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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessings Amtsgeiwsse in wolfenl'redet

"eben Achill oder Patroklus? Ich muß bekomm!, daß ich geneigt bin,
^lese Fragen zu bejahen. Hat doch auch der hellenische Dichter dein Jdeal-
^'nde seiner Helden den kleinen, verwachsenen, neidischen und schmähsüchtigeu
Manu gewissermaßen als Folie ihres Heldentumes zur Seite gestellt. Auch
trifft der Vergleich nicht einmal völlig zu. Denn wie glänzend und erfolgreich
sich auch Lessings Amtsführung nach außen hin darstellt, wie sehr auch durch
>h" der Ruhm der ihm unterstellten Anstalt gemehrt und verbreitet wurde,
zur die Bibliothek selbst ist seine Verwaltung doch nicht ohne bedenkliche Seiten
gewesen. Er hat eben seinem Programm gemäß die Bibliothek genutzt, und
1" ist auch ein Abglanz von dein Ruhme, der ihn umstrahlt, auf sie zurück¬
gefallen. Aber will man der Wahrheit die Ehre geben, so wird man zuge¬
stehen müssen, daß ihm, wie um einmal seine Natur war, die rechte Herzens-
^'äriue für sein Amt und den ihm anvertrauten Bücherschatz nicht oder doch
uicht sehr tief innewohnte. Mau lese nur, was schou Schönemann im fünften
^unde des Serapeums darüber gesagt hat. "Eine anhaltende Arbeit, die mich
abmattet, ohne mich zu vergnügen," so nennt er selbst einmal seine amtliche
Thätigkeit. So ist es begreiflich, daß in keinem, der ältern Kataloge, in keinem
^er s" zahlreichen Manuskripte, ja -- ich glaube behaupten zu dürfe" -- in
deinem einzigen Buche der ganzen Bibliothek sich die geringste Notiz von
^essings Hand findet. Nicht einmal dafür hat er gesorgt, daß der früher
^lvähnte, von ihm ans der Vergessenheit hervorgezogene und mit so großem
^übel angekündigte Marchthalersche Stammbaum ordnungsmäßig in den Hand-
Ichrifteukatalog eingetragen wurde. Überhaupt findet sich, abgesehen von einem
^"zigen Bericht und ein paar Konzepte" zu solchen, von einigen kurzen Briefen
den Herzog") und einigen Gehaltsquittuugeu aus seiner Zeit kein einziges
^alt von Lessings Hand in der Bibliothek: alles, was sie an I.L88inFiiuu8
^'sitzt, ist nach Lessings Zeit, bisweilen mit nicht unbedeutenden Geldopfern,
^worden worden. Eine Ausnahme bildet nnr eine Anzahl großer Bogen,
^"in Lessings Hand mit den Namen von Künstlern, Kupferstechern n. s. w. ver¬
edelt und zur Aufnahme der Knustblätter bestimmt, die er ans den Klebe-
^'indem der Bibliothek herausgelöst hatte, um sie dem Herzog Karl für dessen
^eblingsschöpfuug, das damals von ihm eingerichtete Kunst- und Naturalien-
^binet in Brnunschweig, zu übermitteln, ein Verfahren, das -- in maximum,
^U>Uol^Lvae (lölriimzuwW, plan! hat sein Aintsnachfolger Langer dazu de-
'Nerkt -- kein günstiges Zeugnis für Lessings Interesse um der von ihm ver¬
alteten Anstalt ablegt. Das Bedenklichste aber war die vornehm-nachlässige
^ise, mit der er die niedrigen, alltäglichen und doch so notwendigen Geschäfte
Bibliothek behandelte. Gleich so vielen genialen Naturen fehlte ihm der
strenge Sinn für Ordnung, den ein Fachmann unsrer Zeit als das erste und
"^wendigste Erfordernis eines guten Bibliothekars bezeichnet, weil sich ohne



*) Sie sind sämtlich gedruckt ilei v. Heincmanu, Zur Enmwnnig um G. E. Lessing.
