Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

unumgänglich erforderlich ist. Wenn rechts und links die Kameraden hinsinken,
wenn Jammerrufe der niederstürzenden an das Ohr der Überlebenden schlagen,
wenn unbeschreibliches Getöse, der Anblick fürchterlicher Szenen auf seine Nerven
einwirken, dann macht nur ein Besitz dem Manne das Weiterfeucrn, das Vor¬
gehen möglich: der der Gewohnheitsdisziplin. Diese Gewohnheitsdisziplin läßt
sich aber nach dem Urteil aller Sachverständigen dem größern Teil unsers
Mannschaftsersatzes in weniger als drei Jahren nicht einimpfen.

Dies ist die Antwort, die man auf das Verlangen, die militärische Dienst¬
zeit zu verkürzen, im allgemeinen erteilen muß. Wir wollen uns aber nicht die
Mühe verdrießen lassen, die Unmöglichkeit der Verkürzung auch noch im be¬
sondern an der Hand der Verhältnisse bei jeder Hauptwaffe des Heeres zu
zeigen. Gehen wir die Waffen in der Reihenfolge durch, wie sie im modernen
Kampfe auf dem Gefechtsfeld erscheinen. ,

Weit voraus ist die Kavallerie. Sie soll sehen, und um zu sehen,
muß sie reiten, reiten, bis sie auf den Feind stößt. Dabei wird sie die
Reiterei des Feindes, der dieselbe Aufgabe zufällt, nach .Kräften aufzuhalten
suchen, sich ihr in den Weg legen. Diese muß zurückgeworfen, unschädlich
gemacht werden, und dazu dienen Säbel und Lanze. Hinter der feindlichen
Kavallerie haben schnell vorgeschobene Jnfanteriekörperchen Engpüße, Brücken,
Wald- und Dorfeingänge besetzt. Auch hier muß man hindurch, wenn man
Einblick in die Bewegungen der Massen des Gegners gewinnen will, deshalb
heraus mit dem Karabiner und vorwärts im Fußgefecht! Endlich ist man
zur Stelle; vou allen Seiten bedroht, muß man, womöglich im feindlichen
Feuer, die Meldung schreiben- Sie wird an verschiedne der mitgenommenen
gemeinen Reiter gegeben, die ihr Heil versuchen, um die sechzig oder achtzig
Kilometer zum Hauptquartier zurück zu kommen. Was muß also der ge¬
wöhnliche .Kavallerist im Frieden lernen? Erstens seine Waffen zu gebrauchen,
das heißt das Pferd, bekanntlich seine vorzüglichste Waffe, die Lanze, den
Säbel und den Karabiner. Zweitens sie so zu gebrauche", daß ihm die Aus
Nutzung mehrerer zu gleicher Zeit, zum Beispiel des Pferdes und der Lanze,
nicht die geringsten Schwierigkeiten macht. Drittens neben den Waffen das
Fernglas und den Schreibstift zu benutzen, und viertens in fremdem Lande sich
viele Meilen weit zurück zu finden. Endlich, und das ist das Wesentlichste,
soll den Reitern jenes unerschütterliche Pflichtgefühl beigebracht werden, das
sie befähigt, auch gegen die heimtückischen,, weittragenden, ohne Naucherscheinung
wirkenden Feuerwaffen kühner zu Erkundungen, bei denen kein Auge den
Erkundenden überwacht, an den Feind hinanzureiten als früher, denn von
ausreichender Aufklärung durch die Kavallerie hängt das Schicksal der Zukunfts¬
kriege ohne Zweifel in viel höherm Maße ab, als es früher der Fall war.
