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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Lessings Amtsgenosse in lvolsenlniliel

und Philosophie nötig, um sich mir denen Verzweiflnngsgedanken zu entreiße",
absonderlich, da ich schon seit Jahr und Tag alle" Umgang, alle Gesellschaften
und Besuche ängstlich vermieden habe und wohl sagen kann, daß ich leine
dergnügte Stunde habe, als wenn ich in meiner Arbeit auf der Bibliothek bin.
Deun wen" ich zu Hause komme, so finde >ich> entweder Mahner oder Mahn¬
briefe oder die Frau, wo nicht weinend, wenigstens bereit, von Unglücklich-
machen, von denen Verheißungen eines bessern Brodts, von andrer Frauen unter
ihrem Stande Glückseligkeit, von versprochener Gnade des Durchlauchtigster
Herzogs eine Predigt zu halten. Und so gehe ich schlafen, so stehe ich ans,
so esse ich und kann mir doch selbst nicht helfen." Ein andermal schreibt er°"):
"Meine Arbeiten werde ich niemals erwähnein sie liegen eingebunden auf den
Tischen und sind Schuldigkeit! Wegen Dienst-Esser, Treu und Fleiß bin ich
jederzeit bereit, Rechenschaft zu geben, mein Herz und Gewissen ist mir ein
guter Bürge, und denen es zukömmt, mögen die Wahrheit davon sagen! Mir
ist Gottlob in denen 17 Jahren darüber leine Klage noch Erinnerung vor¬
gekommen." Dann fügt er noch hinzu: "Daß aber die Bibliotheksbediennng
unter alleu Sekretärs-Bedienungen die lästigste ist, finde ich noch für nöthig
unterthänigst zu erinnern. Vor- und Nachmittag muß ich täglich gegenwärtig
sehn, jedem, er seh wer er wolle, aufwarten und mit denen meisten über ver¬
dorbene Bücher zanken, alle Schreibereh und 1legi8er!ror selbst besorgen, da entgegen
der Letzte ^der Registratur^ ans das ganze Jahr alle Sporteln allein hinnimmt.
Achter und Wäsche werden bei der immerwährenden Rangierung mit Bücher¬
schleppen verdorben, welches alles die übrigem Sekretairs nicht erfahren und
dennoch mehr Lohn erhalten." Wie weit diese Schilderungen seiner Arbeits¬
lust und Arbeitslast der Wahrheit entsprachen, muß dahingestellt bleiben: daß
er dabei den Mund etwas voll nimmt -- wie deun das ganze Registratnr-
geschäft nach Ausweis der Ansleihebücher, wenigstens bis in das Jahr 17(>7
hinein, nicht von ihm, sondern von dein Registratur Meyne besorgt wurde --,
soll ihm in Anbetracht seiner steten Geldnot nicht allzu hoch angerechnet
Werden.

Ein erhöhtes Interesse gewinnt seine amtliche Thätigkeit während der
Bibliotheksverwaltung Lessings, uicht nur weil bei der großen Bedeutung
Messings auch kleine Dinge und unbedeutende Persönlichkeiten seiner Umgebung
einen gewissen Anteil erregen, sondern mich wegen der von der frühern
Überlieferung wesentlich abmeicheudeu Anschauung, die er von seinem Amte
hatte und wonach er es verwaltete. Es ist immerhin auffallend, daß Lessing
ur den zahlreichen Briefen, die sich ans seiner Wvlfenbüttler Zeit erhalten
haben, diesen seineu ersten und einzigen Kollegen an der Bibliothek mir ein
^uiziges mal erwähnt, und dieses eine mal ganz beiläufig, zusammen mit dem



*) Schreiben an den Herzog Karl vom 23. Januar 1777.
Lessings Amtsgenosse in lvolsenlniliel

und Philosophie nötig, um sich mir denen Verzweiflnngsgedanken zu entreiße»,
absonderlich, da ich schon seit Jahr und Tag alle» Umgang, alle Gesellschaften
und Besuche ängstlich vermieden habe und wohl sagen kann, daß ich leine
dergnügte Stunde habe, als wenn ich in meiner Arbeit auf der Bibliothek bin.
Deun wen» ich zu Hause komme, so finde >ich> entweder Mahner oder Mahn¬
briefe oder die Frau, wo nicht weinend, wenigstens bereit, von Unglücklich-
machen, von denen Verheißungen eines bessern Brodts, von andrer Frauen unter
ihrem Stande Glückseligkeit, von versprochener Gnade des Durchlauchtigster
Herzogs eine Predigt zu halten. Und so gehe ich schlafen, so stehe ich ans,
so esse ich und kann mir doch selbst nicht helfen." Ein andermal schreibt er°"):
„Meine Arbeiten werde ich niemals erwähnein sie liegen eingebunden auf den
Tischen und sind Schuldigkeit! Wegen Dienst-Esser, Treu und Fleiß bin ich
jederzeit bereit, Rechenschaft zu geben, mein Herz und Gewissen ist mir ein
guter Bürge, und denen es zukömmt, mögen die Wahrheit davon sagen! Mir
ist Gottlob in denen 17 Jahren darüber leine Klage noch Erinnerung vor¬
gekommen." Dann fügt er noch hinzu: „Daß aber die Bibliotheksbediennng
unter alleu Sekretärs-Bedienungen die lästigste ist, finde ich noch für nöthig
unterthänigst zu erinnern. Vor- und Nachmittag muß ich täglich gegenwärtig
sehn, jedem, er seh wer er wolle, aufwarten und mit denen meisten über ver¬
dorbene Bücher zanken, alle Schreibereh und 1legi8er!ror selbst besorgen, da entgegen
der Letzte ^der Registratur^ ans das ganze Jahr alle Sporteln allein hinnimmt.
Achter und Wäsche werden bei der immerwährenden Rangierung mit Bücher¬
schleppen verdorben, welches alles die übrigem Sekretairs nicht erfahren und
dennoch mehr Lohn erhalten." Wie weit diese Schilderungen seiner Arbeits¬
lust und Arbeitslast der Wahrheit entsprachen, muß dahingestellt bleiben: daß
er dabei den Mund etwas voll nimmt — wie deun das ganze Registratnr-
geschäft nach Ausweis der Ansleihebücher, wenigstens bis in das Jahr 17(>7
hinein, nicht von ihm, sondern von dein Registratur Meyne besorgt wurde —,
soll ihm in Anbetracht seiner steten Geldnot nicht allzu hoch angerechnet
Werden.

