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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessing!.' Amtsgenosse in MolfeiU'reick

"sondern Wolfenbüttel besitzt ihn, diese" Schatz. Bey uns muß ihn der Ge¬
lehrte suchen!"

Allein dieser erste Feuereifer Lessings für die Bibliothek und ihre bisher
tvenig erschlossenen oder ganz unbekannt gebliebenen litterarischen Schätze sollte
bald erkalten: früher, als man hätte denken sollen, wurde ihm seine "verlobte
Araue," wie er in einem Briefe an Ebert") kurz vor seiner Übersiedlung nach
wolfenbüttel die herrliche Büchersammlung genannt hatte, durch die Öde und
Einförmigkeit des Lebens verleidet, in das er sich gestellt sah. Nach seiner
italienischen Reise, die ihn über ein Jahr von Wolfenbüttel und der Bibliothek
tern hielt, und nach Überwindung unzähliger Hindernisse erfüllte sich ihm endlich
^in Herzenswunsch: er führte die geliebte Frau, mit der er lauge im engsten
freundschaftlichen Gedankenaustausch gestanden hatte und die ihm nun ein be¬
hagliches, anmutiges Heim schaffe" sollte, in sei" Haus. Aber nach einjähriger
glücklichster Ehe wurde dieser Bund durch Tod zerrisse". "Ich wollte es auch
eunnal so gut haben wie andere Mensche", aber es ist mir schlecht bekommen" --
"ut diesen Worten teilt er dem Freunde in Braunschweig den Tod des Knaben
Mit,^) ^ ilM seine Eva geschenkt hatte, und als ihm dann "der kleine
^uschelkvpf auch die Mutter mit fortgezerrt" hat, bricht er in die erschütternde
^lage aus: "Wenn ich mit der einen Hülste meiner übrigen Tage das Glück
erkaufen könnte, die übrige Hälfte in Gesellschaft dieser Frau zu verlebe", wie
"Mi v^lit' ich es thun!"

Es kamen die Jahre des Kampfes, der Nerketzernng, der Vereinsamung,
^'"e '^ahre, die man wohl als Lessings Martyrium bezeichnet hat. Sein
Lebensmut schien mit dein Tode der über alles geliebte" Frnn völlig gebrochen,
'""d sthvu meldeten sich die unheimlichen Vorboten jeuer Krankheit, die nach
wenige,, Jahren seinen von Natur so rüstigen und gesunden Körper der Auf¬
lösung entgegenführen sollte. Dazu gesellten sich die vielfachen Kränkungen
">it Verdrießlichkeiten, die ihm ans der Veröffentlichung der sogenannten
^vlfenbüttler Fragmente erwuchsen, eines bekanntlich im deistischen Sinne von
^Muet Reimarus verfaßten Werkes, das Lessing aber, um dafür die ihm für
^öffeutlichnngen ans der Bibliothek gewährte Zeusurfreiheit auszunützen, für
^>ich h^. Wolfeubüttler Manuskripte ausgab, sowie die infolge dieser Veröffent-
^h""g eutbreuueude Fehde mit Göze nud seine," Anhange, den "Zivns-
^edlern," die ihm de" Rest seiner Lebenstage verbitterte. Den eigentlichen
'^'livthekarischen Arbeiten wurde er dadurch noch mehr entfremdet. Wohl führte
^ un allgemeinen die Verwaltung der Bibliothek weiter, wohl spendete er ab
^ An "och nu bekannte oder befreundete Gelehrte ans der Fülle seines biblio-
leknrischen Wissens reiche Belehrung, wohl mag er sich anch, wie sein Bruder




Werke XX, I, 190.
Werke XX, 1, 462.
^'eiiMten II 1890 LI
Lessing!.' Amtsgenosse in MolfeiU'reick

„sondern Wolfenbüttel besitzt ihn, diese» Schatz. Bey uns muß ihn der Ge¬
lehrte suchen!"

Allein dieser erste Feuereifer Lessings für die Bibliothek und ihre bisher
tvenig erschlossenen oder ganz unbekannt gebliebenen litterarischen Schätze sollte
bald erkalten: früher, als man hätte denken sollen, wurde ihm seine „verlobte
Araue," wie er in einem Briefe an Ebert") kurz vor seiner Übersiedlung nach
wolfenbüttel die herrliche Büchersammlung genannt hatte, durch die Öde und
Einförmigkeit des Lebens verleidet, in das er sich gestellt sah. Nach seiner
italienischen Reise, die ihn über ein Jahr von Wolfenbüttel und der Bibliothek
tern hielt, und nach Überwindung unzähliger Hindernisse erfüllte sich ihm endlich
^in Herzenswunsch: er führte die geliebte Frau, mit der er lauge im engsten
freundschaftlichen Gedankenaustausch gestanden hatte und die ihm nun ein be¬
hagliches, anmutiges Heim schaffe» sollte, in sei» Haus. Aber nach einjähriger
glücklichster Ehe wurde dieser Bund durch Tod zerrisse». „Ich wollte es auch
eunnal so gut haben wie andere Mensche», aber es ist mir schlecht bekommen" —
"ut diesen Worten teilt er dem Freunde in Braunschweig den Tod des Knaben
Mit,^) ^ ilM seine Eva geschenkt hatte, und als ihm dann „der kleine
^uschelkvpf auch die Mutter mit fortgezerrt" hat, bricht er in die erschütternde
^lage aus: „Wenn ich mit der einen Hülste meiner übrigen Tage das Glück
erkaufen könnte, die übrige Hälfte in Gesellschaft dieser Frau zu verlebe», wie
«Mi v^lit' ich es thun!"

