Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Umfange bestehen bleiben oder nicht? Wird diese Frage bejaht, dann müssen
sich die Gemeinden entschließen, wenigstens für die Armen gesunde Wohnungen
zu bauen, und wenn sie das uicht freiwillig thun, müssen sie dazu von der
Aufsichtsbehörde auf Grund des erwähnten Gesetzes von 1871 gezwungen
werden.

Der Herd der Sozialdemokratie sind die großen Städte; diese erfreuen sich
einer solchen Unabhängigkeit in der Verwaltung, daß sie kleine Republiken bilden,
und zwar nach den Städteordnungen mit dem Dreiklassenwahlsystem, aristo¬
kratische Republiken, An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Das Iiu"8er
iiUor lange für die Städte und die großen Gemeinden und ihre Behörde"
gerade sowenig wie für den Einzelnen. Der Hvhenzollernstaat ist groß ge¬
worden dnrch seine großen Herrscher, diese haben ihren Geist auf den Staat
übertragen und den Staat geistig durchdrungen. Diese preußische Theorie
muß auf die Gegenwart übertragen werden, die Aufsicht der obersten Exekutive
muß der Willkür der Lokalbeamten den nötigen Riegel vorschieben. Dies
kaun nur dnrch Revisionen tüchtiger von der Zentralstelle ausgesendeter Be¬
amten bewirkt werden, nur das so gewonnene Material würde an der Zentral¬
stelle Maßregeln möglich machen, die wieder ein starkes, einheitliches Regiment
herbeiführen.




Lessings Amtsgenosse in IDolfenbüttel
Von <V. v. Heinemann

s war im Herbste des Jahres 175", als in Braunschweig ein
aus Baiern stammender ehemaliger Frnnziskanermönch auftauchte,
der zur evangelischen Kirche übergetreten war und nnn im
Herzogtum Vraunschweig-Wolfenbüttel sein Glück zu finde" oder
doch seinen Lebensunterhalt zu gewinnen hoffte. In jener Zeit,
wo die Freizügigkeit uoch nicht erfunden war, kam dergleichen noch uicht so
häufig vor wie jetzt, doch darf man nicht vergessen, daß das vorige Jahr¬
hundert -- man denke mir um Cagliostro, an den Grafen von Se. Germain u"d
an den berüchtigten Casanova, der sich auch eine Zeit laug in Wolfenbüttel
aufgehalten hat -- das goldne Zeitalter der Abenteurer war, die an den
deutschen Höfen, vorzugsweise an den kleinern, ihr Glück zu machen suchte"
und oft genug gemacht haben. Auch Religionswechsel, vom Protestantismus


Umfange bestehen bleiben oder nicht? Wird diese Frage bejaht, dann müssen
sich die Gemeinden entschließen, wenigstens für die Armen gesunde Wohnungen
zu bauen, und wenn sie das uicht freiwillig thun, müssen sie dazu von der
Aufsichtsbehörde auf Grund des erwähnten Gesetzes von 1871 gezwungen
werden.

Der Herd der Sozialdemokratie sind die großen Städte; diese erfreuen sich
einer solchen Unabhängigkeit in der Verwaltung, daß sie kleine Republiken bilden,
und zwar nach den Städteordnungen mit dem Dreiklassenwahlsystem, aristo¬
kratische Republiken, An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Das Iiu«8er
iiUor lange für die Städte und die großen Gemeinden und ihre Behörde«
gerade sowenig wie für den Einzelnen. Der Hvhenzollernstaat ist groß ge¬
worden dnrch seine großen Herrscher, diese haben ihren Geist auf den Staat
übertragen und den Staat geistig durchdrungen. Diese preußische Theorie
muß auf die Gegenwart übertragen werden, die Aufsicht der obersten Exekutive
muß der Willkür der Lokalbeamten den nötigen Riegel vorschieben. Dies
kaun nur dnrch Revisionen tüchtiger von der Zentralstelle ausgesendeter Be¬
amten bewirkt werden, nur das so gewonnene Material würde an der Zentral¬
stelle Maßregeln möglich machen, die wieder ein starkes, einheitliches Regiment
herbeiführen.




