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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die allgemeine Wehrpflicht in den lvehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

Le Mans und Dijon, die Belagerer von Paris haben es ihnen berichtet. Es
ist ihnen anch nicht unbekannt, wie Pflichttreue, eiserne Mannszucht, Kamerad¬
schaft -- der Schlüssel zu dem Rätsel der unvergleichlichen Erfolge in unsern
letzten Feldzügen -- nur durch sorgsamste und ausdauernde Friedenserziehung
einem Heere eingeimpft werden können. Dem gegenüber liegt die Frage nahe,
welche Ausbildung denn eigentlich den zum Dienst heraugezvgnen im dentschen
und im französischen Heere zu teil wird? Leider muß man bei ihrer Beant¬
wortung von nicht unwichtigen Einflüssen absehen, wie es z. B. die mehr oder
weniger große Energie der Schulung, die mehr oder weniger große Geeignetheit
des Mannschaftsersatzes für den militärischen Dienst sind. Sie sind zu schwer
nachweisbar, um sie mit in die Berechnung ziehen zu können. Im allgemeinen
werden sie sich aber ausgleichen, sodaß man nicht zu weit von der Wahrheit
abirren wird, wenn man die Art der Ausbildung lediglich nach ihrer Dauer
beurteilt.

Wir haben grundsätzlich die dreijährige Dienstzeit, abgeschwächt durch die
Einrichtung, daß ein großer Teil der Mannschaften schon nach zwei Jahren
in die Heimat entlassen wird, aber bis zum Ablauf des dritten Jahres jederzeit
für die Wiedereinberufung zur Verfügung bleibt. Daneben kennt unser Wehr¬
gesetz noch Einjährig-Freiwillige -- etwa 10000 treten jährlich unter die
Fahnen und die übenden Ersatzreserven. Frankreich hat gleichfalls statt
der bisherigen fünfjährigen die dreijährige Dienstzeit angenommen, dagegen die
Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen und der äönxivms xortion, d. i. einer
Klasse minderwertiger Soldaten, die nur kurze und kürgliche Ausbildung ge¬
nießen, abgeschafft. Doch will es 70000 Mann schon nach einem Jahr und
einen zweiten Teil nach zwei Jahren entlassen, weil die Dienstzeit von drei Jahren
für alle Staatsbürger ohne Ausnahme doch zu ungeheuerlich erschien. Der
Anspruch auf diese Vergünstigungen ist einerseits den Leuten zugesprochen, die
in Deutschland wegen häuslicher Verhältnisse überhaupt vom Dienst entbunden
oder der nicht übende" Ersatzreserve oder dein Landsturm ersten Aufgebots
überwiesen werden, anderseits einigen wenigen Klassen von Studirenden (haupt¬
sächlich Lehrern und Geistlichen) angeboten, die die Bürgschaft bieten, daß die
Früchte ihrer Studien unmittelbar dem Staate zu gute kommen.

Mau hat nnn behauptet, durch diese Vergünstigungen verliere das "eile
französische Gesetz beinahe ganz seinen Wert, denn durch sie sei doch wieder
eine äizuxivrns purtion in denen, die nur ein Jahr dienen, geschaffen, und diese
entspreche unsrer Ersatzreserve. So richtig das eine ist, so falsch ist das andre.
Soldaten mit einjähriger Ausbildung sind unzweifelhaft weniger wert als solche
nut zwei- oder dreijähriger. Wir würden einer derartigen Dienstverkürzung
"ach den an den Einjährig-Freiwilligen trotz der Vorzüglichkeit dieses Ersatzes
gemachten Erfahrungen niemals zustimmen könne". Aber ebenso unzweifelhaft
sind Leute von einjähriger Dienstzeit unsern Ersatzreserven weit überlegen.


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Die allgemeine Wehrpflicht in den lvehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

Le Mans und Dijon, die Belagerer von Paris haben es ihnen berichtet. Es
ist ihnen anch nicht unbekannt, wie Pflichttreue, eiserne Mannszucht, Kamerad¬
schaft — der Schlüssel zu dem Rätsel der unvergleichlichen Erfolge in unsern
letzten Feldzügen — nur durch sorgsamste und ausdauernde Friedenserziehung
einem Heere eingeimpft werden können. Dem gegenüber liegt die Frage nahe,
welche Ausbildung denn eigentlich den zum Dienst heraugezvgnen im dentschen
und im französischen Heere zu teil wird? Leider muß man bei ihrer Beant¬
wortung von nicht unwichtigen Einflüssen absehen, wie es z. B. die mehr oder
weniger große Energie der Schulung, die mehr oder weniger große Geeignetheit
des Mannschaftsersatzes für den militärischen Dienst sind. Sie sind zu schwer
nachweisbar, um sie mit in die Berechnung ziehen zu können. Im allgemeinen
werden sie sich aber ausgleichen, sodaß man nicht zu weit von der Wahrheit
abirren wird, wenn man die Art der Ausbildung lediglich nach ihrer Dauer
beurteilt.

