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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessings Amtsgenosse in Ivolfenbiittel

damalige" Bibliotheksdiener Helnis.^) Seine Biographen und Kommentatoren
stellen ihn da, wo sie von ihm sprechen, meist in einen bestimmten, nicht
eben wohlwollenden Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, ohne jedoch nähere Kenntnis
von seiner Persönlichkeit und Eigentünilichkeit zu haben. So sagt Düntzer in
seinem Leben Lesings: "Nach Ableistung des ^Erbhuldignugs- und Diensteides
wurden ihm jLessingj der Sekretär C. A. von Cichin, ein nichts weniger als
kenntnisreicher, dabei hinterhaltiger Kapuziner, und der Diener Helens zu¬
gewiesen." An einer andern Stelle setzt er einem Briefe Lessings, worin von
einer verdrießlichen Arbeit die Rede ist, die diesen: der Besuch der schwedischen
Prinzen auf den Hals gebracht habe, "nämlich verschiedne Dinge zur schwedischen
Geschichte unter den Manuskripten der Bibliothek aufzusuchen," die Bemerkung
hinzu: "Der Sekretär von Cichin war dazu unfähig." Zutreffender und wahr¬
heitsgemäßer urteilt E. Schmidt^) über Cichin und sein amtliches Verhältnis
zu Lessing: "Die alltäglichen Obliegenheiten des Biblivthekdieustes ermüdeten ihn
jLessingj: er überließ das dein Sekretär von Cichiu, seinem zweideutige!? Faktotum,
einem entlaufener Mönche." Aber auch diese Bemerkung trifft nicht den Kern
des Verhältnisses beider Männer zu einander, wenn man von einem solchen
Verhältnis überhaupt reden kann. Daß Cichin Lessings "Faktotum" gewesen
sei, ist ebenso wenig beglaubigt, wie daß dieses Faktotum sich zweideutig gegen
ihn gezeigt oder benommen habe.

Es ist bekannt, von welchem Gesichtspunkte aus Lessing seine Stellung
als Bibliothekar und Vorsteher der berühmten Augusta auffaßte und im Be¬
wußtsein seiner Bedeutung als erster Kritiker, Dichter und Denker des damaligen
Deutschlands, sowie gestützt auf die ihm bei seiner Vernfnng angedeutete Ab¬
sicht des Herzogs und Erbprinzen aufzufassen vollkommen berechtigt war. Die
Meinung in Braunschweig in den maßgebenden Kreisen war, an ihm einen
Mann zu gewinnen, der durchaus imstande sei, die damals noch nicht in
dem Maße wie jetzt durchforschten Schätze der Bibliothek zu heben und der
wissenschaftlichen Welt zugänglich zu macheu. Darüber haben wir zunächst
das Zeugnis des Abtes Jerusalem, dein man als früheren Erzieher des Erb¬
prinzen doch wohl einen Einblick in dessen Absichten bei der Berufung
und Anstellung Lessings zutrauen darf. Auf einen Brief des bekannten oder
berüchtigten Bahrdt, worin eines Gerüchtes Erwähnung geschieht, wonach
Lessing in Braunschweig eine Stellung am Hofe und zwar als I)iroet"zur ctss
pis,i8irs zugedacht sei, antwortet Jerusalem am 12. März 1770^): "Das Gerücht
von Herrn Lessing ist ganz ungegründet. So honorabel als die andre Stelle





v. Heinemann, Zur Ennnernng an G. E. Lessing, S. LL. Lessing schreibt va nicht
einmal den Namen seines Sekretärs richtig.
Lessing 11, S. 249.
Briefe angesehener Gelehrten, Staatsmänner u. s. w. an 1). Karl Friedrich Bahrdt l,
S- 19.
Lessings Amtsgenosse in Ivolfenbiittel

damalige» Bibliotheksdiener Helnis.^) Seine Biographen und Kommentatoren
stellen ihn da, wo sie von ihm sprechen, meist in einen bestimmten, nicht
eben wohlwollenden Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, ohne jedoch nähere Kenntnis
von seiner Persönlichkeit und Eigentünilichkeit zu haben. So sagt Düntzer in
seinem Leben Lesings: „Nach Ableistung des ^Erbhuldignugs- und Diensteides
wurden ihm jLessingj der Sekretär C. A. von Cichin, ein nichts weniger als
kenntnisreicher, dabei hinterhaltiger Kapuziner, und der Diener Helens zu¬
gewiesen." An einer andern Stelle setzt er einem Briefe Lessings, worin von
einer verdrießlichen Arbeit die Rede ist, die diesen: der Besuch der schwedischen
Prinzen auf den Hals gebracht habe, „nämlich verschiedne Dinge zur schwedischen
Geschichte unter den Manuskripten der Bibliothek aufzusuchen," die Bemerkung
hinzu: „Der Sekretär von Cichin war dazu unfähig." Zutreffender und wahr¬
heitsgemäßer urteilt E. Schmidt^) über Cichin und sein amtliches Verhältnis
zu Lessing: „Die alltäglichen Obliegenheiten des Biblivthekdieustes ermüdeten ihn
jLessingj: er überließ das dein Sekretär von Cichiu, seinem zweideutige!? Faktotum,
einem entlaufener Mönche." Aber auch diese Bemerkung trifft nicht den Kern
des Verhältnisses beider Männer zu einander, wenn man von einem solchen
Verhältnis überhaupt reden kann. Daß Cichin Lessings „Faktotum" gewesen
sei, ist ebenso wenig beglaubigt, wie daß dieses Faktotum sich zweideutig gegen
ihn gezeigt oder benommen habe.

