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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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jener glorreichen Tage, sondern auch das geschichtliche Andenken der unent-
weiht idealen und patriotischen Erhebung selber. Aus der bittern Ent¬
täuschung der Kongreßzeit heraus ward die innere staatliche Freiheit zur all¬
täglichen politischen Forderung, diese allein, das geringste, war übrig geblieben
von der Geisterbewegung der Jahre bis 1813. Und so kam es dahin, daß
man künstliche Reminiszenzen schuf, daß man allmählich und schließlich
glaubte, es sei 1813 und 1814 vom Volke in erster Linie für das gekämpft
worden, was man Jahre, Jahrzehnte später in Parteiprogrammen und in
Volksversammlungen heischte und wofür doch kaum ein flüchtiger Gedanke
damals übrig gewesen war, als man die Schlachten schlug. Und während die
Freiheit, sür die die Vater gekämpft haben sollten, zum Stichwort geworden
war, da hatte man zugleich geduldet, daß es wie ein französisches Wesen über
das neue Geschlecht gebracht worden our, da erklangen überall in deutscheu
Landen Heines Lied von den beiden Grenadieren, Zedlitzeus Napoleonische Toten¬
schau "Nachts um die zwölfte Stunde" und Saphirs Gedicht "Im Garten
zu Schönbrunner." Der nationale und patriotische Sinn der großen Erhebung
und die Hoffnungen des Nationalgefühls, die es in seiner zweiten -- hier
noch nicht besprochenen -- Entwicklungsstufe 1314--1815, so zum Teil
wunderlich zwar, aber so lebhaft, herzlich und erhebend hervvrgedrängt hatte,
waren vergessen worden und begraben.

Denn keimte wieder langsam nach Jahrzehnten ein nationales Sagen und
Singen und neue Hoffnung des deutschen Einheitstraumes empor. Aber es
bedürfte noch neuer, glühendheißer Zornesflammen über Schmach und Kläg¬
lichkeit, bis sie allgemein und alles überwindend, neuer bitterster Belehrung,
bis sie politisch angreifbarer, brauchbarer wurden. Dann gab, nachdem in¬
zwischen längst die Ideen von innerer Freiheit in den deutschen Ländern erfüllt
worden waren, die gewaltige Geschichte einer kurzen Reihe von Jahren, eine
Entwicklung, politisch viel bedeutender als das geschichtliche Ergebnis der Be¬
freiungskriege, dem nationalen Sinne der Deutschen die glanzvolle Heimstätte.

Wir, die seinen Wert geschichtlich zu ermitteln und zu messen suchen, indem
Wir zurückblicken, durch welches Geschick die Nation, die zufrieden gewesen war,
gedankenvoll zu heißen und thatennrm, in heißer Not zum thatgewaltigen
Volke der deutschen Befreiung geworden ist, wir wollen, weil wir den Wert
des nationalen Geistes ganz erkennen, so viel an uns ist, helfen, daß er anch
in der Erfüllung bewahrt werde.





jener glorreichen Tage, sondern auch das geschichtliche Andenken der unent-
weiht idealen und patriotischen Erhebung selber. Aus der bittern Ent¬
täuschung der Kongreßzeit heraus ward die innere staatliche Freiheit zur all¬
täglichen politischen Forderung, diese allein, das geringste, war übrig geblieben
von der Geisterbewegung der Jahre bis 1813. Und so kam es dahin, daß
man künstliche Reminiszenzen schuf, daß man allmählich und schließlich
glaubte, es sei 1813 und 1814 vom Volke in erster Linie für das gekämpft
worden, was man Jahre, Jahrzehnte später in Parteiprogrammen und in
Volksversammlungen heischte und wofür doch kaum ein flüchtiger Gedanke
damals übrig gewesen war, als man die Schlachten schlug. Und während die
Freiheit, sür die die Vater gekämpft haben sollten, zum Stichwort geworden
war, da hatte man zugleich geduldet, daß es wie ein französisches Wesen über
das neue Geschlecht gebracht worden our, da erklangen überall in deutscheu
Landen Heines Lied von den beiden Grenadieren, Zedlitzeus Napoleonische Toten¬
schau „Nachts um die zwölfte Stunde" und Saphirs Gedicht „Im Garten
zu Schönbrunner." Der nationale und patriotische Sinn der großen Erhebung
und die Hoffnungen des Nationalgefühls, die es in seiner zweiten — hier
noch nicht besprochenen — Entwicklungsstufe 1314—1815, so zum Teil
wunderlich zwar, aber so lebhaft, herzlich und erhebend hervvrgedrängt hatte,
waren vergessen worden und begraben.