Ein erhöhtes Interesse gewinnt seine amtliche Thätigkeit während der
Bibliotheksverwaltung Lessings, uicht nur weil bei der großen Bedeutung
Messings auch kleine Dinge und unbedeutende Persönlichkeiten seiner Umgebung
einen gewissen Anteil erregen, sondern mich wegen der von der frühern
Überlieferung wesentlich abmeicheudeu Anschauung, die er von seinem Amte
hatte und wonach er es verwaltete. Es ist immerhin auffallend, daß Lessing
ur den zahlreichen Briefen, die sich ans seiner Wvlfenbüttler Zeit erhalten
haben, diesen seineu ersten und einzigen Kollegen an der Bibliothek mir ein
^uiziges mal erwähnt, und dieses eine mal ganz beiläufig, zusammen mit dem



*) Schreiben an den Herzog Karl vom 23. Januar 1777.
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[0165] Lessings Amtsgenosse in lvolsenlniliel und Philosophie nötig, um sich mir denen Verzweiflnngsgedanken zu entreiße», absonderlich, da ich schon seit Jahr und Tag alle» Umgang, alle Gesellschaften und Besuche ängstlich vermieden habe und wohl sagen kann, daß ich leine dergnügte Stunde habe, als wenn ich in meiner Arbeit auf der Bibliothek bin. Deun wen» ich zu Hause komme, so finde >ich> entweder Mahner oder Mahn¬ briefe oder die Frau, wo nicht weinend, wenigstens bereit, von Unglücklich- machen, von denen Verheißungen eines bessern Brodts, von andrer Frauen unter ihrem Stande Glückseligkeit, von versprochener Gnade des Durchlauchtigster Herzogs eine Predigt zu halten. Und so gehe ich schlafen, so stehe ich ans, so esse ich und kann mir doch selbst nicht helfen." Ein andermal schreibt er°"): „Meine Arbeiten werde ich niemals erwähnein sie liegen eingebunden auf den Tischen und sind Schuldigkeit! Wegen Dienst-Esser, Treu und Fleiß bin ich jederzeit bereit, Rechenschaft zu geben, mein Herz und Gewissen ist mir ein guter Bürge, und denen es zukömmt, mögen die Wahrheit davon sagen! Mir ist Gottlob in denen 17 Jahren darüber leine Klage noch Erinnerung vor¬ gekommen." Dann fügt er noch hinzu: „Daß aber die Bibliotheksbediennng unter alleu Sekretärs-Bedienungen die lästigste ist, finde ich noch für nöthig unterthänigst zu erinnern. Vor- und Nachmittag muß ich täglich gegenwärtig sehn, jedem, er seh wer er wolle, aufwarten und mit denen meisten über ver¬ dorbene Bücher zanken, alle Schreibereh und 1legi8er!ror selbst besorgen, da entgegen der Letzte ^der Registratur^ ans das ganze Jahr alle Sporteln allein hinnimmt. Achter und Wäsche werden bei der immerwährenden Rangierung mit Bücher¬ schleppen verdorben, welches alles die übrigem Sekretairs nicht erfahren und dennoch mehr Lohn erhalten." Wie weit diese Schilderungen seiner Arbeits¬ lust und Arbeitslast der Wahrheit entsprachen, muß dahingestellt bleiben: daß er dabei den Mund etwas voll nimmt — wie deun das ganze Registratnr- geschäft nach Ausweis der Ansleihebücher, wenigstens bis in das Jahr 17(>7 hinein, nicht von ihm, sondern von dein Registratur Meyne besorgt wurde —, soll ihm in Anbetracht seiner steten Geldnot nicht allzu hoch angerechnet Werden. Ein erhöhtes Interesse gewinnt seine amtliche Thätigkeit während der Bibliotheksverwaltung Lessings, uicht nur weil bei der großen Bedeutung Messings auch kleine Dinge und unbedeutende Persönlichkeiten seiner Umgebung einen gewissen Anteil erregen, sondern mich wegen der von der frühern Überlieferung wesentlich abmeicheudeu Anschauung, die er von seinem Amte hatte und wonach er es verwaltete. Es ist immerhin auffallend, daß Lessing ur den zahlreichen Briefen, die sich ans seiner Wvlfenbüttler Zeit erhalten haben, diesen seineu ersten und einzigen Kollegen an der Bibliothek mir ein ^uiziges mal erwähnt, und dieses eine mal ganz beiläufig, zusammen mit dem *) Schreiben an den Herzog Karl vom 23. Januar 1777.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/165>, abgerufen am 22.07.2024.