Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans den Jugendjahren der Socialdemokratie

schaftlichen Werkstätten für die wichtigsten Zweige des nationalen Gewerbfleißes
verwendet wird. Der Staat leiht diesen Werkstätten das erforderliche Kapital
unverzinslich, und die stehen unter Reglements, die volle Gesetzeskraft haben."
Der Lohn ist für alle in den öffentlichen Werkstätten beschäftigten Arbeiter
gleich, ebenso für alle von Staats wegen ans Landgütern angestellten Leute.
Ein gemeinsamer Haushalt wird von Blaue zwar nicht vorgeschrieben, aber er
ist offenbar so vorteilhaft, daß er sich ganz von selbst einführen wird. Das
Erbrecht wird für Eltern und Kinder beibehalten, wenigstens die nächsten
Jahre; für die Seitenlinie" dagegen füllt es sofort weg, nud die Hinterlassen¬
schaft der ohne Nachkommen verstorbenen wandert in den Staatsschatz, dessen
Verwaltung sie zur Einrichtung neuer gesellschaftlicher Werkstätten benutzt.

So weit dieser Reformator der Gesellschaft, der mit seinen Vorschlägen
unter allen Sozialisten und Kommunisten seinerzeit das größte Unheil an¬
richten sollte. Wenn er sich dagegen verwahrt, mit seiner Lehre kommunistische
Wege zu betreten, so ist das gänzliche Verblendung. Sind seine gesellschaft¬
lichen Werkstätten überhaupt lebensfähige Gebilde, so werden sie zwar vermöge
der ihnen zinslos vorgeschossenen Betriebskapitalien ihren Zweck, die Privnt-
kvniurreuz zu vernichten, unzweifelhaft erreichen, aber dann ist bei der Gleich¬
heit des nun zu erhöhenden Lohnes die wesentlichste Vorbedingung des Kom¬
munismus für alle Mitglieder der arbeitenden Gesellschaft verwirklicht.
Allerdings bleiben noch die Staatsglänbiger und andre Kapitalisten übrig,
aber die einen befinden sich bei der großen Macht, mit der man den Staat
ausgestattet hat, in äußerst unsicherer Lage, die ihre Papiere aufs stärkste
entwertet, und die andern werden ihr Kapital, das sie nicht mehr fruchtbar
anlegen können, tot hinlegen oder allmählich aufzehren. Dazu kommt, daß
diese Neste von Privateigentum infolge der neuen Erbschaftsordnnng im Laufe
der Zeit in den Besitz des Staates übergehen müssen, sodaß dieser als alleiniger
Herr alles Grund und Bodens im Lande, als einziger Besitzer aller und jeder
Kapitalien, als Gläubiger der Arbeitgeber und als Brodherr aller Arbeit¬
nehmer dasteht. Wenn das kein Kommunismus ist, so ist schwer zu sagen,
was es ist.

Eine ganz eigentümliche Stelle nimmt in der Reihe der sozialistischen
Schriftsteller damaliger Zeit Proudhon ein. Bis ans ihn waren die Grund¬
sätze der Volkswirtschaft und der Rechtslehre unangefochten in Geltung ver¬
hieben, und die Verteidiger des Bestehenden konnten sich, gleichviel, ob die
^vzialisten und Kommunisten es nicht auerknuuteu, auf diese Grundlagen als
"uf unumstößliche Wahrheiten berufen. Da erschien in Proudhon ein Mann,
^r auch diese Grundsätze mit rücksichtsloser Schärfe angriff. Er stand an
natürlicher Begabung und an Bildung neben Blaue wie der Riese neben dem
Zwerge. Aus der untersten Klasse stammend, von Jugend auf genötigt, sich
sein Brot durch mechanische Arbeit zu verdienen, fand er doch Zeit und Ge-


