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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessings Amtsgcnosse in wolfenbiitiel

Verhindert,") mit dein Plane einer völligen Neuordnung der Bibliothek vorüber¬
gehend getragen haben, aber zu einer Ausführung, oder auch nur zu deu An¬
fängen dazu, ist dieser Plan ebensowenig gelangt,"") wie seine in der Vorrede
zu den "Beytrügen" angedeutete Absicht, die vorhandenen Kataloge der Biblio¬
thek, namentlich die der Handschriften, "gelegentlich zu erweitern und zu be¬
richtigen."""") Er selbst hat das Wesen seiner bibliothekarischen Wirksamkeit
in der knappen und treffenden Weise, die niemand so zu Gebote stand wie ihm,
in die Worte zusammengefaßt: "Ich will es nur bekennen, was von Anfang
an mein stolzer Vorsatz gewesen ist: lieber für die noch künftige Geschichte der
Bibliothek neuen Stoff zu brechen, als die Rechnungen von der verflossenen
aufzunehmen."

Habe ich so versucht, Lessings amtliche Thätigkeit, seine Bedeutung auch
als Bibliothekar, die Verdienste, die er sich um die ihm anvertraute Bücher-
scnumlung erworben hat, in flüchtigen Umrissen zu schildern, so würde freilich
zu einem vollen Bilde seiner letzten Lebensjahre auch eine eingehende Betrach¬
tung dessen erforderlich sein, was er außerhalb seiner Berufsthätigkeit während
dieser Jahre in Wolfenbüttel geschaffen hat. Hier aber ans jene geistige"
Großthaten und unvergänglichen Dichtungen -- die Erziehung des Menschen¬
geschlechtes, das Testament Johannis, die Gespräche für Freimaurer, die Emilia
Galotti und den Ratsam -- zurückzukommen, wie konnte ich mi'es dazu versucht
fühlen, nachdem die besten seiner Zeitgenossen, nachdem so viele hervorragende
Männer unsers Jahrhunderts darüber goldne Worte gesprochen? Ich gedenke
nur der Äußerung Herders: "Deine Bücher voll reiner Wahrheit, voll männ¬
lichen festen Gefühls, voll goldner, ewiger Güte und Schönheit werden,
lange Wahrheit Wahrheit ist und der menschliche Geist das, wozu er erschaffe"
ist, bleibt -- sie werden aufmuntern, belehren, befestigen und Männer wecke"-
die auch wie du der Wahrheit durchaus dienen."

Angesichts solcher Worte drängt sich die Frage ans: Ist es erlaubt,
nach einem Tagewerke von so universeller Bedeutung noch von den kleine"
Dienstverrichtungen, deu alltäglichen Geschäften zu reden, die auch ihm w>e
jedem gewöhnlichen Sterblichen sein Amt auferlegte, zu erörtern, wie ein solches
Mann diesen seinen Verpflichtungen gerecht geworden ist? Und weiter: DcM
man neben und in Verbindung mit einer Erscheinung von so hehrer Geistesgröße
und von einem so ausgeprägt antiken Charakter, wie Lessing es war, je"^
"verlaufenen Mönches" gedenken, den ihm der Zufall zum einzigen wisset
schaftlich gebildeten Amtsgenossen gegeben hatte, der sich aber, wenn matt
Totalität seiner Persönlichkeit erwägt, neben ihm ausnimmt wie Therstte'





K. G. Lessing, Gotthold Ephraim Lessings Leben I, Z35.
Vergl. Schvnemnn", Umrisse zur Geschichte und Beschreibung der Wolfenbüm^
Bibliothek im Seropeum V, 227 sf.
Beyträge 1, 7.
Lessings Amtsgcnosse in wolfenbiitiel

Verhindert,") mit dein Plane einer völligen Neuordnung der Bibliothek vorüber¬
gehend getragen haben, aber zu einer Ausführung, oder auch nur zu deu An¬
fängen dazu, ist dieser Plan ebensowenig gelangt,"") wie seine in der Vorrede
zu den „Beytrügen" angedeutete Absicht, die vorhandenen Kataloge der Biblio¬
thek, namentlich die der Handschriften, „gelegentlich zu erweitern und zu be¬
richtigen."""") Er selbst hat das Wesen seiner bibliothekarischen Wirksamkeit
in der knappen und treffenden Weise, die niemand so zu Gebote stand wie ihm,
in die Worte zusammengefaßt: „Ich will es nur bekennen, was von Anfang
an mein stolzer Vorsatz gewesen ist: lieber für die noch künftige Geschichte der
Bibliothek neuen Stoff zu brechen, als die Rechnungen von der verflossenen
aufzunehmen."

Habe ich so versucht, Lessings amtliche Thätigkeit, seine Bedeutung auch
als Bibliothekar, die Verdienste, die er sich um die ihm anvertraute Bücher-
scnumlung erworben hat, in flüchtigen Umrissen zu schildern, so würde freilich
zu einem vollen Bilde seiner letzten Lebensjahre auch eine eingehende Betrach¬
tung dessen erforderlich sein, was er außerhalb seiner Berufsthätigkeit während
dieser Jahre in Wolfenbüttel geschaffen hat. Hier aber ans jene geistige»
Großthaten und unvergänglichen Dichtungen — die Erziehung des Menschen¬
geschlechtes, das Testament Johannis, die Gespräche für Freimaurer, die Emilia
Galotti und den Ratsam — zurückzukommen, wie konnte ich mi'es dazu versucht
fühlen, nachdem die besten seiner Zeitgenossen, nachdem so viele hervorragende
Männer unsers Jahrhunderts darüber goldne Worte gesprochen? Ich gedenke
nur der Äußerung Herders: „Deine Bücher voll reiner Wahrheit, voll männ¬
lichen festen Gefühls, voll goldner, ewiger Güte und Schönheit werden,
lange Wahrheit Wahrheit ist und der menschliche Geist das, wozu er erschaffe»
ist, bleibt — sie werden aufmuntern, belehren, befestigen und Männer wecke»-
die auch wie du der Wahrheit durchaus dienen."