Es kamen die Jahre des Kampfes, der Nerketzernng, der Vereinsamung,
^'»e '^ahre, die man wohl als Lessings Martyrium bezeichnet hat. Sein
Lebensmut schien mit dein Tode der über alles geliebte» Frnn völlig gebrochen,
'""d sthvu meldeten sich die unheimlichen Vorboten jeuer Krankheit, die nach
wenige,, Jahren seinen von Natur so rüstigen und gesunden Körper der Auf¬
lösung entgegenführen sollte. Dazu gesellten sich die vielfachen Kränkungen
">it Verdrießlichkeiten, die ihm ans der Veröffentlichung der sogenannten
^vlfenbüttler Fragmente erwuchsen, eines bekanntlich im deistischen Sinne von
^Muet Reimarus verfaßten Werkes, das Lessing aber, um dafür die ihm für
^öffeutlichnngen ans der Bibliothek gewährte Zeusurfreiheit auszunützen, für
^>ich h^. Wolfeubüttler Manuskripte ausgab, sowie die infolge dieser Veröffent-
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^edlern," die ihm de» Rest seiner Lebenstage verbitterte. Den eigentlichen
'^'livthekarischen Arbeiten wurde er dadurch noch mehr entfremdet. Wohl führte
^ un allgemeinen die Verwaltung der Bibliothek weiter, wohl spendete er ab
^ An »och nu bekannte oder befreundete Gelehrte ans der Fülle seines biblio-
leknrischen Wissens reiche Belehrung, wohl mag er sich anch, wie sein Bruder




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[0169] Lessing!.' Amtsgenosse in MolfeiU'reick „sondern Wolfenbüttel besitzt ihn, diese» Schatz. Bey uns muß ihn der Ge¬ lehrte suchen!" Allein dieser erste Feuereifer Lessings für die Bibliothek und ihre bisher tvenig erschlossenen oder ganz unbekannt gebliebenen litterarischen Schätze sollte bald erkalten: früher, als man hätte denken sollen, wurde ihm seine „verlobte Araue," wie er in einem Briefe an Ebert") kurz vor seiner Übersiedlung nach wolfenbüttel die herrliche Büchersammlung genannt hatte, durch die Öde und Einförmigkeit des Lebens verleidet, in das er sich gestellt sah. Nach seiner italienischen Reise, die ihn über ein Jahr von Wolfenbüttel und der Bibliothek tern hielt, und nach Überwindung unzähliger Hindernisse erfüllte sich ihm endlich ^in Herzenswunsch: er führte die geliebte Frau, mit der er lauge im engsten freundschaftlichen Gedankenaustausch gestanden hatte und die ihm nun ein be¬ hagliches, anmutiges Heim schaffe» sollte, in sei» Haus. Aber nach einjähriger glücklichster Ehe wurde dieser Bund durch Tod zerrisse». „Ich wollte es auch eunnal so gut haben wie andere Mensche», aber es ist mir schlecht bekommen" — "ut diesen Worten teilt er dem Freunde in Braunschweig den Tod des Knaben Mit,^) ^ ilM seine Eva geschenkt hatte, und als ihm dann „der kleine ^uschelkvpf auch die Mutter mit fortgezerrt" hat, bricht er in die erschütternde ^lage aus: „Wenn ich mit der einen Hülste meiner übrigen Tage das Glück erkaufen könnte, die übrige Hälfte in Gesellschaft dieser Frau zu verlebe», wie «Mi v^lit' ich es thun!" Es kamen die Jahre des Kampfes, der Nerketzernng, der Vereinsamung, ^'»e '^ahre, die man wohl als Lessings Martyrium bezeichnet hat. Sein Lebensmut schien mit dein Tode der über alles geliebte» Frnn völlig gebrochen, '""d sthvu meldeten sich die unheimlichen Vorboten jeuer Krankheit, die nach wenige,, Jahren seinen von Natur so rüstigen und gesunden Körper der Auf¬ lösung entgegenführen sollte. Dazu gesellten sich die vielfachen Kränkungen ">it Verdrießlichkeiten, die ihm ans der Veröffentlichung der sogenannten ^vlfenbüttler Fragmente erwuchsen, eines bekanntlich im deistischen Sinne von ^Muet Reimarus verfaßten Werkes, das Lessing aber, um dafür die ihm für ^öffeutlichnngen ans der Bibliothek gewährte Zeusurfreiheit auszunützen, für ^>ich h^. Wolfeubüttler Manuskripte ausgab, sowie die infolge dieser Veröffent- ^h»»g eutbreuueude Fehde mit Göze nud seine,» Anhange, den „Zivns- ^edlern," die ihm de» Rest seiner Lebenstage verbitterte. Den eigentlichen '^'livthekarischen Arbeiten wurde er dadurch noch mehr entfremdet. Wohl führte ^ un allgemeinen die Verwaltung der Bibliothek weiter, wohl spendete er ab ^ An »och nu bekannte oder befreundete Gelehrte ans der Fülle seines biblio- leknrischen Wissens reiche Belehrung, wohl mag er sich anch, wie sein Bruder Werke XX, I, 190. Werke XX, 1, 462. ^'eiiMten II 1890 LI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/169>, abgerufen am 23.07.2024.