Ans den Jugendjahren der Socialdemokratie

schaftlichen Werkstätten für die wichtigsten Zweige des nationalen Gewerbfleißes
verwendet wird. Der Staat leiht diesen Werkstätten das erforderliche Kapital
unverzinslich, und die stehen unter Reglements, die volle Gesetzeskraft haben."
Der Lohn ist für alle in den öffentlichen Werkstätten beschäftigten Arbeiter
gleich, ebenso für alle von Staats wegen ans Landgütern angestellten Leute.
Ein gemeinsamer Haushalt wird von Blaue zwar nicht vorgeschrieben, aber er
ist offenbar so vorteilhaft, daß er sich ganz von selbst einführen wird. Das
Erbrecht wird für Eltern und Kinder beibehalten, wenigstens die nächsten
Jahre; für die Seitenlinie» dagegen füllt es sofort weg, nud die Hinterlassen¬
schaft der ohne Nachkommen verstorbenen wandert in den Staatsschatz, dessen
Verwaltung sie zur Einrichtung neuer gesellschaftlicher Werkstätten benutzt.

So weit dieser Reformator der Gesellschaft, der mit seinen Vorschlägen
unter allen Sozialisten und Kommunisten seinerzeit das größte Unheil an¬
richten sollte. Wenn er sich dagegen verwahrt, mit seiner Lehre kommunistische
Wege zu betreten, so ist das gänzliche Verblendung. Sind seine gesellschaft¬
lichen Werkstätten überhaupt lebensfähige Gebilde, so werden sie zwar vermöge
der ihnen zinslos vorgeschossenen Betriebskapitalien ihren Zweck, die Privnt-
kvniurreuz zu vernichten, unzweifelhaft erreichen, aber dann ist bei der Gleich¬
heit des nun zu erhöhenden Lohnes die wesentlichste Vorbedingung des Kom¬
munismus für alle Mitglieder der arbeitenden Gesellschaft verwirklicht.
Allerdings bleiben noch die Staatsglänbiger und andre Kapitalisten übrig,
aber die einen befinden sich bei der großen Macht, mit der man den Staat
ausgestattet hat, in äußerst unsicherer Lage, die ihre Papiere aufs stärkste
entwertet, und die andern werden ihr Kapital, das sie nicht mehr fruchtbar
anlegen können, tot hinlegen oder allmählich aufzehren. Dazu kommt, daß
diese Neste von Privateigentum infolge der neuen Erbschaftsordnnng im Laufe
der Zeit in den Besitz des Staates übergehen müssen, sodaß dieser als alleiniger
Herr alles Grund und Bodens im Lande, als einziger Besitzer aller und jeder
Kapitalien, als Gläubiger der Arbeitgeber und als Brodherr aller Arbeit¬
nehmer dasteht. Wenn das kein Kommunismus ist, so ist schwer zu sagen,
was es ist.

