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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zwei Schauspiele von Henrik Ibsen

Nach einer solchen Wendung ist Swckmmm bereit, auszuwandern. Aber
Plötzlich wird ihm die Kunde, daß man seine aufwiegelnde Thätigkeit in Sachen
des Seebades mir als den Ausfluß schlau berechnender Selbstsucht ansieht.
Er habe nur sich und seiner Familie die Gunst eines geriebenen Spekulanten
sichern wollen, der die durch den plötzlichen Kurssturz sast wertlos gewordenen
Bndeaktieu an sich gebracht habe, um später, wenn das Bad durch die unaus¬
bleiblichen Verbesserungen wieder in Ruf kommen würde, den Handel mit einem
großen Gewinn abzuschließen. Stockmaun, seiner Stelle als Badearzt enthoben,
durch ein Zirkular unter deu "gut gesinnten" Bürgern jeder lohnenden Praxis
beraubt, von dem ihm vorher wohlgewogener Spekulanten aufgegeben, sodnß
ein von diesem seiner Familie bestimmtes Vermöge" ihr endgiltig verloren
geht, beschließt angesichts dieses völligen Zusammenbruchs, um erst recht
nicht vom Kampfplatze zu weichen und die Auflehnung gegen die "liberale
kompakte Majorität" zu seiner fernern Lebensaufgabe zu wühlen. Über der
Verkündigung seiner jüngsten Entdeckung: "Der stärkste Mann der Welt ist
der, der allein steht," fällt der Vorhang.

Der Grundzug in dem Wesen des Doktor Stvckmanu ist eine vertrauens¬
selige Naivität, eine seelische Blindheit, infolge deren er wie ein Traumwcmdler
durchs Leben geht. Ein Arzt in vorgerückten Jahren, dem gerade sein Beruf
einen tiefern Einblick in die ihn umgebenden Verhältnisse gestattet als vielen
rudern, erhebt er sich über diese ans den Flügeln eines wolkenwandelnden
Idealismus, an den die berichtigende Gewalt selbst der rauhesten, schonungs¬
losesten Thatsache uicht hinanreicht. Wie täuschend auch der Dichter die Farben
zu mischen gesucht hat, Stockmcmu ist uicht das Musterbild eines von unbeirr¬
barer Sittlichkeit erfüllten "Volksfreuudes," sondern nnr ein Träumer, mit
all dein Hochmut, der diese Sorte von Menschen gewöhnlich auszeichnet. Die
wahre Tüchtigkeit sucht aus den schweren Mängeln der Zeit heraus in un¬
verdrossenem, bescheidenem, geduldigen Wirken das Bessere allmählich und daran
wie größerer Wahrscheinlichkeit des Erfolges zu gestalten. Das ist die Art
der wirklich fruchtbaren Naturen. Wenn ein derartiger Charakter in hingebungs¬
vollem Ringen um das Glück seiner Mitmenschen scheitert, dann wird sich dem
Beobachter eines solchen wahrhaft tragischen Kampfes das Herz zusammen¬
schnüren, und er reicht dem siegenden Besiegten, gerührt und gehoben, die
Uberwinderpalme. Wer aber zwischen sich und der Gesellschaft von vornherein
nlle Brücken abbricht, beraubt sich damit selbst der Möglichkeit, noch ferner
"uf sie zu wirken. Er ist vielleicht ein heroischer Thor, aber jedenfalls ein
Thor, und die Schilderung eines solchen erzielt alles eher, als eine erhebende
Wirkung. Die Frage, ob Stockmcmu bei maßvollen Vorgehen nicht doch seine
Mitbürger für seine Anschauung gewonnen hätte, sodaß die Gemeinde den
Unbeugsamen Forderungen des Sittengesetzes nicht minder als den Lockungen
materiellen Vorteils gerecht geworden wäre, ist vom Dichter gar nicht


Zwei Schauspiele von Henrik Ibsen

Nach einer solchen Wendung ist Swckmmm bereit, auszuwandern. Aber
Plötzlich wird ihm die Kunde, daß man seine aufwiegelnde Thätigkeit in Sachen
des Seebades mir als den Ausfluß schlau berechnender Selbstsucht ansieht.
Er habe nur sich und seiner Familie die Gunst eines geriebenen Spekulanten
sichern wollen, der die durch den plötzlichen Kurssturz sast wertlos gewordenen
Bndeaktieu an sich gebracht habe, um später, wenn das Bad durch die unaus¬
bleiblichen Verbesserungen wieder in Ruf kommen würde, den Handel mit einem
großen Gewinn abzuschließen. Stockmaun, seiner Stelle als Badearzt enthoben,
durch ein Zirkular unter deu „gut gesinnten" Bürgern jeder lohnenden Praxis
beraubt, von dem ihm vorher wohlgewogener Spekulanten aufgegeben, sodnß
ein von diesem seiner Familie bestimmtes Vermöge» ihr endgiltig verloren
geht, beschließt angesichts dieses völligen Zusammenbruchs, um erst recht
nicht vom Kampfplatze zu weichen und die Auflehnung gegen die „liberale
kompakte Majorität" zu seiner fernern Lebensaufgabe zu wühlen. Über der
Verkündigung seiner jüngsten Entdeckung: „Der stärkste Mann der Welt ist
der, der allein steht," fällt der Vorhang.

