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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhcind Tprcichdummheiten

Verbot der und der Zeitung ist heute wieder aufgehoben (worden! möchte
man immer dem Schreiber zurufen) -- im vorigen Jahre ist eine neue
internationale kriminalistische Vereinigung gegründet (worden!) -- vorige
Woche ist ein Flügel angekommen und unter großen Feierlichkeiten im Kur¬
saal aufgestellt (worden!) -- dies kann nur der beurteilen, der selbst
einmal durch die Praxis in die Lage versetzt (worden!) ist, die Erfindung
verwerten zu müssen -- in späterer Zeit sind an dieser Tracht die mannich-
fachsten Veränderungen vorgenommen (worden!) -- in gothischer Zeit
ist das Schiff der Kirche äußerlich verlängert und dreiseitig geschlossen
(worden!) -- mit diesem wunderbaren Wort ist Goethe bei seiner Vor¬
stellung in Erfurt von Napoleon empfangen (worden!) -- die Schrift
des Erasmus ist eine der schärfsten Satiren, die jemals geschrieben
(worden!) sind -- dieser Irrtum ist umso verwunderlicher, als schon vor
acht Jahren von Althaus ein treffliches Lebensbild des Verfassers gegeben
(worden!) ist -- viel ist seiner Zeit über die schöne Sklavin gesprochen
(worden!), die Fürst Pückler-Muskau in Afrika gekauft hatte u. s. w. Ein
trauriges Zeichen dafür, mit welcher Gewalt der Unsinn vordringt, ist es, daß
selbst ältere Leute, vou sechzig Jahren und darüber, denen es noch vor zehn
Jahren nicht eingefallen wäre, so zu reden, bereits die Mode mitmachen und
das worden überall weglassen! Es sind das freilich dieselben, die sich auf
ihre alten Tage auch noch das schöne selbstredend und das schöne natur¬
gemäß zugelegt haben, wofür sie früher selbstverständlich und natürlich
gesagt haben. Sie würden auch eine froschgrünc Halsbinde tragen, wenn
froschgrüne Halsbinden Mode würden.

Da plagt sich nun das deutsche Gymnasium herum, den Jungen im und
am Lateinischen und Griechischen den Unterschied zwischen ?"zrt'öowm und
?6rkizotura xi'Ä<Z3"zu8 klar zu machen, und kann nicht verhüten, daß in der
eignen Muttersprache, wo dieser Unterschied klar und deutlich zu Tage liegt
und jahrhundertelang beobachtet worden ist, er auf einmal von plumpen Ge¬
sellen ausgewischt wird! Wie weit soll der Verfall und Zerfall unsrer Mutter¬
sprache noch fortschreiten, bis sich die deutsche Schule endlich auf ihre wirklichen
Aufgaben besinnen wird?

Noch ein paar besondre Fälle möchte ich kurz besprechen. Wenn Rezen¬
senten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts, eines Dramas
angeben, verraten sie nicht selten eine ganz komische Hilflosigkeit in der An¬
wendung der Tempora. Ich habe Inhaltsangaben gelesen, deren Darstellung
zwischen Präsens, Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt uur immer so hin-
und hertaumelte. Und doch ist die Sache so überaus einfach! Wer erzählt,
kann sich nur des Imperfekts bedienen; Ereignisse, die vor der Handlung
liegen, die erzählt wird, also zur sogenannten Vvrfabel gehören, können nur
im Plusquamperfekt mitgeteilt werden. Ganz anders in einer Inhaltsangabe.


Allerhcind Tprcichdummheiten

Verbot der und der Zeitung ist heute wieder aufgehoben (worden! möchte
man immer dem Schreiber zurufen) — im vorigen Jahre ist eine neue
internationale kriminalistische Vereinigung gegründet (worden!) — vorige
Woche ist ein Flügel angekommen und unter großen Feierlichkeiten im Kur¬
saal aufgestellt (worden!) — dies kann nur der beurteilen, der selbst
einmal durch die Praxis in die Lage versetzt (worden!) ist, die Erfindung
verwerten zu müssen — in späterer Zeit sind an dieser Tracht die mannich-
fachsten Veränderungen vorgenommen (worden!) — in gothischer Zeit
ist das Schiff der Kirche äußerlich verlängert und dreiseitig geschlossen
(worden!) — mit diesem wunderbaren Wort ist Goethe bei seiner Vor¬
stellung in Erfurt von Napoleon empfangen (worden!) — die Schrift
des Erasmus ist eine der schärfsten Satiren, die jemals geschrieben
(worden!) sind — dieser Irrtum ist umso verwunderlicher, als schon vor
acht Jahren von Althaus ein treffliches Lebensbild des Verfassers gegeben
(worden!) ist — viel ist seiner Zeit über die schöne Sklavin gesprochen
(worden!), die Fürst Pückler-Muskau in Afrika gekauft hatte u. s. w. Ein
trauriges Zeichen dafür, mit welcher Gewalt der Unsinn vordringt, ist es, daß
selbst ältere Leute, vou sechzig Jahren und darüber, denen es noch vor zehn
Jahren nicht eingefallen wäre, so zu reden, bereits die Mode mitmachen und
das worden überall weglassen! Es sind das freilich dieselben, die sich auf
ihre alten Tage auch noch das schöne selbstredend und das schöne natur¬
gemäß zugelegt haben, wofür sie früher selbstverständlich und natürlich
gesagt haben. Sie würden auch eine froschgrünc Halsbinde tragen, wenn
froschgrüne Halsbinden Mode würden.

