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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessings Amtsgenosse in Ivolfenbiittel

ihn eine Büchersammlung, abgesehen von den sich dabei ergebenden unvermeid¬
lichen Verlusten, mit der Zeit in ein unentwirrbares und daher unbrauchbares
Chaos verkehren muß. Wie Lessing diese eigentlichen Bibliotheksgeschnfte
vernachlässigte, darüber hat schon Schönemann einiges bemerkt. Wertvolle
auf Veranlassung v. Pranns erworbene Manuskripte wurden weder in das
Accessionsbnch noch in die Kataloge eingetragen, bedeutende Werke aus einer
der damals noch getrennt abgestellten Einzelsammlnngen wurden in die andre
versetzt, sodaß sie nach Lessings Tode nicht aufzufinden waren, Handschriften
dem allgemeinen Gebrauche dadurch entzogen, daß sie während Lessings italie¬
nischer Reise in dessen Wohnung oder anderwärts unbenutzt umherlagen-
Dreißig Manuskripte und hundertfünfzig gedruckte Bucher, die der Bibliothek
gehörten, fanden sich nach Lessings Tode in seinem Hause ohne irgeud einen
Ansleihnachweis in der Biblivtheksregistratnr. Sein jüngerer Bruder Johann
Theophilus sandte im Jahre 1782 zwei Handschriften und eine Ausgabe des
Martini an die Bibliothek zurück, "die er M"o 1777 von seinem Bruder er¬
halten hatte" (also nach fünf Jahren) nud über die sich gleichfalls kein Ver¬
merk in dem Registraturbuche siudet. Die Neuanschaffungen aus dem. aller¬
dings lächerlich kleinen llnterhaltnngsfonds der Bibliothek geschahen fast
ausschließlich in der Richtung, in der sich Lessings persönliches Interesse vor¬
zugsweise bewegte, sodaß selbst die Fortsetzung mancher in ihren Anfänge"
angeschafften Werke unterbleiben mußte. Rechnung endlich ist während der
ganzen Deiner seiner Amtsführring niemals abgelegt worden.

Für das "Mechanische" der Bibliothek, d. h. für das Ordnen, Einschalten,
Numeriren, Verzeichnen, Ausleihen n. f. w. der Bücher waren bei Lessings
Amtsantritt, wie schon bemerkt, abgesehen von dem Bibliotheksknechte, die
beiden Sekretäre von Cichin und Meyne in Aussicht genommen, von denen
Cichin seit 175)8 angestellt war, Meyne außerdem noch die nämliche Stellung
am Archiv zu versehen hatte. Dn aber Meyne bereits am 3. Februar 1?^
starb, wurde die zweite Sekretärstelle ganz eingezogen, sodaß sich nun Leasing u>
Bezug auf jene untergeordneten Nibliotheksarbeiten allein ans Cichin angewiesen
sah. Dies ist um so auffallender, als man bisher mit diesem keineswegs zu^
frieden gewesen war. In dein Protokoll über Lessings Einführung heißt es
wörtlich:*) "Nach Leistung des Eides wurden der gegenwärtige Ssvrvtiarius
von < iebi" und der gleichfalls herbeygerufene Bibliothek-Diener Il<!>in> ein
gedachten neuen >!>>>it-n>U!>uiiuni Ilg8lag' verwiesen; ersterer aber besonder-
anbey bedeutet, daß er sich durch Folgsamkeit gegen den LibliotnczoWMM "ut
cleourate und fleißige Ausrichtung alles dessen, was ihm werde aufgegeben
werden, zu gualifireu habe; wovon er seiner Seits die Befolgung versprochen-
Wobey Sr. Excellenz ^Herr von Pranns hinzufügten, daß, weil sich bey Aus¬
leihung der Bücher allerley Unordnung hervorgethan, er, der 8e0n?t.!N'U-d