Der Grundzug in dem Wesen des Doktor Stvckmanu ist eine vertrauens¬
selige Naivität, eine seelische Blindheit, infolge deren er wie ein Traumwcmdler
durchs Leben geht. Ein Arzt in vorgerückten Jahren, dem gerade sein Beruf
einen tiefern Einblick in die ihn umgebenden Verhältnisse gestattet als vielen
rudern, erhebt er sich über diese ans den Flügeln eines wolkenwandelnden
Idealismus, an den die berichtigende Gewalt selbst der rauhesten, schonungs¬
losesten Thatsache uicht hinanreicht. Wie täuschend auch der Dichter die Farben
zu mischen gesucht hat, Stockmcmu ist uicht das Musterbild eines von unbeirr¬
barer Sittlichkeit erfüllten „Volksfreuudes," sondern nnr ein Träumer, mit
all dein Hochmut, der diese Sorte von Menschen gewöhnlich auszeichnet. Die
wahre Tüchtigkeit sucht aus den schweren Mängeln der Zeit heraus in un¬
verdrossenem, bescheidenem, geduldigen Wirken das Bessere allmählich und daran
wie größerer Wahrscheinlichkeit des Erfolges zu gestalten. Das ist die Art
der wirklich fruchtbaren Naturen. Wenn ein derartiger Charakter in hingebungs¬
vollem Ringen um das Glück seiner Mitmenschen scheitert, dann wird sich dem
Beobachter eines solchen wahrhaft tragischen Kampfes das Herz zusammen¬
schnüren, und er reicht dem siegenden Besiegten, gerührt und gehoben, die
Uberwinderpalme. Wer aber zwischen sich und der Gesellschaft von vornherein
nlle Brücken abbricht, beraubt sich damit selbst der Möglichkeit, noch ferner
"uf sie zu wirken. Er ist vielleicht ein heroischer Thor, aber jedenfalls ein
Thor, und die Schilderung eines solchen erzielt alles eher, als eine erhebende
Wirkung. Die Frage, ob Stockmcmu bei maßvollen Vorgehen nicht doch seine
Mitbürger für seine Anschauung gewonnen hätte, sodaß die Gemeinde den
Unbeugsamen Forderungen des Sittengesetzes nicht minder als den Lockungen
materiellen Vorteils gerecht geworden wäre, ist vom Dichter gar nicht


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[0131] Zwei Schauspiele von Henrik Ibsen Nach einer solchen Wendung ist Swckmmm bereit, auszuwandern. Aber Plötzlich wird ihm die Kunde, daß man seine aufwiegelnde Thätigkeit in Sachen des Seebades mir als den Ausfluß schlau berechnender Selbstsucht ansieht. Er habe nur sich und seiner Familie die Gunst eines geriebenen Spekulanten sichern wollen, der die durch den plötzlichen Kurssturz sast wertlos gewordenen Bndeaktieu an sich gebracht habe, um später, wenn das Bad durch die unaus¬ bleiblichen Verbesserungen wieder in Ruf kommen würde, den Handel mit einem großen Gewinn abzuschließen. Stockmaun, seiner Stelle als Badearzt enthoben, durch ein Zirkular unter deu „gut gesinnten" Bürgern jeder lohnenden Praxis beraubt, von dem ihm vorher wohlgewogener Spekulanten aufgegeben, sodnß ein von diesem seiner Familie bestimmtes Vermöge» ihr endgiltig verloren geht, beschließt angesichts dieses völligen Zusammenbruchs, um erst recht nicht vom Kampfplatze zu weichen und die Auflehnung gegen die „liberale kompakte Majorität" zu seiner fernern Lebensaufgabe zu wühlen. Über der Verkündigung seiner jüngsten Entdeckung: „Der stärkste Mann der Welt ist der, der allein steht," fällt der Vorhang. Der Grundzug in dem Wesen des Doktor Stvckmanu ist eine vertrauens¬ selige Naivität, eine seelische Blindheit, infolge deren er wie ein Traumwcmdler durchs Leben geht. Ein Arzt in vorgerückten Jahren, dem gerade sein Beruf einen tiefern Einblick in die ihn umgebenden Verhältnisse gestattet als vielen rudern, erhebt er sich über diese ans den Flügeln eines wolkenwandelnden Idealismus, an den die berichtigende Gewalt selbst der rauhesten, schonungs¬ losesten Thatsache uicht hinanreicht. Wie täuschend auch der Dichter die Farben zu mischen gesucht hat, Stockmcmu ist uicht das Musterbild eines von unbeirr¬ barer Sittlichkeit erfüllten „Volksfreuudes," sondern nnr ein Träumer, mit all dein Hochmut, der diese Sorte von Menschen gewöhnlich auszeichnet. Die wahre Tüchtigkeit sucht aus den schweren Mängeln der Zeit heraus in un¬ verdrossenem, bescheidenem, geduldigen Wirken das Bessere allmählich und daran wie größerer Wahrscheinlichkeit des Erfolges zu gestalten. Das ist die Art der wirklich fruchtbaren Naturen. Wenn ein derartiger Charakter in hingebungs¬ vollem Ringen um das Glück seiner Mitmenschen scheitert, dann wird sich dem Beobachter eines solchen wahrhaft tragischen Kampfes das Herz zusammen¬ schnüren, und er reicht dem siegenden Besiegten, gerührt und gehoben, die Uberwinderpalme. Wer aber zwischen sich und der Gesellschaft von vornherein nlle Brücken abbricht, beraubt sich damit selbst der Möglichkeit, noch ferner "uf sie zu wirken. Er ist vielleicht ein heroischer Thor, aber jedenfalls ein Thor, und die Schilderung eines solchen erzielt alles eher, als eine erhebende Wirkung. Die Frage, ob Stockmcmu bei maßvollen Vorgehen nicht doch seine Mitbürger für seine Anschauung gewonnen hätte, sodaß die Gemeinde den Unbeugsamen Forderungen des Sittengesetzes nicht minder als den Lockungen materiellen Vorteils gerecht geworden wäre, ist vom Dichter gar nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/131>, abgerufen am 28.12.2024.