Bei diesen Aufgaben versagt der sogenannte angeborene Mut, von dem so
viel geredet wird, der in der überwiegenden Mehrzahl aller Sterblichen aber


unumgänglich erforderlich ist. Wenn rechts und links die Kameraden hinsinken,
wenn Jammerrufe der niederstürzenden an das Ohr der Überlebenden schlagen,
wenn unbeschreibliches Getöse, der Anblick fürchterlicher Szenen auf seine Nerven
einwirken, dann macht nur ein Besitz dem Manne das Weiterfeucrn, das Vor¬
gehen möglich: der der Gewohnheitsdisziplin. Diese Gewohnheitsdisziplin läßt
sich aber nach dem Urteil aller Sachverständigen dem größern Teil unsers
Mannschaftsersatzes in weniger als drei Jahren nicht einimpfen.

Dies ist die Antwort, die man auf das Verlangen, die militärische Dienst¬
zeit zu verkürzen, im allgemeinen erteilen muß. Wir wollen uns aber nicht die
Mühe verdrießen lassen, die Unmöglichkeit der Verkürzung auch noch im be¬
sondern an der Hand der Verhältnisse bei jeder Hauptwaffe des Heeres zu
zeigen. Gehen wir die Waffen in der Reihenfolge durch, wie sie im modernen
Kampfe auf dem Gefechtsfeld erscheinen. ,

Weit voraus ist die Kavallerie. Sie soll sehen, und um zu sehen,
muß sie reiten, reiten, bis sie auf den Feind stößt. Dabei wird sie die
Reiterei des Feindes, der dieselbe Aufgabe zufällt, nach .Kräften aufzuhalten
suchen, sich ihr in den Weg legen. Diese muß zurückgeworfen, unschädlich
gemacht werden, und dazu dienen Säbel und Lanze. Hinter der feindlichen
Kavallerie haben schnell vorgeschobene Jnfanteriekörperchen Engpüße, Brücken,
Wald- und Dorfeingänge besetzt. Auch hier muß man hindurch, wenn man
Einblick in die Bewegungen der Massen des Gegners gewinnen will, deshalb
heraus mit dem Karabiner und vorwärts im Fußgefecht! Endlich ist man
zur Stelle; vou allen Seiten bedroht, muß man, womöglich im feindlichen
Feuer, die Meldung schreiben- Sie wird an verschiedne der mitgenommenen
gemeinen Reiter gegeben, die ihr Heil versuchen, um die sechzig oder achtzig
Kilometer zum Hauptquartier zurück zu kommen. Was muß also der ge¬
wöhnliche .Kavallerist im Frieden lernen? Erstens seine Waffen zu gebrauchen,
das heißt das Pferd, bekanntlich seine vorzüglichste Waffe, die Lanze, den
Säbel und den Karabiner. Zweitens sie so zu gebrauche», daß ihm die Aus
Nutzung mehrerer zu gleicher Zeit, zum Beispiel des Pferdes und der Lanze,
nicht die geringsten Schwierigkeiten macht. Drittens neben den Waffen das
Fernglas und den Schreibstift zu benutzen, und viertens in fremdem Lande sich
viele Meilen weit zurück zu finden. Endlich, und das ist das Wesentlichste,
soll den Reitern jenes unerschütterliche Pflichtgefühl beigebracht werden, das
sie befähigt, auch gegen die heimtückischen,, weittragenden, ohne Naucherscheinung
wirkenden Feuerwaffen kühner zu Erkundungen, bei denen kein Auge den
Erkundenden überwacht, an den Feind hinanzureiten als früher, denn von
ausreichender Aufklärung durch die Kavallerie hängt das Schicksal der Zukunfts¬
kriege ohne Zweifel in viel höherm Maße ab, als es früher der Fall war.