Lessings Amtsgenosse in IDolfenbüttel
Von <V. v. Heinemann

s war im Herbste des Jahres 175«, als in Braunschweig ein
aus Baiern stammender ehemaliger Frnnziskanermönch auftauchte,
der zur evangelischen Kirche übergetreten war und nnn im
Herzogtum Vraunschweig-Wolfenbüttel sein Glück zu finde» oder
doch seinen Lebensunterhalt zu gewinnen hoffte. In jener Zeit,
wo die Freizügigkeit uoch nicht erfunden war, kam dergleichen noch uicht so
häufig vor wie jetzt, doch darf man nicht vergessen, daß das vorige Jahr¬
hundert — man denke mir um Cagliostro, an den Grafen von Se. Germain u»d
an den berüchtigten Casanova, der sich auch eine Zeit laug in Wolfenbüttel
aufgehalten hat — das goldne Zeitalter der Abenteurer war, die an den
deutschen Höfen, vorzugsweise an den kleinern, ihr Glück zu machen suchte»
und oft genug gemacht haben. Auch Religionswechsel, vom Protestantismus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207455"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_453" prev="#ID_452"> Umfange bestehen bleiben oder nicht? Wird diese Frage bejaht, dann müssen<lb/>
sich die Gemeinden entschließen, wenigstens für die Armen gesunde Wohnungen<lb/>
zu bauen, und wenn sie das uicht freiwillig thun, müssen sie dazu von der<lb/>
Aufsichtsbehörde auf Grund des erwähnten Gesetzes von 1871 gezwungen<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_454"> Der Herd der Sozialdemokratie sind die großen Städte; diese erfreuen sich<lb/>
einer solchen Unabhängigkeit in der Verwaltung, daß sie kleine Republiken bilden,<lb/>
und zwar nach den Städteordnungen mit dem Dreiklassenwahlsystem, aristo¬<lb/>
kratische Republiken, An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Das Iiu«8er<lb/>
iiUor lange für die Städte und die großen Gemeinden und ihre Behörde«<lb/>
gerade sowenig wie für den Einzelnen. Der Hvhenzollernstaat ist groß ge¬<lb/>
worden dnrch seine großen Herrscher, diese haben ihren Geist auf den Staat<lb/>
übertragen und den Staat geistig durchdrungen. Diese preußische Theorie<lb/>
muß auf die Gegenwart übertragen werden, die Aufsicht der obersten Exekutive<lb/>
muß der Willkür der Lokalbeamten den nötigen Riegel vorschieben. Dies<lb/>
kaun nur dnrch Revisionen tüchtiger von der Zentralstelle ausgesendeter Be¬<lb/>
amten bewirkt werden, nur das so gewonnene Material würde an der Zentral¬<lb/>
stelle Maßregeln möglich machen, die wieder ein starkes, einheitliches Regiment<lb/>
herbeiführen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Lessings Amtsgenosse in IDolfenbüttel<lb/><note type="byline"> Von &lt;V. v. Heinemann</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_455" next="#ID_456"> s war im Herbste des Jahres 175«, als in Braunschweig ein<lb/>
aus Baiern stammender ehemaliger Frnnziskanermönch auftauchte,<lb/>
der zur evangelischen Kirche übergetreten war und nnn im<lb/>
Herzogtum Vraunschweig-Wolfenbüttel sein Glück zu finde» oder<lb/>
doch seinen Lebensunterhalt zu gewinnen hoffte. In jener Zeit,<lb/>
wo die Freizügigkeit uoch nicht erfunden war, kam dergleichen noch uicht so<lb/>
häufig vor wie jetzt, doch darf man nicht vergessen, daß das vorige Jahr¬<lb/>
hundert &#x2014; man denke mir um Cagliostro, an den Grafen von Se. Germain u»d<lb/>
an den berüchtigten Casanova, der sich auch eine Zeit laug in Wolfenbüttel<lb/>
aufgehalten hat &#x2014; das goldne Zeitalter der Abenteurer war, die an den<lb/>
deutschen Höfen, vorzugsweise an den kleinern, ihr Glück zu machen suchte»<lb/>
und oft genug gemacht haben.  Auch Religionswechsel, vom Protestantismus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Umfange bestehen bleiben oder nicht? Wird diese Frage bejaht, dann müssen sich die Gemeinden entschließen, wenigstens für die Armen gesunde Wohnungen zu bauen, und wenn sie das uicht freiwillig thun, müssen sie dazu von der Aufsichtsbehörde auf Grund des erwähnten Gesetzes von 1871 gezwungen werden. Der Herd der Sozialdemokratie sind die großen Städte; diese erfreuen sich einer solchen Unabhängigkeit in der Verwaltung, daß sie kleine Republiken bilden, und zwar nach den Städteordnungen mit dem Dreiklassenwahlsystem, aristo¬ kratische Republiken, An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Das Iiu«8er iiUor lange für die Städte und die großen Gemeinden und ihre Behörde« gerade sowenig wie für den Einzelnen. Der Hvhenzollernstaat ist groß ge¬ worden dnrch seine großen Herrscher, diese haben ihren Geist auf den Staat übertragen und den Staat geistig durchdrungen. Diese preußische Theorie muß auf die Gegenwart übertragen werden, die Aufsicht der obersten Exekutive muß der Willkür der Lokalbeamten den nötigen Riegel vorschieben. Dies kaun nur dnrch Revisionen tüchtiger von der Zentralstelle ausgesendeter Be¬ amten bewirkt werden, nur das so gewonnene Material würde an der Zentral¬ stelle Maßregeln möglich machen, die wieder ein starkes, einheitliches Regiment herbeiführen. Lessings Amtsgenosse in IDolfenbüttel Von <V. v. Heinemann s war im Herbste des Jahres 175«, als in Braunschweig ein aus Baiern stammender ehemaliger Frnnziskanermönch auftauchte, der zur evangelischen Kirche übergetreten war und nnn im Herzogtum Vraunschweig-Wolfenbüttel sein Glück zu finde» oder doch seinen Lebensunterhalt zu gewinnen hoffte. In jener Zeit, wo die Freizügigkeit uoch nicht erfunden war, kam dergleichen noch uicht so häufig vor wie jetzt, doch darf man nicht vergessen, daß das vorige Jahr¬ hundert — man denke mir um Cagliostro, an den Grafen von Se. Germain u»d an den berüchtigten Casanova, der sich auch eine Zeit laug in Wolfenbüttel aufgehalten hat — das goldne Zeitalter der Abenteurer war, die an den deutschen Höfen, vorzugsweise an den kleinern, ihr Glück zu machen suchte» und oft genug gemacht haben. Auch Religionswechsel, vom Protestantismus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/160>, abgerufen am 27.12.2024.