Da plagt sich nun das deutsche Gymnasium herum, den Jungen im und
am Lateinischen und Griechischen den Unterschied zwischen ?«zrt'öowm und
?6rkizotura xi'Ä<Z3«zu8 klar zu machen, und kann nicht verhüten, daß in der
eignen Muttersprache, wo dieser Unterschied klar und deutlich zu Tage liegt
und jahrhundertelang beobachtet worden ist, er auf einmal von plumpen Ge¬
sellen ausgewischt wird! Wie weit soll der Verfall und Zerfall unsrer Mutter¬
sprache noch fortschreiten, bis sich die deutsche Schule endlich auf ihre wirklichen
Aufgaben besinnen wird?

Noch ein paar besondre Fälle möchte ich kurz besprechen. Wenn Rezen¬
senten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts, eines Dramas
angeben, verraten sie nicht selten eine ganz komische Hilflosigkeit in der An¬
wendung der Tempora. Ich habe Inhaltsangaben gelesen, deren Darstellung
zwischen Präsens, Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt uur immer so hin-
und hertaumelte. Und doch ist die Sache so überaus einfach! Wer erzählt,
kann sich nur des Imperfekts bedienen; Ereignisse, die vor der Handlung
liegen, die erzählt wird, also zur sogenannten Vvrfabel gehören, können nur
im Plusquamperfekt mitgeteilt werden. Ganz anders in einer Inhaltsangabe.


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[0621] Allerhcind Tprcichdummheiten Verbot der und der Zeitung ist heute wieder aufgehoben (worden! möchte man immer dem Schreiber zurufen) — im vorigen Jahre ist eine neue internationale kriminalistische Vereinigung gegründet (worden!) — vorige Woche ist ein Flügel angekommen und unter großen Feierlichkeiten im Kur¬ saal aufgestellt (worden!) — dies kann nur der beurteilen, der selbst einmal durch die Praxis in die Lage versetzt (worden!) ist, die Erfindung verwerten zu müssen — in späterer Zeit sind an dieser Tracht die mannich- fachsten Veränderungen vorgenommen (worden!) — in gothischer Zeit ist das Schiff der Kirche äußerlich verlängert und dreiseitig geschlossen (worden!) — mit diesem wunderbaren Wort ist Goethe bei seiner Vor¬ stellung in Erfurt von Napoleon empfangen (worden!) — die Schrift des Erasmus ist eine der schärfsten Satiren, die jemals geschrieben (worden!) sind — dieser Irrtum ist umso verwunderlicher, als schon vor acht Jahren von Althaus ein treffliches Lebensbild des Verfassers gegeben (worden!) ist — viel ist seiner Zeit über die schöne Sklavin gesprochen (worden!), die Fürst Pückler-Muskau in Afrika gekauft hatte u. s. w. Ein trauriges Zeichen dafür, mit welcher Gewalt der Unsinn vordringt, ist es, daß selbst ältere Leute, vou sechzig Jahren und darüber, denen es noch vor zehn Jahren nicht eingefallen wäre, so zu reden, bereits die Mode mitmachen und das worden überall weglassen! Es sind das freilich dieselben, die sich auf ihre alten Tage auch noch das schöne selbstredend und das schöne natur¬ gemäß zugelegt haben, wofür sie früher selbstverständlich und natürlich gesagt haben. Sie würden auch eine froschgrünc Halsbinde tragen, wenn froschgrüne Halsbinden Mode würden. Da plagt sich nun das deutsche Gymnasium herum, den Jungen im und am Lateinischen und Griechischen den Unterschied zwischen ?«zrt'öowm und ?6rkizotura xi'Ä<Z3«zu8 klar zu machen, und kann nicht verhüten, daß in der eignen Muttersprache, wo dieser Unterschied klar und deutlich zu Tage liegt und jahrhundertelang beobachtet worden ist, er auf einmal von plumpen Ge¬ sellen ausgewischt wird! Wie weit soll der Verfall und Zerfall unsrer Mutter¬ sprache noch fortschreiten, bis sich die deutsche Schule endlich auf ihre wirklichen Aufgaben besinnen wird? Noch ein paar besondre Fälle möchte ich kurz besprechen. Wenn Rezen¬ senten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts, eines Dramas angeben, verraten sie nicht selten eine ganz komische Hilflosigkeit in der An¬ wendung der Tempora. Ich habe Inhaltsangaben gelesen, deren Darstellung zwischen Präsens, Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt uur immer so hin- und hertaumelte. Und doch ist die Sache so überaus einfach! Wer erzählt, kann sich nur des Imperfekts bedienen; Ereignisse, die vor der Handlung liegen, die erzählt wird, also zur sogenannten Vvrfabel gehören, können nur im Plusquamperfekt mitgeteilt werden. Ganz anders in einer Inhaltsangabe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/621>, abgerufen am 27.07.2024.