Eine ganz eigentümliche Stelle nimmt in der Reihe der sozialistischen
Schriftsteller damaliger Zeit Proudhon ein. Bis ans ihn waren die Grund¬
sätze der Volkswirtschaft und der Rechtslehre unangefochten in Geltung ver¬
hieben, und die Verteidiger des Bestehenden konnten sich, gleichviel, ob die
^vzialisten und Kommunisten es nicht auerknuuteu, auf diese Grundlagen als
"uf unumstößliche Wahrheiten berufen. Da erschien in Proudhon ein Mann,
^r auch diese Grundsätze mit rücksichtsloser Schärfe angriff. Er stand an
natürlicher Begabung und an Bildung neben Blaue wie der Riese neben dem
Zwerge. Aus der untersten Klasse stammend, von Jugend auf genötigt, sich
sein Brot durch mechanische Arbeit zu verdienen, fand er doch Zeit und Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207420"/>
          <fw type="header" place="top"> Ans den Jugendjahren der Socialdemokratie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_347" prev="#ID_346"> schaftlichen Werkstätten für die wichtigsten Zweige des nationalen Gewerbfleißes<lb/>
verwendet wird. Der Staat leiht diesen Werkstätten das erforderliche Kapital<lb/>
unverzinslich, und die stehen unter Reglements, die volle Gesetzeskraft haben."<lb/>
Der Lohn ist für alle in den öffentlichen Werkstätten beschäftigten Arbeiter<lb/>
gleich, ebenso für alle von Staats wegen ans Landgütern angestellten Leute.<lb/>
Ein gemeinsamer Haushalt wird von Blaue zwar nicht vorgeschrieben, aber er<lb/>
ist offenbar so vorteilhaft, daß er sich ganz von selbst einführen wird. Das<lb/>
Erbrecht wird für Eltern und Kinder beibehalten, wenigstens die nächsten<lb/>
Jahre; für die Seitenlinie» dagegen füllt es sofort weg, nud die Hinterlassen¬<lb/>
schaft der ohne Nachkommen verstorbenen wandert in den Staatsschatz, dessen<lb/>
Verwaltung sie zur Einrichtung neuer gesellschaftlicher Werkstätten benutzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348"> So weit dieser Reformator der Gesellschaft, der mit seinen Vorschlägen<lb/>
unter allen Sozialisten und Kommunisten seinerzeit das größte Unheil an¬<lb/>
richten sollte. Wenn er sich dagegen verwahrt, mit seiner Lehre kommunistische<lb/>
Wege zu betreten, so ist das gänzliche Verblendung. Sind seine gesellschaft¬<lb/>
lichen Werkstätten überhaupt lebensfähige Gebilde, so werden sie zwar vermöge<lb/>
der ihnen zinslos vorgeschossenen Betriebskapitalien ihren Zweck, die Privnt-<lb/>
kvniurreuz zu vernichten, unzweifelhaft erreichen, aber dann ist bei der Gleich¬<lb/>
heit des nun zu erhöhenden Lohnes die wesentlichste Vorbedingung des Kom¬<lb/>
munismus für alle Mitglieder der arbeitenden Gesellschaft verwirklicht.<lb/>
Allerdings bleiben noch die Staatsglänbiger und andre Kapitalisten übrig,<lb/>
aber die einen befinden sich bei der großen Macht, mit der man den Staat<lb/>
ausgestattet hat, in äußerst unsicherer Lage, die ihre Papiere aufs stärkste<lb/>
entwertet, und die andern werden ihr Kapital, das sie nicht mehr fruchtbar<lb/>
anlegen können, tot hinlegen oder allmählich aufzehren. Dazu kommt, daß<lb/>
diese Neste von Privateigentum infolge der neuen Erbschaftsordnnng im Laufe<lb/>
der Zeit in den Besitz des Staates übergehen müssen, sodaß dieser als alleiniger<lb/>
Herr alles Grund und Bodens im Lande, als einziger Besitzer aller und jeder<lb/>
Kapitalien, als Gläubiger der Arbeitgeber und als Brodherr aller Arbeit¬<lb/>
nehmer dasteht. Wenn das kein Kommunismus ist, so ist schwer zu sagen,<lb/>
was es ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_349" next="#ID_350"> Eine ganz eigentümliche Stelle nimmt in der Reihe der sozialistischen<lb/>
Schriftsteller damaliger Zeit Proudhon ein. Bis ans ihn waren die Grund¬<lb/>
sätze der Volkswirtschaft und der Rechtslehre unangefochten in Geltung ver¬<lb/>
