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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Acis Nationalgefiihl

und volkskräftigen Sang, von den zum Teil prächtigen Volksliedern im Heere
an bis zu den erhabensten Weiheliedern des Kampfes; man war einig, man
fühlte sich vom König bis zum Geringsten, unter Offizieren und Studenten,
Bürgerssöhnen und Bauernburschen so sehr Kamerad, so menschlich nahe wie
nie zuvor; nichts mehr als gerade diese Kameradschaftlichkeit in deu Sammel¬
plätzen und dann in den Schlachten und in den Sturmnächten des Feldzuges
hat für die Folgezeit die in den Herzen ruhenden zugleich nationalen und
freiheitlichen Hoffnungen nur noch vertieft und verstärkt erhalten.

Aber sie erwachten erst und wollten wirksam sein, erinnerten sich der
fürstlichen Proklamationen, die während des Feldzuges volkstümliche, freiheit¬
liche Veränderungen versprochen hatten, als die Befreiung und der Sieg er¬
rungen waren, als die Viktoria des Brandenburger Thores wieder herabgeholt
war von dem ragenden Bogen des Triumphatvrs auf der Höhe im Westen von
Paris, das ein Jahrzehnt hindurch die politische Hauptstadt Europas gewesen
und nun so tief gedemütigt war, als eichenlaubbekränzt die Kämpfer nach
Hause zurückgekehrt waren. Nun erst begann man zu fragen und zu fordern,
faßte man -- und die großen Namen der Erhebung selber voran -- zum
erstenmal das Einheits- wie das Freiheitsstreben in bestimmte Erklärungen und
Formeln, nun erst vollzog sich die Verbindung des Nationalgefühls, das bis¬
her so unfaßbar ideal, so über alles tägliche Denken sternenhvch erhaben ge¬
wesen war, mit diesen ganz neuen konkreten Wünschen. Aber diese selbst in ihrem
schwerfälligen Werden, ihrer bunten Mannichfaltigkeit, ihrem innern Kampf mit
eigner Unklarheit, mit falschen Voraussetzungen und größten Gegensätzen und
Unmöglichkeiten in sich selber zu schildern mag einer spätern Gelegenheit
vorbehalten sein. Das Nationalgefühl an sich suchte an ihnen einen sichern,
festen Hort, aber sie waren zu unbestimmt und gingen zu weit aus einander,
und so fand es ihn nicht. Und doch hätte es seiner um so mehr bedurft, als
aus dem Befreiungskampfe der Deutschen unabwendbar wieder ein leidiger
Krieg verbündeter Fürsten hatte werden müssen, als sodann, wie Stein es
schon während des Feldzuges mit zorniger Trauer vorhergesehen hatte, was
das Schwert gut gemacht, verdürben ward durch die Federn am grünen Tische
und als sich der Himmel des Deutschen, an dein er schon die Mvrgenfonnen-
strahlen des einigen freien Vaterlandes hatte aufblitzen sehen, in ein neues
Grau hüllte.

Im Jahre 1817 erschien in Halle ein schön ausgestattetes Erinnerungs-
buch für die Kämpfer von 1813, 1814 und 1815, auf das von Persönlich¬
keiten fürstlichen Ranges subskribirteu: der König und die Prinzen von Preußen,
der treffliche alte Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin, dann Harden-
berg und -- Wrede (er war selber darin abgebildet). Die übrigen legten die
Subskriptionseinladnng mit mitleidigem Blick auf die Seite.

Und im Volke war das herrliche Vertrauen längst erloschen, mit dem
man in den heiligen Krieg gezogen war; da trübte sich nicht nur der Sinn


Acis Nationalgefiihl

und volkskräftigen Sang, von den zum Teil prächtigen Volksliedern im Heere
an bis zu den erhabensten Weiheliedern des Kampfes; man war einig, man
fühlte sich vom König bis zum Geringsten, unter Offizieren und Studenten,
Bürgerssöhnen und Bauernburschen so sehr Kamerad, so menschlich nahe wie
nie zuvor; nichts mehr als gerade diese Kameradschaftlichkeit in deu Sammel¬
plätzen und dann in den Schlachten und in den Sturmnächten des Feldzuges
hat für die Folgezeit die in den Herzen ruhenden zugleich nationalen und
freiheitlichen Hoffnungen nur noch vertieft und verstärkt erhalten.

