der Reichen und die Gleichgiltigkeit der Behörden verantwortlich. Der Prä-
fekt schlug endlich vor, durch Bevollmächtigte der Weber und ihrer Arbeitgeber
einen den Umständen und der Billigkeit entsprechenden Lvhntarif feststelle" zu
lassen. Dies geschah, man einigte sich über neue Lohnsätze, die allgemein
verbindlich sein sollten, und deren Nichtbeachtung vor das Gewerbegericht ge¬
bracht und vou ihm mit Geldstrafen geahndet werden sollte. Die Arbeiter
frohlockten, aber die meisten Fabrikherren verweigerten dem Tarif ihre Aner¬
kennung, und das Gewerbegericht versuchte vergebens sie zu zwingen. Die
Nrbeitseinstellnng, die darauf stattfand, hatte nur den Erfolg, daß die Weber
nach acht Tagen in unerträgliches Elend gerieten, und nun griffen sie zur
Gewalt. Am 21. November früh war die fast ausschließlich vou Seiden¬
webern bewohnte Vorstadt Croix Nousse ein großes Feldlager des Aufruhrs.
Die Aufständischen besaßen eine beträchtliche Zahl von Gewehren und sogar
zwei Kanonen, die bei eiliger Räumung einer Kaserne im Stiche gelassen
worden waren. Ihre Fahnen trugen die Aufschrift: "Entweder durch Arbeit
leben oder im Kampfe sterben." Sie zählten gegen 30000 Köpfe, denen die
Behörden anßer der Nationalgarde nur 3000 Soldaten entgegenzustellen hatte,
wenn die Empörer sich gegen die innere Stadt in Bewegung setzten. Der
Präfekt, der sich bei deu Arbeitern beliebt gemacht zu haben glaubte, begab


Aus den Iugendjcchren der Lozialdemokratie

Tage zuvor ließ die Regierung in Paris vier Unteroffiziere als Teilnehmer
am Vuude der Carbonari guillotiniren.

Der Sieg der Julirevolution von 1830 Narde, wie oben bemerkt, von
der Bourgeoisie und dem vierten Stande, den Liberalen und den Republi¬
kanern gemeinsam erfochten, trug aber nur den Liberalen Gewinn ein, indem
der neue König anfangs streng nach der Karte von 1814 regierte, wie man
sie jetzt gestaltet hatte. Die Republikaner hatten allerdings Lafayette zum
Diktator ausrufen und Frankreich zur Republik erklären können, aber darauf
verzichtet, da beides nur kurzen Bestand versprach. Sie fügten sich jedoch
uur mit Vorbehalt und für die Gegenwart, und schon 1831 bildeten sich neue
geheime Gesellschaften zu dem Zwecke gewaltsamer Erreichung ihrer Ziele. Der
zahlreichste und in den untern Schichten des Volkes verbreiterte dieser Vereine
von Verschwörern war die Losislü ävs eiroits Ah 1'Iwnira«z, die die Erklärung
der Menschenrechte von 1789 zum Programm hatte, ihr aber noch keinen
sozialistischen Zusatz gab, die Bedürfnisse und Forderungen des vierten Standes,
der Besitzlose», der Arbeiter also noch nicht berücksichtigte. Im Juni 1832
wagten diese unbefriedigten Parteien deu ersten Aufstand zur Einführung der
Republik, nachdem schon im Herbst des vorherigen Jahres die Arbeiter von Lyon
sich mit den Massen in der Hand zur Verbesserung ihrer Lage, aber nicht zu¬
gleich zu politischen Zwecken erhoben hatten. Die Geschäftsstockung hatte hier
den Lohn der Seideuweber um mehr als die Hälfte herabgedrückt, und sie
machten nun für ihre Not die Habsucht der Fabrikanten, die Hartherzigkeit
der Reichen und die Gleichgiltigkeit der Behörden verantwortlich. Der Prä-
fekt schlug endlich vor, durch Bevollmächtigte der Weber und ihrer Arbeitgeber
einen den Umständen und der Billigkeit entsprechenden Lvhntarif feststelle» zu
lassen. Dies geschah, man einigte sich über neue Lohnsätze, die allgemein
verbindlich sein sollten, und deren Nichtbeachtung vor das Gewerbegericht ge¬
bracht und vou ihm mit Geldstrafen geahndet werden sollte. Die Arbeiter
frohlockten, aber die meisten Fabrikherren verweigerten dem Tarif ihre Aner¬
kennung, und das Gewerbegericht versuchte vergebens sie zu zwingen. Die
Nrbeitseinstellnng, die darauf stattfand, hatte nur den Erfolg, daß die Weber
nach acht Tagen in unerträgliches Elend gerieten, und nun griffen sie zur
Gewalt. Am 21. November früh war die fast ausschließlich vou Seiden¬
webern bewohnte Vorstadt Croix Nousse ein großes Feldlager des Aufruhrs.
Die Aufständischen besaßen eine beträchtliche Zahl von Gewehren und sogar
zwei Kanonen, die bei eiliger Räumung einer Kaserne im Stiche gelassen
worden waren. Ihre Fahnen trugen die Aufschrift: „Entweder durch Arbeit
leben oder im Kampfe sterben." Sie zählten gegen 30000 Köpfe, denen die
Behörden anßer der Nationalgarde nur 3000 Soldaten entgegenzustellen hatte,
wenn die Empörer sich gegen die innere Stadt in Bewegung setzten. Der
Präfekt, der sich bei deu Arbeitern beliebt gemacht zu haben glaubte, begab


