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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die allgemeine Ivchrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

livrer Deutschen gegenüber 38 Millionen Franzosen mehr mis ausreichend, nur
dies zu ersetzen. Nein, der eigentliche Grund ist der Kostenpunkt und die un¬
mittelbare Ursache die milden deutschen Bestimmungen über die Heranziehung
zum Dienst mit der Waffe. Man kann dreist behaupten, daß der weitaus
größte Teil der 160000 jährlich zur nicht übenden Ersatzreserve und zum
Landsturm ersten Aufgebots übertretenden Leute bei strenger Anwendung der
Wehrpflicht für dienstfähig erklärt werden würde. So verlieren wir, vom
militärischen Staudpunkte gesehen, jährlich uicht nur 33000, souderu fast
160000 Mann.

Ob es geraten wäre, alle diese Leute auszubilden, ist eine andre Frage.
Bei ihrer Beantwortung kommen vor allem volkswirtschaftliche und finanzielle
Rücksichten in Betracht. Im allgemeinen wird man nicht geneigt sei", die
Frage zu bejahen, wenigstens uicht in ihrem ganzen Umfange. Ein so reiches
Land wie Frankreich kann sich in dieser Beziehung schou eher etwas erlauben.
Trotzdem hat es, um die notwendigen Geldmittel bequem flüssig zu macheu,
eine Wehrsteuer einführen müssen, die alle, die irgend eine Diensterleichternng
in Anspruch nehmen, auch die körperlich Untauglichem, zu erlegen haben. In
Deutschland wird man sich kaum zu einer derartigen Maßregel entschließen wollen.
Wir sehen den militärischem Dienst als eine Ehrenpflicht jedes dazu tauglichen
Volksangehvrigen an und sind der Meinung, daß Ehrenpflichten nicht durch Geld
abgelöst werden können. Es ist dies eine charakteristische Verschiedenheit der
Grundanschauungen in Frankreich lind Deutschland, die auf die Volksauffassuug
der allgemeinen Wehrpflicht ein Helles Licht fallen läßt. Übrigens wäre es
nicht uninteressant, zu untersuchen, inwieweit auf der einen Seite das uner¬
schütterliche Vertrauen des Volkes ans die Gerechtigkeit der Regierung und ihrer
Organe die Aufrechterhaltung der Ungleichheiten der Bürger in Ansehung der
militärischen Anforderungen zu Gunsten der Schonung der wirtschaftlichen Kraft
möglich macht, inwieweit auf der andern der Mangel einer solchen Zuversicht
das radikale Gesetz erzwungen hat. Doch liegt diese schließlich zu einem Ver¬
gleich der Vor- und Nachteile der verschiednen Stantsverfassuugen führende
Untersuchung zu weit von dem Gegenstand unsrer Betrachtung ab, als daß
wir sie hier weiter verfolgen könnten.

Wir sagten oben, für die Wehrkraft eines modernen Grvßstaates sei die
Zahl der militärisch ausgebildeten Mannschaften das Entscheidende. Jetzt können
wir hinzufügen, daß über die Kriegstüchtigkeit eines Heeres nicht die Zahl der
ausgebildeten Streiter, sondern die Art ihrer Ausbildung entscheidet. Ist es
nötig, vor deutscheu Lesern den Beweis hierfür zu führen? Wir meinen nicht.
Sie wissen alle, welcher Unterschied besteht zwischen jungen Truppen, denen
mau die handwerksmäßigen Griffe ihrer Kunst, vielleicht noch eiuen gewisse"
äußern Schliff beigebracht hat, und Soldaten, die sich in ernster Arbeit für
ihren schweren Beruf vorbereitet haben. Die Sieger von Orleans, Se. Quentin,


Die allgemeine Ivchrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

livrer Deutschen gegenüber 38 Millionen Franzosen mehr mis ausreichend, nur
dies zu ersetzen. Nein, der eigentliche Grund ist der Kostenpunkt und die un¬
mittelbare Ursache die milden deutschen Bestimmungen über die Heranziehung
zum Dienst mit der Waffe. Man kann dreist behaupten, daß der weitaus
größte Teil der 160000 jährlich zur nicht übenden Ersatzreserve und zum
Landsturm ersten Aufgebots übertretenden Leute bei strenger Anwendung der
Wehrpflicht für dienstfähig erklärt werden würde. So verlieren wir, vom
militärischen Staudpunkte gesehen, jährlich uicht nur 33000, souderu fast
160000 Mann.

Ob es geraten wäre, alle diese Leute auszubilden, ist eine andre Frage.
Bei ihrer Beantwortung kommen vor allem volkswirtschaftliche und finanzielle
Rücksichten in Betracht. Im allgemeinen wird man nicht geneigt sei», die
Frage zu bejahen, wenigstens uicht in ihrem ganzen Umfange. Ein so reiches
Land wie Frankreich kann sich in dieser Beziehung schou eher etwas erlauben.
Trotzdem hat es, um die notwendigen Geldmittel bequem flüssig zu macheu,
eine Wehrsteuer einführen müssen, die alle, die irgend eine Diensterleichternng
in Anspruch nehmen, auch die körperlich Untauglichem, zu erlegen haben. In
Deutschland wird man sich kaum zu einer derartigen Maßregel entschließen wollen.
Wir sehen den militärischem Dienst als eine Ehrenpflicht jedes dazu tauglichen
Volksangehvrigen an und sind der Meinung, daß Ehrenpflichten nicht durch Geld
abgelöst werden können. Es ist dies eine charakteristische Verschiedenheit der
Grundanschauungen in Frankreich lind Deutschland, die auf die Volksauffassuug
der allgemeinen Wehrpflicht ein Helles Licht fallen läßt. Übrigens wäre es
nicht uninteressant, zu untersuchen, inwieweit auf der einen Seite das uner¬
schütterliche Vertrauen des Volkes ans die Gerechtigkeit der Regierung und ihrer
Organe die Aufrechterhaltung der Ungleichheiten der Bürger in Ansehung der
militärischen Anforderungen zu Gunsten der Schonung der wirtschaftlichen Kraft
möglich macht, inwieweit auf der andern der Mangel einer solchen Zuversicht
das radikale Gesetz erzwungen hat. Doch liegt diese schließlich zu einem Ver¬
gleich der Vor- und Nachteile der verschiednen Stantsverfassuugen führende
Untersuchung zu weit von dem Gegenstand unsrer Betrachtung ab, als daß
wir sie hier weiter verfolgen könnten.