Angesichts solcher Worte drängt sich die Frage ans: Ist es erlaubt,
nach einem Tagewerke von so universeller Bedeutung noch von den kleine»
Dienstverrichtungen, deu alltäglichen Geschäften zu reden, die auch ihm w>e
jedem gewöhnlichen Sterblichen sein Amt auferlegte, zu erörtern, wie ein solches
Mann diesen seinen Verpflichtungen gerecht geworden ist? Und weiter: DcM
man neben und in Verbindung mit einer Erscheinung von so hehrer Geistesgröße
und von einem so ausgeprägt antiken Charakter, wie Lessing es war, je»^
„verlaufenen Mönches" gedenken, den ihm der Zufall zum einzigen wisset
schaftlich gebildeten Amtsgenossen gegeben hatte, der sich aber, wenn matt
Totalität seiner Persönlichkeit erwägt, neben ihm ausnimmt wie Therstte'





K. G. Lessing, Gotthold Ephraim Lessings Leben I, Z35.
Vergl. Schvnemnn», Umrisse zur Geschichte und Beschreibung der Wolfenbüm^
Bibliothek im Seropeum V, 227 sf.
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[0170] Lessings Amtsgcnosse in wolfenbiitiel Verhindert,") mit dein Plane einer völligen Neuordnung der Bibliothek vorüber¬ gehend getragen haben, aber zu einer Ausführung, oder auch nur zu deu An¬ fängen dazu, ist dieser Plan ebensowenig gelangt,"") wie seine in der Vorrede zu den „Beytrügen" angedeutete Absicht, die vorhandenen Kataloge der Biblio¬ thek, namentlich die der Handschriften, „gelegentlich zu erweitern und zu be¬ richtigen."""") Er selbst hat das Wesen seiner bibliothekarischen Wirksamkeit in der knappen und treffenden Weise, die niemand so zu Gebote stand wie ihm, in die Worte zusammengefaßt: „Ich will es nur bekennen, was von Anfang an mein stolzer Vorsatz gewesen ist: lieber für die noch künftige Geschichte der Bibliothek neuen Stoff zu brechen, als die Rechnungen von der verflossenen aufzunehmen." Habe ich so versucht, Lessings amtliche Thätigkeit, seine Bedeutung auch als Bibliothekar, die Verdienste, die er sich um die ihm anvertraute Bücher- scnumlung erworben hat, in flüchtigen Umrissen zu schildern, so würde freilich zu einem vollen Bilde seiner letzten Lebensjahre auch eine eingehende Betrach¬ tung dessen erforderlich sein, was er außerhalb seiner Berufsthätigkeit während dieser Jahre in Wolfenbüttel geschaffen hat. Hier aber ans jene geistige» Großthaten und unvergänglichen Dichtungen — die Erziehung des Menschen¬ geschlechtes, das Testament Johannis, die Gespräche für Freimaurer, die Emilia Galotti und den Ratsam — zurückzukommen, wie konnte ich mi'es dazu versucht fühlen, nachdem die besten seiner Zeitgenossen, nachdem so viele hervorragende Männer unsers Jahrhunderts darüber goldne Worte gesprochen? Ich gedenke nur der Äußerung Herders: „Deine Bücher voll reiner Wahrheit, voll männ¬ lichen festen Gefühls, voll goldner, ewiger Güte und Schönheit werden, lange Wahrheit Wahrheit ist und der menschliche Geist das, wozu er erschaffe» ist, bleibt — sie werden aufmuntern, belehren, befestigen und Männer wecke»- die auch wie du der Wahrheit durchaus dienen." Angesichts solcher Worte drängt sich die Frage ans: Ist es erlaubt, nach einem Tagewerke von so universeller Bedeutung noch von den kleine» Dienstverrichtungen, deu alltäglichen Geschäften zu reden, die auch ihm w>e jedem gewöhnlichen Sterblichen sein Amt auferlegte, zu erörtern, wie ein solches Mann diesen seinen Verpflichtungen gerecht geworden ist? Und weiter: DcM man neben und in Verbindung mit einer Erscheinung von so hehrer Geistesgröße und von einem so ausgeprägt antiken Charakter, wie Lessing es war, je»^ „verlaufenen Mönches" gedenken, den ihm der Zufall zum einzigen wisset schaftlich gebildeten Amtsgenossen gegeben hatte, der sich aber, wenn matt Totalität seiner Persönlichkeit erwägt, neben ihm ausnimmt wie Therstte' K. G. Lessing, Gotthold Ephraim Lessings Leben I, Z35. Vergl. Schvnemnn», Umrisse zur Geschichte und Beschreibung der Wolfenbüm^ Bibliothek im Seropeum V, 227 sf. Beyträge 1, 7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/170>, abgerufen am 23.07.2024.