^) v, Heinemaim a. O., Seite 185.
Lessings Amtsgenosse in Ivolfenbiittel

ihn eine Büchersammlung, abgesehen von den sich dabei ergebenden unvermeid¬
lichen Verlusten, mit der Zeit in ein unentwirrbares und daher unbrauchbares
Chaos verkehren muß. Wie Lessing diese eigentlichen Bibliotheksgeschnfte
vernachlässigte, darüber hat schon Schönemann einiges bemerkt. Wertvolle
auf Veranlassung v. Pranns erworbene Manuskripte wurden weder in das
Accessionsbnch noch in die Kataloge eingetragen, bedeutende Werke aus einer
der damals noch getrennt abgestellten Einzelsammlnngen wurden in die andre
versetzt, sodaß sie nach Lessings Tode nicht aufzufinden waren, Handschriften
dem allgemeinen Gebrauche dadurch entzogen, daß sie während Lessings italie¬
nischer Reise in dessen Wohnung oder anderwärts unbenutzt umherlagen-
Dreißig Manuskripte und hundertfünfzig gedruckte Bucher, die der Bibliothek
gehörten, fanden sich nach Lessings Tode in seinem Hause ohne irgeud einen
Ansleihnachweis in der Biblivtheksregistratnr. Sein jüngerer Bruder Johann
Theophilus sandte im Jahre 1782 zwei Handschriften und eine Ausgabe des
Martini an die Bibliothek zurück, „die er M»o 1777 von seinem Bruder er¬
halten hatte" (also nach fünf Jahren) nud über die sich gleichfalls kein Ver¬
merk in dem Registraturbuche siudet. Die Neuanschaffungen aus dem. aller¬
dings lächerlich kleinen llnterhaltnngsfonds der Bibliothek geschahen fast
ausschließlich in der Richtung, in der sich Lessings persönliches Interesse vor¬
zugsweise bewegte, sodaß selbst die Fortsetzung mancher in ihren Anfänge»
angeschafften Werke unterbleiben mußte. Rechnung endlich ist während der
ganzen Deiner seiner Amtsführring niemals abgelegt worden.

Für das „Mechanische" der Bibliothek, d. h. für das Ordnen, Einschalten,
Numeriren, Verzeichnen, Ausleihen n. f. w. der Bücher waren bei Lessings
Amtsantritt, wie schon bemerkt, abgesehen von dem Bibliotheksknechte, die
beiden Sekretäre von Cichin und Meyne in Aussicht genommen, von denen
Cichin seit 175)8 angestellt war, Meyne außerdem noch die nämliche Stellung
am Archiv zu versehen hatte. Dn aber Meyne bereits am 3. Februar 1?^
starb, wurde die zweite Sekretärstelle ganz eingezogen, sodaß sich nun Leasing u>
Bezug auf jene untergeordneten Nibliotheksarbeiten allein ans Cichin angewiesen
sah. Dies ist um so auffallender, als man bisher mit diesem keineswegs zu^
frieden gewesen war. In dein Protokoll über Lessings Einführung heißt es
wörtlich:*) „Nach Leistung des Eides wurden der gegenwärtige Ssvrvtiarius
von < iebi» und der gleichfalls herbeygerufene Bibliothek-Diener Il<!>in> ein
gedachten neuen >!>>>it-n>U!>uiiuni Ilg8lag' verwiesen; ersterer aber besonder-
anbey bedeutet, daß er sich durch Folgsamkeit gegen den LibliotnczoWMM »ut
cleourate und fleißige Ausrichtung alles dessen, was ihm werde aufgegeben
werden, zu gualifireu habe; wovon er seiner Seits die Befolgung versprochen-
Wobey Sr. Excellenz ^Herr von Pranns hinzufügten, daß, weil sich bey Aus¬
leihung der Bücher allerley Unordnung hervorgethan, er, der 8e0n?t.!N'U-d



