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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die allgemeine Wehrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

übnng, und da ist von langer Hand her vorzubereiten, nicht erst wenn die
höchste Not drängt, "denn wenn der Schade geschehen und die Kühe aus dem
Stall sind, ist es zu spät." Sonst geht es so, wie es den im letzten Augenblick
znsannnengcraffteu Unterthanen in Gotha und Werten geschah, die jämmerlich
auf die Fleischbank geführt wurden, während die geübtem Bürger von Aktuar
sich ohne irgend welche Hilfe von Söldnern trefflich gegen den Due de Alba ge¬
wehrt, der vor diesem Ort über 20000 Mann verlor." Und die Verhältnisse haben
sich doch durch die immer verwickeltere Zusammensetzung der Waffen uoch mehr
zu Ungunsten der militärisch nicht durchgebildeten Vvlksaufgebote verschoben.
Übrigens würde sich im Notfall auch ohne bestehende gesetzliche Vorschriften
jede kräftige Regierung den erforderlichen Heeresersatz schaffen. Weder Friedrich
der Große noch Napoleon der Erste, weder die französischen Republiken noch
die nordamerikanischen Parteien haben in dieser Hinsicht die geringsten Bedenken
gezeigt. Sie nahmen die notwendigen Rekruten, wo immer sie sie bekommen
konnten, ohne Rücksicht auf Alter und gesetzliche Bestimmungen.

Die gesetzlichen Bestimmungen haben, soweit sie die Dienstpflicht im Kriege
regeln, eigentlich uur einen Zweck, nämlich den, daß sie scheinbar die allgemeine
Wehrpflicht aufrecht erhalten und mit ihr die Pflicht des wehrpflichtigen
Staatsbürgers, sich der Ausbildung für den Krieg zu unterwerfen. Mit Absicht
sagen wir unter besondrer Beziehung auf das deutsche Wehrgesetz: scheinbar,
wie es sich in Wirklichkeit damit verhält, wird erkannt werden, wenn man die
sich zunächst aufdrängende Frage beantwortet: In welcher Altsdehnung werden
denn nun die Wehrpflichtigen zur militärischen Ausbildung im Frieden heran¬
gezogen?

Bei uns teilt sich jedes Jahr die Masse der Wehrpflichtigen in drei Haupt¬
teile: 187000 Mann treten zur Ausbildung nnter die Fahne, darunter sind
17000 Ersntzrcserven, 160000 kommen als nicht übende Ersatzreservcn und
Landstilrmlente ersten Aufgebots in mehr oder weniger lockere Beziehung zum
Heer, genießen aber keinerlei Ausbildung, der Nest wird vom Dienst überhaupt
wegen körperlicher Gebrechen oder häuslicher Verhältnisse entbunden oder wegen
Unwürdigkeit ausgeschlossen. Dagegen kennt Frankreich in Zukunft nnr zwei
Klaffen: 220000 Mann müssen sich der militärischen Schulung unterwerfen,
der Nest, und zwar nur die wirklich Kriegsunbrauchbaren und die Unwürdigen,
wird nicht zum Heeresdienst herangezogen. Alle diese Zahlen sind selbstver¬
ständlich nur als annähernd richtig anzusehen.

Das Erste, was aus ihnen in die Augen springt, ist, daß Deutschland
jährlich Z5!000 Mann weniger militärisch ausbildet als Frankreich. Der Grund
hierfür kann nicht der sein, daß in Frankreich mehr kriegstüchtige Männer
wären als bei uns. Denn wenn auch Frmikreich, wie die Statistik erstaun-
licherweise zeigt, im Alter von 20 bis 24 Jahren verhältnismäßig mehr triegs-
branchbare Leute hat als Deutschland, so ist doch der Vorsprung der 47 Mil-


Die allgemeine Wehrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs

übnng, und da ist von langer Hand her vorzubereiten, nicht erst wenn die
höchste Not drängt, »denn wenn der Schade geschehen und die Kühe aus dem
Stall sind, ist es zu spät.« Sonst geht es so, wie es den im letzten Augenblick
znsannnengcraffteu Unterthanen in Gotha und Werten geschah, die jämmerlich
auf die Fleischbank geführt wurden, während die geübtem Bürger von Aktuar
sich ohne irgend welche Hilfe von Söldnern trefflich gegen den Due de Alba ge¬
wehrt, der vor diesem Ort über 20000 Mann verlor." Und die Verhältnisse haben
sich doch durch die immer verwickeltere Zusammensetzung der Waffen uoch mehr
zu Ungunsten der militärisch nicht durchgebildeten Vvlksaufgebote verschoben.
Übrigens würde sich im Notfall auch ohne bestehende gesetzliche Vorschriften
jede kräftige Regierung den erforderlichen Heeresersatz schaffen. Weder Friedrich
der Große noch Napoleon der Erste, weder die französischen Republiken noch
die nordamerikanischen Parteien haben in dieser Hinsicht die geringsten Bedenken
gezeigt. Sie nahmen die notwendigen Rekruten, wo immer sie sie bekommen
konnten, ohne Rücksicht auf Alter und gesetzliche Bestimmungen.

Die gesetzlichen Bestimmungen haben, soweit sie die Dienstpflicht im Kriege
regeln, eigentlich uur einen Zweck, nämlich den, daß sie scheinbar die allgemeine
Wehrpflicht aufrecht erhalten und mit ihr die Pflicht des wehrpflichtigen
Staatsbürgers, sich der Ausbildung für den Krieg zu unterwerfen. Mit Absicht
sagen wir unter besondrer Beziehung auf das deutsche Wehrgesetz: scheinbar,
wie es sich in Wirklichkeit damit verhält, wird erkannt werden, wenn man die
sich zunächst aufdrängende Frage beantwortet: In welcher Altsdehnung werden
denn nun die Wehrpflichtigen zur militärischen Ausbildung im Frieden heran¬
gezogen?

