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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessings Amtsgenosse in wolfenl'üttel

der ehemaligen Klvsterbibliothek von Weißenburg im Elsaß die schon erwähnte
Schrift des Berengarius von Tours, mit der dieser auf das "niederdonnernde,
triumphirende Werk" seines Gegners Lanfrnne, die Encharestin, erwidert hatte,
wahrend die katholischen Theologen, namentlich die Benediktiner, behaupteten,
daß, um mit Lessings Worten zu reden, "Berengar die Widerlegung des Lan-
franc ohne Antwort gelassen, ja annahmen, daß die Vorsehung sich eben jener
Widerlegung bedient habe, dem unglücklichen Scholastiker die Augen zu öffnen
und das Herz zu rühre", kurz dem Buche deS Lanfrancus die Bekehrung des
Berengarius zuschrieben." Mit begreiflicher Freude kündigte Lessing diesen
Fund an. "Sie kennen," schreibt er seinem Vater,") "den Berengarius, welcher
sich in dem elften Jahrhundert der Lehre der Transsubstantiation widersetzte.
Von diesem habe ich nnn ein Werk aufgefunden, von dem ich sagen darf, daß
noch kein Mensch etwas weiß, dessen Existenz die Katholiken schlechterdings ge¬
leugnet haben." Und an seineu Freund Konrad Arnold Schmid in Braun-
schweig""): "Was meinen Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ein Werk des Beren¬
garius, ein umständliches, ausführliches Werk, welches allem Ansehen nach sein
wichtigstes Werk gewesen ist, daß so ein Werk, dessen kein Mensch gedenket,
von dessen Wichtigkeit sich niemand träumen lassen, daß so ein Werk, von dein
solcher Dinge sonst sehr kundige Männer sogar behaupten, daß es nie eristirt
habe, auf dessen Nichtsein eben diese Männer ganze Gebäude von frommen
Vermutungen und Lügen aufführen: was meinen Sie, wenn ich Ihnen sage,
daß ein solches Werk noch vorhanden, daß es hier bei uus, unter den un¬
gedruckten Schätzen der hiesigen fürstlichen Bibliothek vorhanden?"

Der Ankündigung des Berengarius folgten in den Jahren 1773 und 1774
die drei ersten Beiträge "Zur Geschichte und Litteratur, aus den Schätze" der
herzoglichen Bibliothek zu Wölfen duldet," deren Inhalt fast ausschließlich von
Lessing herrührt, und im Jahre 1774 der Aufsatz "Über das Alter der Ölmalerei)
ans dem Theophilus Presbyter," dessen älteste und beste Handschrift gleich¬
falls in Wolfenbüttel verwahrt wird. Mit wie großer und unverhohlener
Geringschätzung auch Lessing auf diese kleinen bibliothekarischen Arbeiten ^ er
nennt sie einmal "gelehrte Krätze" -- herabzusehen sich die Miene giebt, die
Freude und Genugthuung, die er bei jeder wichtigeren Entdeckung empfindet,
bricht doch -- gegen seinen Willen -- hervor. Mit welchem Behagen schildert
er,""") wie er ganz unvermutet in einen: verschlossenen Kasten, zu dem sich sogar
der Schlüssel verloren hatte, unter einem. "Prasse" von ausgemerzten Kupfer"
und Charten den Marchthalerschen Stammbaum der Sohne Adams, d. h. der
Mensche" (Tarich Beni Adam) auffand! "Nicht Wien," so ruft er aus,





Werke XX, 1, S. Als.
Werke XIV,
Zur Geschichte und Litteratur I, 95.
Lessings Amtsgenosse in wolfenl'üttel

der ehemaligen Klvsterbibliothek von Weißenburg im Elsaß die schon erwähnte
Schrift des Berengarius von Tours, mit der dieser auf das „niederdonnernde,
triumphirende Werk" seines Gegners Lanfrnne, die Encharestin, erwidert hatte,
wahrend die katholischen Theologen, namentlich die Benediktiner, behaupteten,
daß, um mit Lessings Worten zu reden, „Berengar die Widerlegung des Lan-
franc ohne Antwort gelassen, ja annahmen, daß die Vorsehung sich eben jener
Widerlegung bedient habe, dem unglücklichen Scholastiker die Augen zu öffnen
und das Herz zu rühre», kurz dem Buche deS Lanfrancus die Bekehrung des
Berengarius zuschrieben." Mit begreiflicher Freude kündigte Lessing diesen
Fund an. „Sie kennen," schreibt er seinem Vater,") „den Berengarius, welcher
sich in dem elften Jahrhundert der Lehre der Transsubstantiation widersetzte.
Von diesem habe ich nnn ein Werk aufgefunden, von dem ich sagen darf, daß
noch kein Mensch etwas weiß, dessen Existenz die Katholiken schlechterdings ge¬
leugnet haben." Und an seineu Freund Konrad Arnold Schmid in Braun-
schweig""): „Was meinen Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ein Werk des Beren¬
garius, ein umständliches, ausführliches Werk, welches allem Ansehen nach sein
wichtigstes Werk gewesen ist, daß so ein Werk, dessen kein Mensch gedenket,
von dessen Wichtigkeit sich niemand träumen lassen, daß so ein Werk, von dein
solcher Dinge sonst sehr kundige Männer sogar behaupten, daß es nie eristirt
habe, auf dessen Nichtsein eben diese Männer ganze Gebäude von frommen
Vermutungen und Lügen aufführen: was meinen Sie, wenn ich Ihnen sage,
daß ein solches Werk noch vorhanden, daß es hier bei uus, unter den un¬
gedruckten Schätzen der hiesigen fürstlichen Bibliothek vorhanden?"