Denn keimte wieder langsam nach Jahrzehnten ein nationales Sagen und
Singen und neue Hoffnung des deutschen Einheitstraumes empor. Aber es
bedürfte noch neuer, glühendheißer Zornesflammen über Schmach und Kläg¬
lichkeit, bis sie allgemein und alles überwindend, neuer bitterster Belehrung,
bis sie politisch angreifbarer, brauchbarer wurden. Dann gab, nachdem in¬
zwischen längst die Ideen von innerer Freiheit in den deutschen Ländern erfüllt
worden waren, die gewaltige Geschichte einer kurzen Reihe von Jahren, eine
Entwicklung, politisch viel bedeutender als das geschichtliche Ergebnis der Be¬
freiungskriege, dem nationalen Sinne der Deutschen die glanzvolle Heimstätte.

Wir, die seinen Wert geschichtlich zu ermitteln und zu messen suchen, indem
Wir zurückblicken, durch welches Geschick die Nation, die zufrieden gewesen war,
gedankenvoll zu heißen und thatennrm, in heißer Not zum thatgewaltigen
Volke der deutschen Befreiung geworden ist, wir wollen, weil wir den Wert
des nationalen Geistes ganz erkennen, so viel an uns ist, helfen, daß er anch
in der Erfüllung bewahrt werde.





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[0085] jener glorreichen Tage, sondern auch das geschichtliche Andenken der unent- weiht idealen und patriotischen Erhebung selber. Aus der bittern Ent¬ täuschung der Kongreßzeit heraus ward die innere staatliche Freiheit zur all¬ täglichen politischen Forderung, diese allein, das geringste, war übrig geblieben von der Geisterbewegung der Jahre bis 1813. Und so kam es dahin, daß man künstliche Reminiszenzen schuf, daß man allmählich und schließlich glaubte, es sei 1813 und 1814 vom Volke in erster Linie für das gekämpft worden, was man Jahre, Jahrzehnte später in Parteiprogrammen und in Volksversammlungen heischte und wofür doch kaum ein flüchtiger Gedanke damals übrig gewesen war, als man die Schlachten schlug. Und während die Freiheit, sür die die Vater gekämpft haben sollten, zum Stichwort geworden war, da hatte man zugleich geduldet, daß es wie ein französisches Wesen über das neue Geschlecht gebracht worden our, da erklangen überall in deutscheu Landen Heines Lied von den beiden Grenadieren, Zedlitzeus Napoleonische Toten¬ schau „Nachts um die zwölfte Stunde" und Saphirs Gedicht „Im Garten zu Schönbrunner." Der nationale und patriotische Sinn der großen Erhebung und die Hoffnungen des Nationalgefühls, die es in seiner zweiten — hier noch nicht besprochenen — Entwicklungsstufe 1314—1815, so zum Teil wunderlich zwar, aber so lebhaft, herzlich und erhebend hervvrgedrängt hatte, waren vergessen worden und begraben. Denn keimte wieder langsam nach Jahrzehnten ein nationales Sagen und Singen und neue Hoffnung des deutschen Einheitstraumes empor. Aber es bedürfte noch neuer, glühendheißer Zornesflammen über Schmach und Kläg¬ lichkeit, bis sie allgemein und alles überwindend, neuer bitterster Belehrung, bis sie politisch angreifbarer, brauchbarer wurden. Dann gab, nachdem in¬ zwischen längst die Ideen von innerer Freiheit in den deutschen Ländern erfüllt worden waren, die gewaltige Geschichte einer kurzen Reihe von Jahren, eine Entwicklung, politisch viel bedeutender als das geschichtliche Ergebnis der Be¬ freiungskriege, dem nationalen Sinne der Deutschen die glanzvolle Heimstätte. Wir, die seinen Wert geschichtlich zu ermitteln und zu messen suchen, indem Wir zurückblicken, durch welches Geschick die Nation, die zufrieden gewesen war, gedankenvoll zu heißen und thatennrm, in heißer Not zum thatgewaltigen Volke der deutschen Befreiung geworden ist, wir wollen, weil wir den Wert des nationalen Geistes ganz erkennen, so viel an uns ist, helfen, daß er anch in der Erfüllung bewahrt werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/85>, abgerufen am 23.07.2024.