Bei uns teilt sich jedes Jahr die Masse der Wehrpflichtigen in drei Haupt¬
teile: 187000 Mann treten zur Ausbildung nnter die Fahne, darunter sind
17000 Ersntzrcserven, 160000 kommen als nicht übende Ersatzreservcn und
Landstilrmlente ersten Aufgebots in mehr oder weniger lockere Beziehung zum
Heer, genießen aber keinerlei Ausbildung, der Nest wird vom Dienst überhaupt
wegen körperlicher Gebrechen oder häuslicher Verhältnisse entbunden oder wegen
Unwürdigkeit ausgeschlossen. Dagegen kennt Frankreich in Zukunft nnr zwei
Klaffen: 220000 Mann müssen sich der militärischen Schulung unterwerfen,
der Nest, und zwar nur die wirklich Kriegsunbrauchbaren und die Unwürdigen,
wird nicht zum Heeresdienst herangezogen. Alle diese Zahlen sind selbstver¬
ständlich nur als annähernd richtig anzusehen.

Das Erste, was aus ihnen in die Augen springt, ist, daß Deutschland
jährlich Z5!000 Mann weniger militärisch ausbildet als Frankreich. Der Grund
hierfür kann nicht der sein, daß in Frankreich mehr kriegstüchtige Männer
wären als bei uns. Denn wenn auch Frmikreich, wie die Statistik erstaun-
licherweise zeigt, im Alter von 20 bis 24 Jahren verhältnismäßig mehr triegs-
branchbare Leute hat als Deutschland, so ist doch der Vorsprung der 47 Mil-


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[0071] Die allgemeine Wehrpflicht in den Wehrgesetzen Deutschlands und Frankreichs übnng, und da ist von langer Hand her vorzubereiten, nicht erst wenn die höchste Not drängt, »denn wenn der Schade geschehen und die Kühe aus dem Stall sind, ist es zu spät.« Sonst geht es so, wie es den im letzten Augenblick znsannnengcraffteu Unterthanen in Gotha und Werten geschah, die jämmerlich auf die Fleischbank geführt wurden, während die geübtem Bürger von Aktuar sich ohne irgend welche Hilfe von Söldnern trefflich gegen den Due de Alba ge¬ wehrt, der vor diesem Ort über 20000 Mann verlor." Und die Verhältnisse haben sich doch durch die immer verwickeltere Zusammensetzung der Waffen uoch mehr zu Ungunsten der militärisch nicht durchgebildeten Vvlksaufgebote verschoben. Übrigens würde sich im Notfall auch ohne bestehende gesetzliche Vorschriften jede kräftige Regierung den erforderlichen Heeresersatz schaffen. Weder Friedrich der Große noch Napoleon der Erste, weder die französischen Republiken noch die nordamerikanischen Parteien haben in dieser Hinsicht die geringsten Bedenken gezeigt. Sie nahmen die notwendigen Rekruten, wo immer sie sie bekommen konnten, ohne Rücksicht auf Alter und gesetzliche Bestimmungen. Die gesetzlichen Bestimmungen haben, soweit sie die Dienstpflicht im Kriege regeln, eigentlich uur einen Zweck, nämlich den, daß sie scheinbar die allgemeine Wehrpflicht aufrecht erhalten und mit ihr die Pflicht des wehrpflichtigen Staatsbürgers, sich der Ausbildung für den Krieg zu unterwerfen. Mit Absicht sagen wir unter besondrer Beziehung auf das deutsche Wehrgesetz: scheinbar, wie es sich in Wirklichkeit damit verhält, wird erkannt werden, wenn man die sich zunächst aufdrängende Frage beantwortet: In welcher Altsdehnung werden denn nun die Wehrpflichtigen zur militärischen Ausbildung im Frieden heran¬ gezogen? Bei uns teilt sich jedes Jahr die Masse der Wehrpflichtigen in drei Haupt¬ teile: 187000 Mann treten zur Ausbildung nnter die Fahne, darunter sind 17000 Ersntzrcserven, 160000 kommen als nicht übende Ersatzreservcn und Landstilrmlente ersten Aufgebots in mehr oder weniger lockere Beziehung zum Heer, genießen aber keinerlei Ausbildung, der Nest wird vom Dienst überhaupt wegen körperlicher Gebrechen oder häuslicher Verhältnisse entbunden oder wegen Unwürdigkeit ausgeschlossen. Dagegen kennt Frankreich in Zukunft nnr zwei Klaffen: 220000 Mann müssen sich der militärischen Schulung unterwerfen, der Nest, und zwar nur die wirklich Kriegsunbrauchbaren und die Unwürdigen, wird nicht zum Heeresdienst herangezogen. Alle diese Zahlen sind selbstver¬ ständlich nur als annähernd richtig anzusehen. Das Erste, was aus ihnen in die Augen springt, ist, daß Deutschland jährlich Z5!000 Mann weniger militärisch ausbildet als Frankreich. Der Grund hierfür kann nicht der sein, daß in Frankreich mehr kriegstüchtige Männer wären als bei uns. Denn wenn auch Frmikreich, wie die Statistik erstaun- licherweise zeigt, im Alter von 20 bis 24 Jahren verhältnismäßig mehr triegs- branchbare Leute hat als Deutschland, so ist doch der Vorsprung der 47 Mil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/71>, abgerufen am 23.07.2024.