Bei diesen Aufgaben versagt der sogenannte angeborene Mut, von dem so
viel geredet wird, der in der überwiegenden Mehrzahl aller Sterblichen aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207413"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_328" prev="#ID_327"> unumgänglich erforderlich ist. Wenn rechts und links die Kameraden hinsinken,<lb/>
wenn Jammerrufe der niederstürzenden an das Ohr der Überlebenden schlagen,<lb/>
wenn unbeschreibliches Getöse, der Anblick fürchterlicher Szenen auf seine Nerven<lb/>
einwirken, dann macht nur ein Besitz dem Manne das Weiterfeucrn, das Vor¬<lb/>
gehen möglich: der der Gewohnheitsdisziplin. Diese Gewohnheitsdisziplin läßt<lb/>
sich aber nach dem Urteil aller Sachverständigen dem größern Teil unsers<lb/>
Mannschaftsersatzes in weniger als drei Jahren nicht einimpfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_329"> Dies ist die Antwort, die man auf das Verlangen, die militärische Dienst¬<lb/>
zeit zu verkürzen, im allgemeinen erteilen muß. Wir wollen uns aber nicht die<lb/>
Mühe verdrießen lassen, die Unmöglichkeit der Verkürzung auch noch im be¬<lb/>
sondern an der Hand der Verhältnisse bei jeder Hauptwaffe des Heeres zu<lb/>
zeigen. Gehen wir die Waffen in der Reihenfolge durch, wie sie im modernen<lb/>
Kampfe auf dem Gefechtsfeld erscheinen. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_330" next="#ID_331"> Weit voraus ist die Kavallerie. Sie soll sehen, und um zu sehen,<lb/>
muß sie reiten, reiten, bis sie auf den Feind stößt. Dabei wird sie die<lb/>
Reiterei des Feindes, der dieselbe Aufgabe zufällt, nach .Kräften aufzuhalten<lb/>
suchen, sich ihr in den Weg legen. Diese muß zurückgeworfen, unschädlich<lb/>
gemacht werden, und dazu dienen Säbel und Lanze. Hinter der feindlichen<lb/>
Kavallerie haben schnell vorgeschobene Jnfanteriekörperchen Engpüße, Brücken,<lb/>
Wald- und Dorfeingänge besetzt. Auch hier muß man hindurch, wenn man<lb/>
Einblick in die Bewegungen der Massen des Gegners gewinnen will, deshalb<lb/>
heraus mit dem Karabiner und vorwärts im Fußgefecht! Endlich ist man<lb/>
zur Stelle; vou allen Seiten bedroht, muß man, womöglich im feindlichen<lb/>
Feuer, die Meldung schreiben- Sie wird an verschiedne der mitgenommenen<lb/>
gemeinen Reiter gegeben, die ihr Heil versuchen, um die sechzig oder achtzig<lb/>
Kilometer zum Hauptquartier zurück zu kommen. Was muß also der ge¬<lb/>
wöhnliche .Kavallerist im Frieden lernen? Erstens seine Waffen zu gebrauchen,<lb/>
das heißt das Pferd, bekanntlich seine vorzüglichste Waffe, die Lanze, den<lb/>
Säbel und den Karabiner. Zweitens sie so zu gebrauche», daß ihm die Aus<lb/>
Nutzung mehrerer zu gleicher Zeit, zum Beispiel des Pferdes und der Lanze,<lb/>
nicht die geringsten Schwierigkeiten macht. Drittens neben den Waffen das<lb/>
Fernglas und den Schreibstift zu benutzen, und viertens in fremdem Lande sich<lb/>
viele Meilen weit zurück zu finden. Endlich, und das ist das Wesentlichste,<lb/>
soll den Reitern jenes unerschütterliche Pflichtgefühl beigebracht werden, das<lb/>
sie befähigt, auch gegen die heimtückischen,, weittragenden, ohne Naucherscheinung<lb/>
wirkenden Feuerwaffen kühner zu Erkundungen, bei denen kein Auge den<lb/>
Erkundenden überwacht, an den Feind hinanzureiten als früher, denn von<lb/>
ausreichender Aufklärung durch die Kavallerie hängt das Schicksal der Zukunfts¬<lb/>