Wir sagten oben, für die Wehrkraft eines modernen Grvßstaates sei die
Zahl der militärisch ausgebildeten Mannschaften das Entscheidende. Jetzt können
wir hinzufügen, daß über die Kriegstüchtigkeit eines Heeres nicht die Zahl der
ausgebildeten Streiter, sondern die Art ihrer Ausbildung entscheidet. Ist es
nötig, vor deutscheu Lesern den Beweis hierfür zu führen? Wir meinen nicht.
Sie wissen alle, welcher Unterschied besteht zwischen jungen Truppen, denen
mau die handwerksmäßigen Griffe ihrer Kunst, vielleicht noch eiuen gewisse»
äußern Schliff beigebracht hat, und Soldaten, die sich in ernster Arbeit für
ihren schweren Beruf vorbereitet haben. Die Sieger von Orleans, Se. Quentin,


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[0072] Die allgemeine Ivchrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs livrer Deutschen gegenüber 38 Millionen Franzosen mehr mis ausreichend, nur dies zu ersetzen. Nein, der eigentliche Grund ist der Kostenpunkt und die un¬ mittelbare Ursache die milden deutschen Bestimmungen über die Heranziehung zum Dienst mit der Waffe. Man kann dreist behaupten, daß der weitaus größte Teil der 160000 jährlich zur nicht übenden Ersatzreserve und zum Landsturm ersten Aufgebots übertretenden Leute bei strenger Anwendung der Wehrpflicht für dienstfähig erklärt werden würde. So verlieren wir, vom militärischen Staudpunkte gesehen, jährlich uicht nur 33000, souderu fast 160000 Mann. Ob es geraten wäre, alle diese Leute auszubilden, ist eine andre Frage. Bei ihrer Beantwortung kommen vor allem volkswirtschaftliche und finanzielle Rücksichten in Betracht. Im allgemeinen wird man nicht geneigt sei», die Frage zu bejahen, wenigstens uicht in ihrem ganzen Umfange. Ein so reiches Land wie Frankreich kann sich in dieser Beziehung schou eher etwas erlauben. Trotzdem hat es, um die notwendigen Geldmittel bequem flüssig zu macheu, eine Wehrsteuer einführen müssen, die alle, die irgend eine Diensterleichternng in Anspruch nehmen, auch die körperlich Untauglichem, zu erlegen haben. In Deutschland wird man sich kaum zu einer derartigen Maßregel entschließen wollen. Wir sehen den militärischem Dienst als eine Ehrenpflicht jedes dazu tauglichen Volksangehvrigen an und sind der Meinung, daß Ehrenpflichten nicht durch Geld abgelöst werden können. Es ist dies eine charakteristische Verschiedenheit der Grundanschauungen in Frankreich lind Deutschland, die auf die Volksauffassuug der allgemeinen Wehrpflicht ein Helles Licht fallen läßt. Übrigens wäre es nicht uninteressant, zu untersuchen, inwieweit auf der einen Seite das uner¬ schütterliche Vertrauen des Volkes ans die Gerechtigkeit der Regierung und ihrer Organe die Aufrechterhaltung der Ungleichheiten der Bürger in Ansehung der militärischen Anforderungen zu Gunsten der Schonung der wirtschaftlichen Kraft möglich macht, inwieweit auf der andern der Mangel einer solchen Zuversicht das radikale Gesetz erzwungen hat. Doch liegt diese schließlich zu einem Ver¬ gleich der Vor- und Nachteile der verschiednen Stantsverfassuugen führende Untersuchung zu weit von dem Gegenstand unsrer Betrachtung ab, als daß wir sie hier weiter verfolgen könnten. Wir sagten oben, für die Wehrkraft eines modernen Grvßstaates sei die Zahl der militärisch ausgebildeten Mannschaften das Entscheidende. Jetzt können wir hinzufügen, daß über die Kriegstüchtigkeit eines Heeres nicht die Zahl der ausgebildeten Streiter, sondern die Art ihrer Ausbildung entscheidet. Ist es nötig, vor deutscheu Lesern den Beweis hierfür zu führen? Wir meinen nicht. Sie wissen alle, welcher Unterschied besteht zwischen jungen Truppen, denen mau die handwerksmäßigen Griffe ihrer Kunst, vielleicht noch eiuen gewisse» äußern Schliff beigebracht hat, und Soldaten, die sich in ernster Arbeit für ihren schweren Beruf vorbereitet haben. Die Sieger von Orleans, Se. Quentin,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/72>, abgerufen am 23.07.2024.