Aber sie erwachten erst und wollten wirksam sein, erinnerten sich der
fürstlichen Proklamationen, die während des Feldzuges volkstümliche, freiheit¬
liche Veränderungen versprochen hatten, als die Befreiung und der Sieg er¬
rungen waren, als die Viktoria des Brandenburger Thores wieder herabgeholt
war von dem ragenden Bogen des Triumphatvrs auf der Höhe im Westen von
Paris, das ein Jahrzehnt hindurch die politische Hauptstadt Europas gewesen
und nun so tief gedemütigt war, als eichenlaubbekränzt die Kämpfer nach
Hause zurückgekehrt waren. Nun erst begann man zu fragen und zu fordern,
faßte man — und die großen Namen der Erhebung selber voran — zum
erstenmal das Einheits- wie das Freiheitsstreben in bestimmte Erklärungen und
Formeln, nun erst vollzog sich die Verbindung des Nationalgefühls, das bis¬
her so unfaßbar ideal, so über alles tägliche Denken sternenhvch erhaben ge¬
wesen war, mit diesen ganz neuen konkreten Wünschen. Aber diese selbst in ihrem
schwerfälligen Werden, ihrer bunten Mannichfaltigkeit, ihrem innern Kampf mit
eigner Unklarheit, mit falschen Voraussetzungen und größten Gegensätzen und
Unmöglichkeiten in sich selber zu schildern mag einer spätern Gelegenheit
vorbehalten sein. Das Nationalgefühl an sich suchte an ihnen einen sichern,
festen Hort, aber sie waren zu unbestimmt und gingen zu weit aus einander,
und so fand es ihn nicht. Und doch hätte es seiner um so mehr bedurft, als
aus dem Befreiungskampfe der Deutschen unabwendbar wieder ein leidiger
Krieg verbündeter Fürsten hatte werden müssen, als sodann, wie Stein es
schon während des Feldzuges mit zorniger Trauer vorhergesehen hatte, was
das Schwert gut gemacht, verdürben ward durch die Federn am grünen Tische
und als sich der Himmel des Deutschen, an dein er schon die Mvrgenfonnen-
strahlen des einigen freien Vaterlandes hatte aufblitzen sehen, in ein neues
Grau hüllte.

Im Jahre 1817 erschien in Halle ein schön ausgestattetes Erinnerungs-
buch für die Kämpfer von 1813, 1814 und 1815, auf das von Persönlich¬
keiten fürstlichen Ranges subskribirteu: der König und die Prinzen von Preußen,
der treffliche alte Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin, dann Harden-
berg und — Wrede (er war selber darin abgebildet). Die übrigen legten die
Subskriptionseinladnng mit mitleidigem Blick auf die Seite.

Und im Volke war das herrliche Vertrauen längst erloschen, mit dem
man in den heiligen Krieg gezogen war; da trübte sich nicht nur der Sinn


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[0084] Acis Nationalgefiihl und volkskräftigen Sang, von den zum Teil prächtigen Volksliedern im Heere an bis zu den erhabensten Weiheliedern des Kampfes; man war einig, man fühlte sich vom König bis zum Geringsten, unter Offizieren und Studenten, Bürgerssöhnen und Bauernburschen so sehr Kamerad, so menschlich nahe wie nie zuvor; nichts mehr als gerade diese Kameradschaftlichkeit in deu Sammel¬ plätzen und dann in den Schlachten und in den Sturmnächten des Feldzuges hat für die Folgezeit die in den Herzen ruhenden zugleich nationalen und freiheitlichen Hoffnungen nur noch vertieft und verstärkt erhalten. Aber sie erwachten erst und wollten wirksam sein, erinnerten sich der fürstlichen Proklamationen, die während des Feldzuges volkstümliche, freiheit¬ liche Veränderungen versprochen hatten, als die Befreiung und der Sieg er¬ rungen waren, als die Viktoria des Brandenburger Thores wieder herabgeholt war von dem ragenden Bogen des Triumphatvrs auf der Höhe im Westen von Paris, das ein Jahrzehnt hindurch die politische Hauptstadt Europas gewesen und nun so tief gedemütigt war, als eichenlaubbekränzt die Kämpfer nach Hause zurückgekehrt waren. Nun erst begann man zu fragen und zu fordern, faßte man — und die großen Namen der Erhebung selber voran — zum erstenmal das Einheits- wie das Freiheitsstreben in bestimmte Erklärungen und Formeln, nun erst vollzog sich die Verbindung des Nationalgefühls, das bis¬ her so unfaßbar ideal, so über alles tägliche Denken sternenhvch erhaben ge¬ wesen war, mit diesen ganz neuen konkreten Wünschen. Aber diese selbst in ihrem schwerfälligen Werden, ihrer bunten Mannichfaltigkeit, ihrem innern Kampf mit eigner Unklarheit, mit falschen Voraussetzungen und größten Gegensätzen und Unmöglichkeiten in sich selber zu schildern mag einer spätern Gelegenheit vorbehalten sein. Das Nationalgefühl an sich suchte an ihnen einen sichern, festen Hort, aber sie waren zu unbestimmt und gingen zu weit aus einander, und so fand es ihn nicht. Und doch hätte es seiner um so mehr bedurft, als aus dem Befreiungskampfe der Deutschen unabwendbar wieder ein leidiger Krieg verbündeter Fürsten hatte werden müssen, als sodann, wie Stein es schon während des Feldzuges mit zorniger Trauer vorhergesehen hatte, was das Schwert gut gemacht, verdürben ward durch die Federn am grünen Tische und als sich der Himmel des Deutschen, an dein er schon die Mvrgenfonnen- strahlen des einigen freien Vaterlandes hatte aufblitzen sehen, in ein neues Grau hüllte. Im Jahre 1817 erschien in Halle ein schön ausgestattetes Erinnerungs- buch für die Kämpfer von 1813, 1814 und 1815, auf das von Persönlich¬ keiten fürstlichen Ranges subskribirteu: der König und die Prinzen von Preußen, der treffliche alte Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin, dann Harden- berg und — Wrede (er war selber darin abgebildet). Die übrigen legten die Subskriptionseinladnng mit mitleidigem Blick auf die Seite. Und im Volke war das herrliche Vertrauen längst erloschen, mit dem man in den heiligen Krieg gezogen war; da trübte sich nicht nur der Sinn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/84>, abgerufen am 23.07.2024.