Der Ankündigung des Berengarius folgten in den Jahren 1773 und 1774
die drei ersten Beiträge „Zur Geschichte und Litteratur, aus den Schätze» der
herzoglichen Bibliothek zu Wölfen duldet," deren Inhalt fast ausschließlich von
Lessing herrührt, und im Jahre 1774 der Aufsatz „Über das Alter der Ölmalerei)
ans dem Theophilus Presbyter," dessen älteste und beste Handschrift gleich¬
falls in Wolfenbüttel verwahrt wird. Mit wie großer und unverhohlener
Geringschätzung auch Lessing auf diese kleinen bibliothekarischen Arbeiten ^ er
nennt sie einmal „gelehrte Krätze" — herabzusehen sich die Miene giebt, die
Freude und Genugthuung, die er bei jeder wichtigeren Entdeckung empfindet,
bricht doch — gegen seinen Willen — hervor. Mit welchem Behagen schildert
er,""") wie er ganz unvermutet in einen: verschlossenen Kasten, zu dem sich sogar
der Schlüssel verloren hatte, unter einem. „Prasse" von ausgemerzten Kupfer»
und Charten den Marchthalerschen Stammbaum der Sohne Adams, d. h. der
Mensche» (Tarich Beni Adam) auffand! „Nicht Wien," so ruft er aus,





Werke XX, 1, S. Als.
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[0168] Lessings Amtsgenosse in wolfenl'üttel der ehemaligen Klvsterbibliothek von Weißenburg im Elsaß die schon erwähnte Schrift des Berengarius von Tours, mit der dieser auf das „niederdonnernde, triumphirende Werk" seines Gegners Lanfrnne, die Encharestin, erwidert hatte, wahrend die katholischen Theologen, namentlich die Benediktiner, behaupteten, daß, um mit Lessings Worten zu reden, „Berengar die Widerlegung des Lan- franc ohne Antwort gelassen, ja annahmen, daß die Vorsehung sich eben jener Widerlegung bedient habe, dem unglücklichen Scholastiker die Augen zu öffnen und das Herz zu rühre», kurz dem Buche deS Lanfrancus die Bekehrung des Berengarius zuschrieben." Mit begreiflicher Freude kündigte Lessing diesen Fund an. „Sie kennen," schreibt er seinem Vater,") „den Berengarius, welcher sich in dem elften Jahrhundert der Lehre der Transsubstantiation widersetzte. Von diesem habe ich nnn ein Werk aufgefunden, von dem ich sagen darf, daß noch kein Mensch etwas weiß, dessen Existenz die Katholiken schlechterdings ge¬ leugnet haben." Und an seineu Freund Konrad Arnold Schmid in Braun- schweig""): „Was meinen Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ein Werk des Beren¬ garius, ein umständliches, ausführliches Werk, welches allem Ansehen nach sein wichtigstes Werk gewesen ist, daß so ein Werk, dessen kein Mensch gedenket, von dessen Wichtigkeit sich niemand träumen lassen, daß so ein Werk, von dein solcher Dinge sonst sehr kundige Männer sogar behaupten, daß es nie eristirt habe, auf dessen Nichtsein eben diese Männer ganze Gebäude von frommen Vermutungen und Lügen aufführen: was meinen Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ein solches Werk noch vorhanden, daß es hier bei uus, unter den un¬ gedruckten Schätzen der hiesigen fürstlichen Bibliothek vorhanden?" Der Ankündigung des Berengarius folgten in den Jahren 1773 und 1774 die drei ersten Beiträge „Zur Geschichte und Litteratur, aus den Schätze» der herzoglichen Bibliothek zu Wölfen duldet," deren Inhalt fast ausschließlich von Lessing herrührt, und im Jahre 1774 der Aufsatz „Über das Alter der Ölmalerei) ans dem Theophilus Presbyter," dessen älteste und beste Handschrift gleich¬ falls in Wolfenbüttel verwahrt wird. Mit wie großer und unverhohlener Geringschätzung auch Lessing auf diese kleinen bibliothekarischen Arbeiten ^ er nennt sie einmal „gelehrte Krätze" — herabzusehen sich die Miene giebt, die Freude und Genugthuung, die er bei jeder wichtigeren Entdeckung empfindet, bricht doch — gegen seinen Willen — hervor. Mit welchem Behagen schildert er,""") wie er ganz unvermutet in einen: verschlossenen Kasten, zu dem sich sogar der Schlüssel verloren hatte, unter einem. „Prasse" von ausgemerzten Kupfer» und Charten den Marchthalerschen Stammbaum der Sohne Adams, d. h. der Mensche» (Tarich Beni Adam) auffand! „Nicht Wien," so ruft er aus, Werke XX, 1, S. Als. Werke XIV, Zur Geschichte und Litteratur I, 95.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/168>, abgerufen am 28.12.2024.