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[0216] Aus den Iugendjcchren der Lozialdemokratie Tage zuvor ließ die Regierung in Paris vier Unteroffiziere als Teilnehmer am Vuude der Carbonari guillotiniren. Der Sieg der Julirevolution von 1830 Narde, wie oben bemerkt, von der Bourgeoisie und dem vierten Stande, den Liberalen und den Republi¬ kanern gemeinsam erfochten, trug aber nur den Liberalen Gewinn ein, indem der neue König anfangs streng nach der Karte von 1814 regierte, wie man sie jetzt gestaltet hatte. Die Republikaner hatten allerdings Lafayette zum Diktator ausrufen und Frankreich zur Republik erklären können, aber darauf verzichtet, da beides nur kurzen Bestand versprach. Sie fügten sich jedoch uur mit Vorbehalt und für die Gegenwart, und schon 1831 bildeten sich neue geheime Gesellschaften zu dem Zwecke gewaltsamer Erreichung ihrer Ziele. Der zahlreichste und in den untern Schichten des Volkes verbreiterte dieser Vereine von Verschwörern war die Losislü ävs eiroits Ah 1'Iwnira«z, die die Erklärung der Menschenrechte von 1789 zum Programm hatte, ihr aber noch keinen sozialistischen Zusatz gab, die Bedürfnisse und Forderungen des vierten Standes, der Besitzlose», der Arbeiter also noch nicht berücksichtigte. Im Juni 1832 wagten diese unbefriedigten Parteien deu ersten Aufstand zur Einführung der Republik, nachdem schon im Herbst des vorherigen Jahres die Arbeiter von Lyon sich mit den Massen in der Hand zur Verbesserung ihrer Lage, aber nicht zu¬ gleich zu politischen Zwecken erhoben hatten. Die Geschäftsstockung hatte hier den Lohn der Seideuweber um mehr als die Hälfte herabgedrückt, und sie machten nun für ihre Not die Habsucht der Fabrikanten, die Hartherzigkeit der Reichen und die Gleichgiltigkeit der Behörden verantwortlich. Der Prä- fekt schlug endlich vor, durch Bevollmächtigte der Weber und ihrer Arbeitgeber einen den Umständen und der Billigkeit entsprechenden Lvhntarif feststelle» zu lassen. Dies geschah, man einigte sich über neue Lohnsätze, die allgemein verbindlich sein sollten, und deren Nichtbeachtung vor das Gewerbegericht ge¬ bracht und vou ihm mit Geldstrafen geahndet werden sollte. Die Arbeiter frohlockten, aber die meisten Fabrikherren verweigerten dem Tarif ihre Aner¬ kennung, und das Gewerbegericht versuchte vergebens sie zu zwingen. Die Nrbeitseinstellnng, die darauf stattfand, hatte nur den Erfolg, daß die Weber nach acht Tagen in unerträgliches Elend gerieten, und nun griffen sie zur Gewalt. Am 21. November früh war die fast ausschließlich vou Seiden¬ webern bewohnte Vorstadt Croix Nousse ein großes Feldlager des Aufruhrs. Die Aufständischen besaßen eine beträchtliche Zahl von Gewehren und sogar zwei Kanonen, die bei eiliger Räumung einer Kaserne im Stiche gelassen worden waren. Ihre Fahnen trugen die Aufschrift: „Entweder durch Arbeit leben oder im Kampfe sterben." Sie zählten gegen 30000 Köpfe, denen die Behörden anßer der Nationalgarde nur 3000 Soldaten entgegenzustellen hatte, wenn die Empörer sich gegen die innere Stadt in Bewegung setzten. Der Präfekt, der sich bei deu Arbeitern beliebt gemacht zu haben glaubte, begab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/216>, abgerufen am 02.10.2024.