^) v, Heinemaim a. O., Seite 185.
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[0172] Lessings Amtsgenosse in Ivolfenbiittel ihn eine Büchersammlung, abgesehen von den sich dabei ergebenden unvermeid¬ lichen Verlusten, mit der Zeit in ein unentwirrbares und daher unbrauchbares Chaos verkehren muß. Wie Lessing diese eigentlichen Bibliotheksgeschnfte vernachlässigte, darüber hat schon Schönemann einiges bemerkt. Wertvolle auf Veranlassung v. Pranns erworbene Manuskripte wurden weder in das Accessionsbnch noch in die Kataloge eingetragen, bedeutende Werke aus einer der damals noch getrennt abgestellten Einzelsammlnngen wurden in die andre versetzt, sodaß sie nach Lessings Tode nicht aufzufinden waren, Handschriften dem allgemeinen Gebrauche dadurch entzogen, daß sie während Lessings italie¬ nischer Reise in dessen Wohnung oder anderwärts unbenutzt umherlagen- Dreißig Manuskripte und hundertfünfzig gedruckte Bucher, die der Bibliothek gehörten, fanden sich nach Lessings Tode in seinem Hause ohne irgeud einen Ansleihnachweis in der Biblivtheksregistratnr. Sein jüngerer Bruder Johann Theophilus sandte im Jahre 1782 zwei Handschriften und eine Ausgabe des Martini an die Bibliothek zurück, „die er M»o 1777 von seinem Bruder er¬ halten hatte" (also nach fünf Jahren) nud über die sich gleichfalls kein Ver¬ merk in dem Registraturbuche siudet. Die Neuanschaffungen aus dem. aller¬ dings lächerlich kleinen llnterhaltnngsfonds der Bibliothek geschahen fast ausschließlich in der Richtung, in der sich Lessings persönliches Interesse vor¬ zugsweise bewegte, sodaß selbst die Fortsetzung mancher in ihren Anfänge» angeschafften Werke unterbleiben mußte. Rechnung endlich ist während der ganzen Deiner seiner Amtsführring niemals abgelegt worden. Für das „Mechanische" der Bibliothek, d. h. für das Ordnen, Einschalten, Numeriren, Verzeichnen, Ausleihen n. f. w. der Bücher waren bei Lessings Amtsantritt, wie schon bemerkt, abgesehen von dem Bibliotheksknechte, die beiden Sekretäre von Cichin und Meyne in Aussicht genommen, von denen Cichin seit 175)8 angestellt war, Meyne außerdem noch die nämliche Stellung am Archiv zu versehen hatte. Dn aber Meyne bereits am 3. Februar 1?^ starb, wurde die zweite Sekretärstelle ganz eingezogen, sodaß sich nun Leasing u> Bezug auf jene untergeordneten Nibliotheksarbeiten allein ans Cichin angewiesen sah. Dies ist um so auffallender, als man bisher mit diesem keineswegs zu^ frieden gewesen war. In dein Protokoll über Lessings Einführung heißt es wörtlich:*) „Nach Leistung des Eides wurden der gegenwärtige Ssvrvtiarius von < iebi» und der gleichfalls herbeygerufene Bibliothek-Diener Il<!>in> ein gedachten neuen >!>>>it-n>U!>uiiuni Ilg8lag' verwiesen; ersterer aber besonder- anbey bedeutet, daß er sich durch Folgsamkeit gegen den LibliotnczoWMM »ut cleourate und fleißige Ausrichtung alles dessen, was ihm werde aufgegeben werden, zu gualifireu habe; wovon er seiner Seits die Befolgung versprochen- Wobey Sr. Excellenz ^Herr von Pranns hinzufügten, daß, weil sich bey Aus¬ leihung der Bücher allerley Unordnung hervorgethan, er, der 8e0n?t.!N'U-d ^) v, Heinemaim a. O., Seite 185.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/172>, abgerufen am 28.09.2024.