Wir haben grundsätzlich die dreijährige Dienstzeit, abgeschwächt durch die
Einrichtung, daß ein großer Teil der Mannschaften schon nach zwei Jahren
in die Heimat entlassen wird, aber bis zum Ablauf des dritten Jahres jederzeit
für die Wiedereinberufung zur Verfügung bleibt. Daneben kennt unser Wehr¬
gesetz noch Einjährig-Freiwillige — etwa 10000 treten jährlich unter die
Fahnen und die übenden Ersatzreserven. Frankreich hat gleichfalls statt
der bisherigen fünfjährigen die dreijährige Dienstzeit angenommen, dagegen die
Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen und der äönxivms xortion, d. i. einer
Klasse minderwertiger Soldaten, die nur kurze und kürgliche Ausbildung ge¬
nießen, abgeschafft. Doch will es 70000 Mann schon nach einem Jahr und
einen zweiten Teil nach zwei Jahren entlassen, weil die Dienstzeit von drei Jahren
für alle Staatsbürger ohne Ausnahme doch zu ungeheuerlich erschien. Der
Anspruch auf diese Vergünstigungen ist einerseits den Leuten zugesprochen, die
in Deutschland wegen häuslicher Verhältnisse überhaupt vom Dienst entbunden
oder der nicht übende» Ersatzreserve oder dein Landsturm ersten Aufgebots
überwiesen werden, anderseits einigen wenigen Klassen von Studirenden (haupt¬
sächlich Lehrern und Geistlichen) angeboten, die die Bürgschaft bieten, daß die
Früchte ihrer Studien unmittelbar dem Staate zu gute kommen.

Mau hat nnn behauptet, durch diese Vergünstigungen verliere das »eile
französische Gesetz beinahe ganz seinen Wert, denn durch sie sei doch wieder
eine äizuxivrns purtion in denen, die nur ein Jahr dienen, geschaffen, und diese
entspreche unsrer Ersatzreserve. So richtig das eine ist, so falsch ist das andre.
Soldaten mit einjähriger Ausbildung sind unzweifelhaft weniger wert als solche
nut zwei- oder dreijähriger. Wir würden einer derartigen Dienstverkürzung
"ach den an den Einjährig-Freiwilligen trotz der Vorzüglichkeit dieses Ersatzes
gemachten Erfahrungen niemals zustimmen könne». Aber ebenso unzweifelhaft
sind Leute von einjähriger Dienstzeit unsern Ersatzreserven weit überlegen.


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[0073] Die allgemeine Wehrpflicht in den lvehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs Le Mans und Dijon, die Belagerer von Paris haben es ihnen berichtet. Es ist ihnen anch nicht unbekannt, wie Pflichttreue, eiserne Mannszucht, Kamerad¬ schaft — der Schlüssel zu dem Rätsel der unvergleichlichen Erfolge in unsern letzten Feldzügen — nur durch sorgsamste und ausdauernde Friedenserziehung einem Heere eingeimpft werden können. Dem gegenüber liegt die Frage nahe, welche Ausbildung denn eigentlich den zum Dienst heraugezvgnen im dentschen und im französischen Heere zu teil wird? Leider muß man bei ihrer Beant¬ wortung von nicht unwichtigen Einflüssen absehen, wie es z. B. die mehr oder weniger große Energie der Schulung, die mehr oder weniger große Geeignetheit des Mannschaftsersatzes für den militärischen Dienst sind. Sie sind zu schwer nachweisbar, um sie mit in die Berechnung ziehen zu können. Im allgemeinen werden sie sich aber ausgleichen, sodaß man nicht zu weit von der Wahrheit abirren wird, wenn man die Art der Ausbildung lediglich nach ihrer Dauer beurteilt. Wir haben grundsätzlich die dreijährige Dienstzeit, abgeschwächt durch die Einrichtung, daß ein großer Teil der Mannschaften schon nach zwei Jahren in die Heimat entlassen wird, aber bis zum Ablauf des dritten Jahres jederzeit für die Wiedereinberufung zur Verfügung bleibt. Daneben kennt unser Wehr¬ gesetz noch Einjährig-Freiwillige — etwa 10000 treten jährlich unter die Fahnen und die übenden Ersatzreserven. Frankreich hat gleichfalls statt der bisherigen fünfjährigen die dreijährige Dienstzeit angenommen, dagegen die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen und der äönxivms xortion, d. i. einer Klasse minderwertiger Soldaten, die nur kurze und kürgliche Ausbildung ge¬ nießen, abgeschafft. Doch will es 70000 Mann schon nach einem Jahr und einen zweiten Teil nach zwei Jahren entlassen, weil die Dienstzeit von drei Jahren für alle Staatsbürger ohne Ausnahme doch zu ungeheuerlich erschien. Der Anspruch auf diese Vergünstigungen ist einerseits den Leuten zugesprochen, die in Deutschland wegen häuslicher Verhältnisse überhaupt vom Dienst entbunden oder der nicht übende» Ersatzreserve oder dein Landsturm ersten Aufgebots überwiesen werden, anderseits einigen wenigen Klassen von Studirenden (haupt¬ sächlich Lehrern und Geistlichen) angeboten, die die Bürgschaft bieten, daß die Früchte ihrer Studien unmittelbar dem Staate zu gute kommen. Mau hat nnn behauptet, durch diese Vergünstigungen verliere das »eile französische Gesetz beinahe ganz seinen Wert, denn durch sie sei doch wieder eine äizuxivrns purtion in denen, die nur ein Jahr dienen, geschaffen, und diese entspreche unsrer Ersatzreserve. So richtig das eine ist, so falsch ist das andre. Soldaten mit einjähriger Ausbildung sind unzweifelhaft weniger wert als solche nut zwei- oder dreijähriger. Wir würden einer derartigen Dienstverkürzung "ach den an den Einjährig-Freiwilligen trotz der Vorzüglichkeit dieses Ersatzes gemachten Erfahrungen niemals zustimmen könne». Aber ebenso unzweifelhaft sind Leute von einjähriger Dienstzeit unsern Ersatzreserven weit überlegen. Grenzbllte» I 1890 !>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/73>, abgerufen am 25.08.2024.