Lessings Amtsgeiwsse in wolfenl'redet

»eben Achill oder Patroklus? Ich muß bekomm!, daß ich geneigt bin,
^lese Fragen zu bejahen. Hat doch auch der hellenische Dichter dein Jdeal-
^'nde seiner Helden den kleinen, verwachsenen, neidischen und schmähsüchtigeu
Manu gewissermaßen als Folie ihres Heldentumes zur Seite gestellt. Auch
trifft der Vergleich nicht einmal völlig zu. Denn wie glänzend und erfolgreich
sich auch Lessings Amtsführung nach außen hin darstellt, wie sehr auch durch
>h» der Ruhm der ihm unterstellten Anstalt gemehrt und verbreitet wurde,
zur die Bibliothek selbst ist seine Verwaltung doch nicht ohne bedenkliche Seiten
gewesen. Er hat eben seinem Programm gemäß die Bibliothek genutzt, und
1" ist auch ein Abglanz von dein Ruhme, der ihn umstrahlt, auf sie zurück¬
gefallen. Aber will man der Wahrheit die Ehre geben, so wird man zuge¬
stehen müssen, daß ihm, wie um einmal seine Natur war, die rechte Herzens-
^'äriue für sein Amt und den ihm anvertrauten Bücherschatz nicht oder doch
uicht sehr tief innewohnte. Mau lese nur, was schou Schönemann im fünften
^unde des Serapeums darüber gesagt hat. „Eine anhaltende Arbeit, die mich
abmattet, ohne mich zu vergnügen," so nennt er selbst einmal seine amtliche
Thätigkeit. So ist es begreiflich, daß in keinem, der ältern Kataloge, in keinem
^er s» zahlreichen Manuskripte, ja — ich glaube behaupten zu dürfe» — in
deinem einzigen Buche der ganzen Bibliothek sich die geringste Notiz von
^essings Hand findet. Nicht einmal dafür hat er gesorgt, daß der früher
^lvähnte, von ihm ans der Vergessenheit hervorgezogene und mit so großem
^übel angekündigte Marchthalersche Stammbaum ordnungsmäßig in den Hand-
Ichrifteukatalog eingetragen wurde. Überhaupt findet sich, abgesehen von einem
^»zigen Bericht und ein paar Konzepte» zu solchen, von einigen kurzen Briefen
den Herzog") und einigen Gehaltsquittuugeu aus seiner Zeit kein einziges
^alt von Lessings Hand in der Bibliothek: alles, was sie an I.L88inFiiuu8
^'sitzt, ist nach Lessings Zeit, bisweilen mit nicht unbedeutenden Geldopfern,
^worden worden. Eine Ausnahme bildet nnr eine Anzahl großer Bogen,
^"in Lessings Hand mit den Namen von Künstlern, Kupferstechern n. s. w. ver¬
edelt und zur Aufnahme der Knustblätter bestimmt, die er ans den Klebe-
^'indem der Bibliothek herausgelöst hatte, um sie dem Herzog Karl für dessen
^eblingsschöpfuug, das damals von ihm eingerichtete Kunst- und Naturalien-
^binet in Brnunschweig, zu übermitteln, ein Verfahren, das — in maximum,
^U>Uol^Lvae (lölriimzuwW, plan! hat sein Aintsnachfolger Langer dazu de-
'Nerkt — kein günstiges Zeugnis für Lessings Interesse um der von ihm ver¬
alteten Anstalt ablegt. Das Bedenklichste aber war die vornehm-nachlässige
^ise, mit der er die niedrigen, alltäglichen und doch so notwendigen Geschäfte
Bibliothek behandelte. Gleich so vielen genialen Naturen fehlte ihm der
strenge Sinn für Ordnung, den ein Fachmann unsrer Zeit als das erste und
"^wendigste Erfordernis eines guten Bibliothekars bezeichnet, weil sich ohne



*) Sie sind sämtlich gedruckt ilei v. Heincmanu, Zur Enmwnnig um G. E. Lessing.
