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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

selbst nicht recht klar war, was es eigentlich verlangte, beim Publikum keinen
Erfolg hatte und 1838 einging. Doch trat Blane schon im folgenden Jahre
mit einer neuen Zeitschrift, der L.son6 ein xroZrv8, auf, die auf eine Ver¬
schmelzung der republikanischen Ideen mit den sozialistischen hinzuwirken suchte.
Größeres Aufsehen erregte die Schrift OrAgnisMon an trg.og.it, die er 1841
herausgab, und in der er ein wirtschaftliches System entwickelte, das sich den
Anschein gab, als ob es mit der Gütergemeinschaft nichts zu schaffen habe,
sondern auf der Voraussetzung des persönlichen Eigentums beruhe. Der Grund¬
gedanke des kleinen, oft aufgelegten Buches ist folgender. Die heutige" gesell¬
schaftlichen Zustände zeigen ein materielles und moralisches Elend, ein Siechtum,
das mit dem Tode zu enden droht, wenn man ihm nicht bald mit der An¬
wendung außerordentlicher Heilmittel entgegentritt. Die Ursache des Übels ist
die Entartung der Gesellschaft, die mit widernatürlichen Einrichtungen das
Werk der Schöpfung und namentlich den Menschen schändet. Die Verschlimme¬
rung des Loses der Armen, der Proletarier rührt vorzüglich vom Individua¬
lismus her, den der Verfasser nicht deutlich charakterisirt, der aber nach seiner
Meinung insofern schädlich wirkt, als er die Quelle einer ungeordneten Kon¬
kurrenz ist. Diese mörderische Konkurrenz vernichtet das arbeitende Volk, weil
sie zu maßloser Herabsetzung der Löhne nötigt, und sie reibt den Besitzenden
auf, indem sie die Kapitalien einander zu bekämpfen zwingt, wobei das größere
Kapital stets das kleinere besiegt und verschlingt. In dieser Thatsache liegt
aber auch das Mittel zur Beseitigung des Übels. Der Staat ist der größte
Kapitalist, und mit dieser Eigenschaft hat er die Macht und Pflicht, der Kon¬
kurrenz eine andre Gestalt zu geben. Er muß die hauptsächliche einheimische
Gütererzeugung übernehmen, indem er mit den übrigen Kapitalisten in Wett¬
bewerb tritt; thut er das, so wird er sie bald vernichten und so der alleinige
Erzeuger aller Waren werden, als welcher er den Lohn so hoch, als ihm gut
dünkt, bemessen und damit die niedere Klasse, das Proletariat, heben und
schützen kann. Damit aber in dieser Veweguug nicht die Freiheit des Volkes
untergehe, muß der staatliche Gewerbebetrieb selbst demokratisch geregelt werden.
Jede Arbeitsanstalt wählt sich ihre Vorsteher und Leiter selbst, und diese
Staatsindustrie beherrscht folglich ihr eigner Wille. "Die Negierung -- sagt
Blane -- wird als oberste Leiterin der Gütererzeugung angesehen und, um
der ihr damit gestellten Aufgabe genügen zu können, mit einer großen Macht
ausgestattet. Wir wollen eine starke Negierung, weil es unter der Herrschaft
der Ungleichheit, unter der wir noch leben, viele Schwache giebt, die des
Schutzes einer sozialen Kraft bedürfen. Wir wollen eine Regierung, die in
das Gewerbsleben eingreift, weil da, wo man nur den Bemittelten leiht, ein
Bankier der Gesellschaft für die Besitzlosen nötig ist. Wir wollen die Herr¬
schaft der Macht, weil die Freiheit in Zukunft eine Wahrheit sein muß. Die
Regierung nimmt eine Anleihe auf, deren Ertrag zur Errichtung von gesell-


Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

selbst nicht recht klar war, was es eigentlich verlangte, beim Publikum keinen
Erfolg hatte und 1838 einging. Doch trat Blane schon im folgenden Jahre
mit einer neuen Zeitschrift, der L.son6 ein xroZrv8, auf, die auf eine Ver¬
schmelzung der republikanischen Ideen mit den sozialistischen hinzuwirken suchte.
Größeres Aufsehen erregte die Schrift OrAgnisMon an trg.og.it, die er 1841
herausgab, und in der er ein wirtschaftliches System entwickelte, das sich den
Anschein gab, als ob es mit der Gütergemeinschaft nichts zu schaffen habe,
sondern auf der Voraussetzung des persönlichen Eigentums beruhe. Der Grund¬
gedanke des kleinen, oft aufgelegten Buches ist folgender. Die heutige» gesell¬
schaftlichen Zustände zeigen ein materielles und moralisches Elend, ein Siechtum,
das mit dem Tode zu enden droht, wenn man ihm nicht bald mit der An¬
wendung außerordentlicher Heilmittel entgegentritt. Die Ursache des Übels ist
die Entartung der Gesellschaft, die mit widernatürlichen Einrichtungen das
Werk der Schöpfung und namentlich den Menschen schändet. Die Verschlimme¬
rung des Loses der Armen, der Proletarier rührt vorzüglich vom Individua¬
lismus her, den der Verfasser nicht deutlich charakterisirt, der aber nach seiner
Meinung insofern schädlich wirkt, als er die Quelle einer ungeordneten Kon¬
kurrenz ist. Diese mörderische Konkurrenz vernichtet das arbeitende Volk, weil
sie zu maßloser Herabsetzung der Löhne nötigt, und sie reibt den Besitzenden
auf, indem sie die Kapitalien einander zu bekämpfen zwingt, wobei das größere
Kapital stets das kleinere besiegt und verschlingt. In dieser Thatsache liegt
aber auch das Mittel zur Beseitigung des Übels. Der Staat ist der größte
Kapitalist, und mit dieser Eigenschaft hat er die Macht und Pflicht, der Kon¬
kurrenz eine andre Gestalt zu geben. Er muß die hauptsächliche einheimische
Gütererzeugung übernehmen, indem er mit den übrigen Kapitalisten in Wett¬
bewerb tritt; thut er das, so wird er sie bald vernichten und so der alleinige
Erzeuger aller Waren werden, als welcher er den Lohn so hoch, als ihm gut
dünkt, bemessen und damit die niedere Klasse, das Proletariat, heben und
schützen kann. Damit aber in dieser Veweguug nicht die Freiheit des Volkes
untergehe, muß der staatliche Gewerbebetrieb selbst demokratisch geregelt werden.
Jede Arbeitsanstalt wählt sich ihre Vorsteher und Leiter selbst, und diese
Staatsindustrie beherrscht folglich ihr eigner Wille. „Die Negierung — sagt
Blane — wird als oberste Leiterin der Gütererzeugung angesehen und, um
der ihr damit gestellten Aufgabe genügen zu können, mit einer großen Macht
ausgestattet. Wir wollen eine starke Negierung, weil es unter der Herrschaft
der Ungleichheit, unter der wir noch leben, viele Schwache giebt, die des
Schutzes einer sozialen Kraft bedürfen. Wir wollen eine Regierung, die in
das Gewerbsleben eingreift, weil da, wo man nur den Bemittelten leiht, ein
Bankier der Gesellschaft für die Besitzlosen nötig ist. Wir wollen die Herr¬
schaft der Macht, weil die Freiheit in Zukunft eine Wahrheit sein muß. Die
Regierung nimmt eine Anleihe auf, deren Ertrag zur Errichtung von gesell-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/124>, abgerufen am 04.07.2024.