kriege ohne Zweifel in viel höherm Maße ab, als es früher der Fall war.<lb/>
Bei diesen Aufgaben versagt der sogenannte angeborene Mut, von dem so<lb/>
viel geredet wird, der in der überwiegenden Mehrzahl aller Sterblichen aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0118] unumgänglich erforderlich ist. Wenn rechts und links die Kameraden hinsinken, wenn Jammerrufe der niederstürzenden an das Ohr der Überlebenden schlagen, wenn unbeschreibliches Getöse, der Anblick fürchterlicher Szenen auf seine Nerven einwirken, dann macht nur ein Besitz dem Manne das Weiterfeucrn, das Vor¬ gehen möglich: der der Gewohnheitsdisziplin. Diese Gewohnheitsdisziplin läßt sich aber nach dem Urteil aller Sachverständigen dem größern Teil unsers Mannschaftsersatzes in weniger als drei Jahren nicht einimpfen. Dies ist die Antwort, die man auf das Verlangen, die militärische Dienst¬ zeit zu verkürzen, im allgemeinen erteilen muß. Wir wollen uns aber nicht die Mühe verdrießen lassen, die Unmöglichkeit der Verkürzung auch noch im be¬ sondern an der Hand der Verhältnisse bei jeder Hauptwaffe des Heeres zu zeigen. Gehen wir die Waffen in der Reihenfolge durch, wie sie im modernen Kampfe auf dem Gefechtsfeld erscheinen. , Weit voraus ist die Kavallerie. Sie soll sehen, und um zu sehen, muß sie reiten, reiten, bis sie auf den Feind stößt. Dabei wird sie die Reiterei des Feindes, der dieselbe Aufgabe zufällt, nach .Kräften aufzuhalten suchen, sich ihr in den Weg legen. Diese muß zurückgeworfen, unschädlich gemacht werden, und dazu dienen Säbel und Lanze. Hinter der feindlichen Kavallerie haben schnell vorgeschobene Jnfanteriekörperchen Engpüße, Brücken, Wald- und Dorfeingänge besetzt. Auch hier muß man hindurch, wenn man Einblick in die Bewegungen der Massen des Gegners gewinnen will, deshalb heraus mit dem Karabiner und vorwärts im Fußgefecht! Endlich ist man zur Stelle; vou allen Seiten bedroht, muß man, womöglich im feindlichen Feuer, die Meldung schreiben- Sie wird an verschiedne der mitgenommenen gemeinen Reiter gegeben, die ihr Heil versuchen, um die sechzig oder achtzig Kilometer zum Hauptquartier zurück zu kommen. Was muß also der ge¬ wöhnliche .Kavallerist im Frieden lernen? Erstens seine Waffen zu gebrauchen, das heißt das Pferd, bekanntlich seine vorzüglichste Waffe, die Lanze, den Säbel und den Karabiner. Zweitens sie so zu gebrauche», daß ihm die Aus Nutzung mehrerer zu gleicher Zeit, zum Beispiel des Pferdes und der Lanze, nicht die geringsten Schwierigkeiten macht. Drittens neben den Waffen das Fernglas und den Schreibstift zu benutzen, und viertens in fremdem Lande sich viele Meilen weit zurück zu finden. Endlich, und das ist das Wesentlichste, soll den Reitern jenes unerschütterliche Pflichtgefühl beigebracht werden, das sie befähigt, auch gegen die heimtückischen,, weittragenden, ohne Naucherscheinung wirkenden Feuerwaffen kühner zu Erkundungen, bei denen kein Auge den Erkundenden überwacht, an den Feind hinanzureiten als früher, denn von ausreichender Aufklärung durch die Kavallerie hängt das Schicksal der Zukunfts¬ kriege ohne Zweifel in viel höherm Maße ab, als es früher der Fall war. Bei diesen Aufgaben versagt der sogenannte angeborene Mut, von dem so viel geredet wird, der in der überwiegenden Mehrzahl aller Sterblichen aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/118
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/118>, abgerufen am 28.12.2024.