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[0171] Lessings Amtsgeiwsse in wolfenl'redet »eben Achill oder Patroklus? Ich muß bekomm!, daß ich geneigt bin, ^lese Fragen zu bejahen. Hat doch auch der hellenische Dichter dein Jdeal- ^'nde seiner Helden den kleinen, verwachsenen, neidischen und schmähsüchtigeu Manu gewissermaßen als Folie ihres Heldentumes zur Seite gestellt. Auch trifft der Vergleich nicht einmal völlig zu. Denn wie glänzend und erfolgreich sich auch Lessings Amtsführung nach außen hin darstellt, wie sehr auch durch >h» der Ruhm der ihm unterstellten Anstalt gemehrt und verbreitet wurde, zur die Bibliothek selbst ist seine Verwaltung doch nicht ohne bedenkliche Seiten gewesen. Er hat eben seinem Programm gemäß die Bibliothek genutzt, und 1" ist auch ein Abglanz von dein Ruhme, der ihn umstrahlt, auf sie zurück¬ gefallen. Aber will man der Wahrheit die Ehre geben, so wird man zuge¬ stehen müssen, daß ihm, wie um einmal seine Natur war, die rechte Herzens- ^'äriue für sein Amt und den ihm anvertrauten Bücherschatz nicht oder doch uicht sehr tief innewohnte. Mau lese nur, was schou Schönemann im fünften ^unde des Serapeums darüber gesagt hat. „Eine anhaltende Arbeit, die mich abmattet, ohne mich zu vergnügen," so nennt er selbst einmal seine amtliche Thätigkeit. So ist es begreiflich, daß in keinem, der ältern Kataloge, in keinem ^er s» zahlreichen Manuskripte, ja — ich glaube behaupten zu dürfe» — in deinem einzigen Buche der ganzen Bibliothek sich die geringste Notiz von ^essings Hand findet. Nicht einmal dafür hat er gesorgt, daß der früher ^lvähnte, von ihm ans der Vergessenheit hervorgezogene und mit so großem ^übel angekündigte Marchthalersche Stammbaum ordnungsmäßig in den Hand- Ichrifteukatalog eingetragen wurde. Überhaupt findet sich, abgesehen von einem ^»zigen Bericht und ein paar Konzepte» zu solchen, von einigen kurzen Briefen den Herzog") und einigen Gehaltsquittuugeu aus seiner Zeit kein einziges ^alt von Lessings Hand in der Bibliothek: alles, was sie an I.L88inFiiuu8 ^'sitzt, ist nach Lessings Zeit, bisweilen mit nicht unbedeutenden Geldopfern, ^worden worden. Eine Ausnahme bildet nnr eine Anzahl großer Bogen, ^"in Lessings Hand mit den Namen von Künstlern, Kupferstechern n. s. w. ver¬ edelt und zur Aufnahme der Knustblätter bestimmt, die er ans den Klebe- ^'indem der Bibliothek herausgelöst hatte, um sie dem Herzog Karl für dessen ^eblingsschöpfuug, das damals von ihm eingerichtete Kunst- und Naturalien- ^binet in Brnunschweig, zu übermitteln, ein Verfahren, das — in maximum, ^U>Uol^Lvae (lölriimzuwW, plan! hat sein Aintsnachfolger Langer dazu de- 'Nerkt — kein günstiges Zeugnis für Lessings Interesse um der von ihm ver¬ alteten Anstalt ablegt. Das Bedenklichste aber war die vornehm-nachlässige ^ise, mit der er die niedrigen, alltäglichen und doch so notwendigen Geschäfte Bibliothek behandelte. Gleich so vielen genialen Naturen fehlte ihm der strenge Sinn für Ordnung, den ein Fachmann unsrer Zeit als das erste und "^wendigste Erfordernis eines guten Bibliothekars bezeichnet, weil sich ohne *) Sie sind sämtlich gedruckt ilei v. Heincmanu, Zur Enmwnnig um G. E. Lessing.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/171>, abgerufen am 28.12.2024.