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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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ötreifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart

mit dem Toben einer wahnsinnigen Verzweiflung entflog." Svvcrine bleibt
unbeschädigt, Jacques wird betäubt ans den Trümmern hervorgezogen und
nach Severines nahegelegenen Besitzung Croix-de-Manfras, die sie bis dahin
ängstlich gemieden hat, gebracht. Flore hat ihren Zweck nicht erreicht und
läßt sich vou einem Eisenbahnzüge in Stücke reißen.

Nun häuft sich eine Greuelthat auf die andre; in einer Anwandlung von
Eifersucht und getrieben von bestialischer Mordgier ersticht Jacques seine Ge¬
liebte in Croix-de-Manfras. "Eine zügellose Frende, ein unsagbarer Genuß
schwellte dabei seine Brust in der vollen Erfüllung des unendlichen Wunsches.
Er fühlte eine stolze Überraschung, eine Vergrößerung seiner männlichen Selbst¬
herrlichkeit. Er hatte die Fran getötet; er besaß sie nun, wie es seit langer
Zeit sein Wunsch gewesen war, ganz und gar bis zur Vernichtung. Sie war
nicht mehr, sie sollte niemandem mehr angehören. ()n ne tue eins sou8
l'jmxuleion ein saug et Ach nerks, rin röste ach Ävoivmws lüttes, In, uäoessitö
<le vivrs, ig, Mg ä'etre kort." Diese Stelle ist geradezu eine Verherrlichung des
Mordes und müßte eigentlich als Motto auf den Kriminalakten jedes Staats-
anwalts stehen.

Der Verdacht des Mordes fällt ans Rvubaud und Cabuchvn, diesen armen,
unschuldigen, dummen Teufel, und beide werden nach langem gründlich ge¬
führten Prozeß zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. Schließlich gerät
Jacques mit seinem stets betrunkenen Heizer Pecquenx in Streit; Eifersucht
kommt hinzu, und während sie mit ihrer Lokomotive einen Militärzug fortzu¬
schaffen haben, der französische Truppen in den Krieg mit Deutschland führe"
soll, kommt es zwischen beiden auf der Lokomotive zu furchtbarem Kampfe, sie
Packen sich, stürzen beide in voller Fahrt mit entsetzlichem Schrei herunter und
werden zermalmt. Der Zug aber jagt mit rasender Geschwindigkeit weiter
durch alle Stationen: ohne Führer, in stockfinstrer Nacht, rollt er und rollt
und rollt wie eine blinde und taube Bestie, die man in den Tod schickt, be¬
laden mit jenem Kanonenfutter, mit jenen stumpfsinnigen, betrunknen und Lieder
brüllenden Soldaten.

Mit diesem Satze schließt die wunderbare Dichtung. Es ist einem nach
dem Lesen zu Mute, als hätte man einen unheimlichen schweren Traum gehabt,
als wäre man aus der gesunden Wirklichkeit in die Welt Geisteskranker ge¬
schleppt und dort mit allen Mitteln der Verführung festgehalten worden. Mau
klappt unwillkürlich das Messer auf dem Schreibtische zu, um von Anwand¬
lungen frei zu bleibe", aber mau klappt auch das Buch zu, um aufzuatmen
und die durcheinander gewirbelten Gedanken wieder in die richtige Reihenfolge
zu bringe".

Es wäre ein Leichtes, nachzuweisen, daß wir nicht nur unter den Figuren,
sondern auch in de" Szenen, die uns Zola in l^l l^>ceo incurgiiie vorführt,
diele alte Bekannte finden, die uns schon in frühern Romanen des Verfasse'.'.>


ötreifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart

mit dem Toben einer wahnsinnigen Verzweiflung entflog." Svvcrine bleibt
unbeschädigt, Jacques wird betäubt ans den Trümmern hervorgezogen und
nach Severines nahegelegenen Besitzung Croix-de-Manfras, die sie bis dahin
ängstlich gemieden hat, gebracht. Flore hat ihren Zweck nicht erreicht und
läßt sich vou einem Eisenbahnzüge in Stücke reißen.

Nun häuft sich eine Greuelthat auf die andre; in einer Anwandlung von
Eifersucht und getrieben von bestialischer Mordgier ersticht Jacques seine Ge¬
liebte in Croix-de-Manfras. „Eine zügellose Frende, ein unsagbarer Genuß
schwellte dabei seine Brust in der vollen Erfüllung des unendlichen Wunsches.
Er fühlte eine stolze Überraschung, eine Vergrößerung seiner männlichen Selbst¬
herrlichkeit. Er hatte die Fran getötet; er besaß sie nun, wie es seit langer
Zeit sein Wunsch gewesen war, ganz und gar bis zur Vernichtung. Sie war
nicht mehr, sie sollte niemandem mehr angehören. ()n ne tue eins sou8
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<le vivrs, ig, Mg ä'etre kort." Diese Stelle ist geradezu eine Verherrlichung des
Mordes und müßte eigentlich als Motto auf den Kriminalakten jedes Staats-
anwalts stehen.

Der Verdacht des Mordes fällt ans Rvubaud und Cabuchvn, diesen armen,
unschuldigen, dummen Teufel, und beide werden nach langem gründlich ge¬
führten Prozeß zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. Schließlich gerät
Jacques mit seinem stets betrunkenen Heizer Pecquenx in Streit; Eifersucht
kommt hinzu, und während sie mit ihrer Lokomotive einen Militärzug fortzu¬
schaffen haben, der französische Truppen in den Krieg mit Deutschland führe»
soll, kommt es zwischen beiden auf der Lokomotive zu furchtbarem Kampfe, sie
Packen sich, stürzen beide in voller Fahrt mit entsetzlichem Schrei herunter und
werden zermalmt. Der Zug aber jagt mit rasender Geschwindigkeit weiter
durch alle Stationen: ohne Führer, in stockfinstrer Nacht, rollt er und rollt
und rollt wie eine blinde und taube Bestie, die man in den Tod schickt, be¬
laden mit jenem Kanonenfutter, mit jenen stumpfsinnigen, betrunknen und Lieder
brüllenden Soldaten.

Mit diesem Satze schließt die wunderbare Dichtung. Es ist einem nach
dem Lesen zu Mute, als hätte man einen unheimlichen schweren Traum gehabt,
als wäre man aus der gesunden Wirklichkeit in die Welt Geisteskranker ge¬
schleppt und dort mit allen Mitteln der Verführung festgehalten worden. Mau
klappt unwillkürlich das Messer auf dem Schreibtische zu, um von Anwand¬
lungen frei zu bleibe», aber mau klappt auch das Buch zu, um aufzuatmen
und die durcheinander gewirbelten Gedanken wieder in die richtige Reihenfolge
zu bringe».

Es wäre ein Leichtes, nachzuweisen, daß wir nicht nur unter den Figuren,
sondern auch in de» Szenen, die uns Zola in l^l l^>ceo incurgiiie vorführt,
diele alte Bekannte finden, die uns schon in frühern Romanen des Verfasse'.'.>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/183>, abgerufen am 03.07.2024.