hieben, und die Verteidiger des Bestehenden konnten sich, gleichviel, ob die<lb/>
^vzialisten und Kommunisten es nicht auerknuuteu, auf diese Grundlagen als<lb/>
"uf unumstößliche Wahrheiten berufen. Da erschien in Proudhon ein Mann,<lb/>
^r auch diese Grundsätze mit rücksichtsloser Schärfe angriff. Er stand an<lb/>
natürlicher Begabung und an Bildung neben Blaue wie der Riese neben dem<lb/>
Zwerge. Aus der untersten Klasse stammend, von Jugend auf genötigt, sich<lb/>
sein Brot durch mechanische Arbeit zu verdienen, fand er doch Zeit und Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] Ans den Jugendjahren der Socialdemokratie schaftlichen Werkstätten für die wichtigsten Zweige des nationalen Gewerbfleißes verwendet wird. Der Staat leiht diesen Werkstätten das erforderliche Kapital unverzinslich, und die stehen unter Reglements, die volle Gesetzeskraft haben." Der Lohn ist für alle in den öffentlichen Werkstätten beschäftigten Arbeiter gleich, ebenso für alle von Staats wegen ans Landgütern angestellten Leute. Ein gemeinsamer Haushalt wird von Blaue zwar nicht vorgeschrieben, aber er ist offenbar so vorteilhaft, daß er sich ganz von selbst einführen wird. Das Erbrecht wird für Eltern und Kinder beibehalten, wenigstens die nächsten Jahre; für die Seitenlinie» dagegen füllt es sofort weg, nud die Hinterlassen¬ schaft der ohne Nachkommen verstorbenen wandert in den Staatsschatz, dessen Verwaltung sie zur Einrichtung neuer gesellschaftlicher Werkstätten benutzt. So weit dieser Reformator der Gesellschaft, der mit seinen Vorschlägen unter allen Sozialisten und Kommunisten seinerzeit das größte Unheil an¬ richten sollte. Wenn er sich dagegen verwahrt, mit seiner Lehre kommunistische Wege zu betreten, so ist das gänzliche Verblendung. Sind seine gesellschaft¬ lichen Werkstätten überhaupt lebensfähige Gebilde, so werden sie zwar vermöge der ihnen zinslos vorgeschossenen Betriebskapitalien ihren Zweck, die Privnt- kvniurreuz zu vernichten, unzweifelhaft erreichen, aber dann ist bei der Gleich¬ heit des nun zu erhöhenden Lohnes die wesentlichste Vorbedingung des Kom¬ munismus für alle Mitglieder der arbeitenden Gesellschaft verwirklicht. Allerdings bleiben noch die Staatsglänbiger und andre Kapitalisten übrig, aber die einen befinden sich bei der großen Macht, mit der man den Staat ausgestattet hat, in äußerst unsicherer Lage, die ihre Papiere aufs stärkste entwertet, und die andern werden ihr Kapital, das sie nicht mehr fruchtbar anlegen können, tot hinlegen oder allmählich aufzehren. Dazu kommt, daß diese Neste von Privateigentum infolge der neuen Erbschaftsordnnng im Laufe der Zeit in den Besitz des Staates übergehen müssen, sodaß dieser als alleiniger Herr alles Grund und Bodens im Lande, als einziger Besitzer aller und jeder Kapitalien, als Gläubiger der Arbeitgeber und als Brodherr aller Arbeit¬ nehmer dasteht. Wenn das kein Kommunismus ist, so ist schwer zu sagen, was es ist. Eine ganz eigentümliche Stelle nimmt in der Reihe der sozialistischen Schriftsteller damaliger Zeit Proudhon ein. Bis ans ihn waren die Grund¬ sätze der Volkswirtschaft und der Rechtslehre unangefochten in Geltung ver¬ hieben, und die Verteidiger des Bestehenden konnten sich, gleichviel, ob die ^vzialisten und Kommunisten es nicht auerknuuteu, auf diese Grundlagen als "uf unumstößliche Wahrheiten berufen. Da erschien in Proudhon ein Mann, ^r auch diese Grundsätze mit rücksichtsloser Schärfe angriff. Er stand an natürlicher Begabung und an Bildung neben Blaue wie der Riese neben dem Zwerge. Aus der untersten Klasse stammend, von Jugend auf genötigt, sich sein Brot durch mechanische Arbeit zu verdienen, fand er doch Zeit und Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/125
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/125>, abgerufen am 05.07.2024.