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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

päische Großmächte in die Hand genommen hatten, damit erinnert wurden, wie
sie als solche 1852 einen Vertrag fdas Londoner Protokolls unterzeichnet, der
die Integrität der dänischen Gesamtmonarchie garantirte, fand sich zum Glücke,
daß derselbe den: Bundestage niemals mitgeteilt und von diesem niemals ge¬
nehmigt worden war. Kriegerische Drohungen, die in London und Petersburg
laut wurden, veranlaßten die deutschen Großmächte, sich des Bundes zu be¬
dienen, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen und den unbequem ge¬
wordenen Londoner Vertrag zu zerreißen. Die sächsische Diplomatie hatte,
wie die Maus in der Fabel, das Netz zernagt, das Palmerston und Brünnow
gesponnen hatten." Die Londoner Konferenz verlief ergebnislos, da Dänemark
die Friedeusvorschlüge der Neutralen verwarf. England und Rußland wagten
keinen Krieg mit Gesamtdeutschland, da Napoleon nicht mitthun wollte. Nur
Preußen hatte von dem bisherigen dänischen Kriege Vorteil: es hatte sein
Zündundelgewehr erprobt, zwei Provinzen mit dem hochwichtigen Kieler Hafen
erobert und Gelegenheit gewonnen, den Bruch mit Österreich und die Sprengung
des Bundes herbeizuführen. Hierzu drängte auch der innere Konflikt in Preußen.
"Bismarck wußte, daß das Sein oder Nichtsein Preußens und Deutschlands in
Frage stand. Er allein hatte erkannt -- und hierin liegt die wahre Bedeutung
dieses Staatsmannes -- daß die schwere Krankheit des Staates nicht dnrch Pal¬
liativmaßregeln geheilt werden könnte. Die chirurgische Operation des Krieges
allem gab die Möglichkeit der Rettung. So bedenklich anch vom Standpunkte der
Privatmoral die Mittel sein mögen, die angewendet werden mußten, um den
Patienten zu narkotisiren, und so gewaltsam auch die Operation selbst erscheinen
mag, so wird doch das Urteil der Geschichte sich hauptsächlich an das Ziel zu halten
haben, das erreicht worden ist. Erreicht wurde es, weil Bismarck jederzeit das
Mögliche gewollt und das Notwendige gethan hat. Vor Staatsmännern dieses
Schlages beugt sich die Mitwelt, und die Nachwelt vergißt es über ihren Er¬
folge", wenn sie in der Hitze des Gefechts, blinder Parteileidenschnft gegenüber,
Juvenals Ap volo, sie ,jut"zö, M pro rations voluntas zuweiten scharf und
entschieden betont haben."

So unser ehemals streng und jetzt noch mit dem Herzen großdeutscher
Verfasser. Selbstverständlich stimmen wir mit ihm vielfach nicht überein,
namentlich nicht, wo er meint, eS hätte doch anders kommen sollen und wohl
anch kommen können. Aber in seiner jetzigen Ergebung sind wir mit ihm zu¬
frieden.




Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

päische Großmächte in die Hand genommen hatten, damit erinnert wurden, wie
sie als solche 1852 einen Vertrag fdas Londoner Protokolls unterzeichnet, der
die Integrität der dänischen Gesamtmonarchie garantirte, fand sich zum Glücke,
daß derselbe den: Bundestage niemals mitgeteilt und von diesem niemals ge¬
nehmigt worden war. Kriegerische Drohungen, die in London und Petersburg
laut wurden, veranlaßten die deutschen Großmächte, sich des Bundes zu be¬
dienen, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen und den unbequem ge¬
wordenen Londoner Vertrag zu zerreißen. Die sächsische Diplomatie hatte,
wie die Maus in der Fabel, das Netz zernagt, das Palmerston und Brünnow
gesponnen hatten." Die Londoner Konferenz verlief ergebnislos, da Dänemark
die Friedeusvorschlüge der Neutralen verwarf. England und Rußland wagten
keinen Krieg mit Gesamtdeutschland, da Napoleon nicht mitthun wollte. Nur
Preußen hatte von dem bisherigen dänischen Kriege Vorteil: es hatte sein
Zündundelgewehr erprobt, zwei Provinzen mit dem hochwichtigen Kieler Hafen
erobert und Gelegenheit gewonnen, den Bruch mit Österreich und die Sprengung
des Bundes herbeizuführen. Hierzu drängte auch der innere Konflikt in Preußen.
„Bismarck wußte, daß das Sein oder Nichtsein Preußens und Deutschlands in
Frage stand. Er allein hatte erkannt — und hierin liegt die wahre Bedeutung
dieses Staatsmannes — daß die schwere Krankheit des Staates nicht dnrch Pal¬
liativmaßregeln geheilt werden könnte. Die chirurgische Operation des Krieges
allem gab die Möglichkeit der Rettung. So bedenklich anch vom Standpunkte der
Privatmoral die Mittel sein mögen, die angewendet werden mußten, um den
Patienten zu narkotisiren, und so gewaltsam auch die Operation selbst erscheinen
mag, so wird doch das Urteil der Geschichte sich hauptsächlich an das Ziel zu halten
haben, das erreicht worden ist. Erreicht wurde es, weil Bismarck jederzeit das
Mögliche gewollt und das Notwendige gethan hat. Vor Staatsmännern dieses
Schlages beugt sich die Mitwelt, und die Nachwelt vergißt es über ihren Er¬
folge», wenn sie in der Hitze des Gefechts, blinder Parteileidenschnft gegenüber,
Juvenals Ap volo, sie ,jut«zö, M pro rations voluntas zuweiten scharf und
entschieden betont haben."

So unser ehemals streng und jetzt noch mit dem Herzen großdeutscher
Verfasser. Selbstverständlich stimmen wir mit ihm vielfach nicht überein,
namentlich nicht, wo er meint, eS hätte doch anders kommen sollen und wohl
anch kommen können. Aber in seiner jetzigen Ergebung sind wir mit ihm zu¬
frieden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/92>, abgerufen am 25.08.2024.