Es ist bekannt, von welchem Gesichtspunkte aus Lessing seine Stellung
als Bibliothekar und Vorsteher der berühmten Augusta auffaßte und im Be¬
wußtsein seiner Bedeutung als erster Kritiker, Dichter und Denker des damaligen
Deutschlands, sowie gestützt auf die ihm bei seiner Vernfnng angedeutete Ab¬
sicht des Herzogs und Erbprinzen aufzufassen vollkommen berechtigt war. Die
Meinung in Braunschweig in den maßgebenden Kreisen war, an ihm einen
Mann zu gewinnen, der durchaus imstande sei, die damals noch nicht in
dem Maße wie jetzt durchforschten Schätze der Bibliothek zu heben und der
wissenschaftlichen Welt zugänglich zu macheu. Darüber haben wir zunächst
das Zeugnis des Abtes Jerusalem, dein man als früheren Erzieher des Erb¬
prinzen doch wohl einen Einblick in dessen Absichten bei der Berufung
und Anstellung Lessings zutrauen darf. Auf einen Brief des bekannten oder
berüchtigten Bahrdt, worin eines Gerüchtes Erwähnung geschieht, wonach
Lessing in Braunschweig eine Stellung am Hofe und zwar als I)iroet«zur ctss
pis,i8irs zugedacht sei, antwortet Jerusalem am 12. März 1770^): „Das Gerücht
von Herrn Lessing ist ganz ungegründet. So honorabel als die andre Stelle





v. Heinemann, Zur Ennnernng an G. E. Lessing, S. LL. Lessing schreibt va nicht
einmal den Namen seines Sekretärs richtig.
Lessing 11, S. 249.
Briefe angesehener Gelehrten, Staatsmänner u. s. w. an 1). Karl Friedrich Bahrdt l,
S- 19.
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[0166] Lessings Amtsgenosse in Ivolfenbiittel damalige» Bibliotheksdiener Helnis.^) Seine Biographen und Kommentatoren stellen ihn da, wo sie von ihm sprechen, meist in einen bestimmten, nicht eben wohlwollenden Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, ohne jedoch nähere Kenntnis von seiner Persönlichkeit und Eigentünilichkeit zu haben. So sagt Düntzer in seinem Leben Lesings: „Nach Ableistung des ^Erbhuldignugs- und Diensteides wurden ihm jLessingj der Sekretär C. A. von Cichin, ein nichts weniger als kenntnisreicher, dabei hinterhaltiger Kapuziner, und der Diener Helens zu¬ gewiesen." An einer andern Stelle setzt er einem Briefe Lessings, worin von einer verdrießlichen Arbeit die Rede ist, die diesen: der Besuch der schwedischen Prinzen auf den Hals gebracht habe, „nämlich verschiedne Dinge zur schwedischen Geschichte unter den Manuskripten der Bibliothek aufzusuchen," die Bemerkung hinzu: „Der Sekretär von Cichin war dazu unfähig." Zutreffender und wahr¬ heitsgemäßer urteilt E. Schmidt^) über Cichin und sein amtliches Verhältnis zu Lessing: „Die alltäglichen Obliegenheiten des Biblivthekdieustes ermüdeten ihn jLessingj: er überließ das dein Sekretär von Cichiu, seinem zweideutige!? Faktotum, einem entlaufener Mönche." Aber auch diese Bemerkung trifft nicht den Kern des Verhältnisses beider Männer zu einander, wenn man von einem solchen Verhältnis überhaupt reden kann. Daß Cichin Lessings „Faktotum" gewesen sei, ist ebenso wenig beglaubigt, wie daß dieses Faktotum sich zweideutig gegen ihn gezeigt oder benommen habe. Es ist bekannt, von welchem Gesichtspunkte aus Lessing seine Stellung als Bibliothekar und Vorsteher der berühmten Augusta auffaßte und im Be¬ wußtsein seiner Bedeutung als erster Kritiker, Dichter und Denker des damaligen Deutschlands, sowie gestützt auf die ihm bei seiner Vernfnng angedeutete Ab¬ sicht des Herzogs und Erbprinzen aufzufassen vollkommen berechtigt war. Die Meinung in Braunschweig in den maßgebenden Kreisen war, an ihm einen Mann zu gewinnen, der durchaus imstande sei, die damals noch nicht in dem Maße wie jetzt durchforschten Schätze der Bibliothek zu heben und der wissenschaftlichen Welt zugänglich zu macheu. Darüber haben wir zunächst das Zeugnis des Abtes Jerusalem, dein man als früheren Erzieher des Erb¬ prinzen doch wohl einen Einblick in dessen Absichten bei der Berufung und Anstellung Lessings zutrauen darf. Auf einen Brief des bekannten oder berüchtigten Bahrdt, worin eines Gerüchtes Erwähnung geschieht, wonach Lessing in Braunschweig eine Stellung am Hofe und zwar als I)iroet«zur ctss pis,i8irs zugedacht sei, antwortet Jerusalem am 12. März 1770^): „Das Gerücht von Herrn Lessing ist ganz ungegründet. So honorabel als die andre Stelle v. Heinemann, Zur Ennnernng an G. E. Lessing, S. LL. Lessing schreibt va nicht einmal den Namen seines Sekretärs richtig. Lessing 11, S. 249. Briefe angesehener Gelehrten, Staatsmänner u. s. w. an 1). Karl Friedrich Bahrdt l, S- 19.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/166>, abgerufen am 23.07.2024.