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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

Auch diese Verwirrung ist mir unbegreiflich. Aber man beobachte nnr: es gilt
jetzt immer mehr für vornehm, so zu schreiben. Das Perfekt gilt für gemein,
für abgenutzt.

Noch schlimmer als diese beiden aber ist nun eine dritte Verwirrung, die
noch vor dreißig Jahren ganz unerhört gewesen wäre, die auch ganz neuer¬
dings erst aufgetaucht ist, aber in kurzer Zeit schon riesenhafte Fortschritte
gemacht hat und jeden Menschen von feineren Sprachgefühl bereits anfängt
mit Ekel zu erfüllen, die Verwirrung, die sich in dem Weglassen des Partizips
worden im passiven Perfektum äußert. Es handelt sich auch hier in der
That um eine Verwirrung zwei grundverschiedner Tempora, der beiden
nämlich, die man in der Grammatik als 1'erde<ztuin und ^öiksotilm xraö8<ZU8
unterscheidet. Ich will den Fall etwas eingehender besprechen.

In gutem Schriftdeutsch ist bisher auss strengste unterschieden worden
zwischen zwei Sätzen wie folgenden: Auf dem Marktplatze sind junge Linden
angepflanzt worden und: auf dem Markplatze sind junge Linden ange¬
pflanzt. Der erste Satz drückt den Vorgang oder die Handlung des An-
pflcmzens aus -- das ist das eigentliche und wirkliche Perfektum; der zweite
drückt den durch die Handlung des Anpflanzens geschaffenen gegenwärtigen
Zustand aus -- das ist das, was die Grammatik als ?<zrt6et>nur xrkosems
bezeichnet. Wenn einer im Fluß ertrunken ist und nach tagelangem Suchen
endlich im Wasser gefunden worden ist, so sage ich nun richtig: die Leiche
ist gefunden -- das ist die durch das Finden geschaffene gegenwärtige Sach¬
lage; wenn ich aber nach der Zeit des Fundes fragen will, also nach dem
Vorgange selbst, so kann ich nur fragen: Wann ist sie denn gefunden
worden? (nicht: wann ist sie denn gefunden?), und geantwortet werden
kann mir nur: vor einer Stunde ist sie gesunden worden oder: sie ist
schon gestern Abend gefunden worden oder aber: sie war schon gestern
Abend gefunden; das letzte würde ausdrücken: die gegenwärtige Sachlage be¬
stand bereits gestern Abend.

Handelte es sich um einen besonders feinen, schwer nachzufühlenden und
deshalb leicht zu verwischenden Unterschied, so wäre es ja nicht zu verwundern,
wenn er mit der Zeit verschwände. Aber dieser Unterschied ist so grob und
so sinnfällig, daß ihn der Einfältigste begreifen kann, und doch dringt der
Unsinn, eine Handlung, einen Vorgang, ein Ereignis als Zustand, als Sachlage
hinzustellen, in immer weitere Kreise; täglich kann man schon massenhaft Sätze
lesen, wie: die Stimmen machen den Eindruck, als sei zu ihrer Herstellung
die halbe Rheinsberger Kapelle herangezogen. Doppelt dumm und doppelt
greulich wird der Unsinn, wenn durch eine hinzugefügte Zeitangabe (!) noch
besonders deutlich gemacht wird, daß der Vorgang, nicht die durch den Vor¬
gang entstandne Sachlage ausgedrückt werden soll. Aber gerade diesem Unsinn
begegnet man täglich in Zeitungen und neuen Büchern. Da heißt es: das


Allerhand Sprachdummheiten

Auch diese Verwirrung ist mir unbegreiflich. Aber man beobachte nnr: es gilt
jetzt immer mehr für vornehm, so zu schreiben. Das Perfekt gilt für gemein,
für abgenutzt.

Noch schlimmer als diese beiden aber ist nun eine dritte Verwirrung, die
noch vor dreißig Jahren ganz unerhört gewesen wäre, die auch ganz neuer¬
dings erst aufgetaucht ist, aber in kurzer Zeit schon riesenhafte Fortschritte
gemacht hat und jeden Menschen von feineren Sprachgefühl bereits anfängt
mit Ekel zu erfüllen, die Verwirrung, die sich in dem Weglassen des Partizips
worden im passiven Perfektum äußert. Es handelt sich auch hier in der
That um eine Verwirrung zwei grundverschiedner Tempora, der beiden
nämlich, die man in der Grammatik als 1'erde<ztuin und ^öiksotilm xraö8<ZU8
unterscheidet. Ich will den Fall etwas eingehender besprechen.

In gutem Schriftdeutsch ist bisher auss strengste unterschieden worden
zwischen zwei Sätzen wie folgenden: Auf dem Marktplatze sind junge Linden
angepflanzt worden und: auf dem Markplatze sind junge Linden ange¬
pflanzt. Der erste Satz drückt den Vorgang oder die Handlung des An-
pflcmzens aus — das ist das eigentliche und wirkliche Perfektum; der zweite
drückt den durch die Handlung des Anpflanzens geschaffenen gegenwärtigen
Zustand aus — das ist das, was die Grammatik als ?<zrt6et>nur xrkosems
bezeichnet. Wenn einer im Fluß ertrunken ist und nach tagelangem Suchen
endlich im Wasser gefunden worden ist, so sage ich nun richtig: die Leiche
ist gefunden — das ist die durch das Finden geschaffene gegenwärtige Sach¬
lage; wenn ich aber nach der Zeit des Fundes fragen will, also nach dem
Vorgange selbst, so kann ich nur fragen: Wann ist sie denn gefunden
worden? (nicht: wann ist sie denn gefunden?), und geantwortet werden
kann mir nur: vor einer Stunde ist sie gesunden worden oder: sie ist
schon gestern Abend gefunden worden oder aber: sie war schon gestern
Abend gefunden; das letzte würde ausdrücken: die gegenwärtige Sachlage be¬
stand bereits gestern Abend.

Handelte es sich um einen besonders feinen, schwer nachzufühlenden und
deshalb leicht zu verwischenden Unterschied, so wäre es ja nicht zu verwundern,
wenn er mit der Zeit verschwände. Aber dieser Unterschied ist so grob und
so sinnfällig, daß ihn der Einfältigste begreifen kann, und doch dringt der
Unsinn, eine Handlung, einen Vorgang, ein Ereignis als Zustand, als Sachlage
hinzustellen, in immer weitere Kreise; täglich kann man schon massenhaft Sätze
lesen, wie: die Stimmen machen den Eindruck, als sei zu ihrer Herstellung
die halbe Rheinsberger Kapelle herangezogen. Doppelt dumm und doppelt
greulich wird der Unsinn, wenn durch eine hinzugefügte Zeitangabe (!) noch
besonders deutlich gemacht wird, daß der Vorgang, nicht die durch den Vor¬
gang entstandne Sachlage ausgedrückt werden soll. Aber gerade diesem Unsinn
begegnet man täglich in Zeitungen und neuen Büchern. Da heißt es: das


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[0620] Allerhand Sprachdummheiten Auch diese Verwirrung ist mir unbegreiflich. Aber man beobachte nnr: es gilt jetzt immer mehr für vornehm, so zu schreiben. Das Perfekt gilt für gemein, für abgenutzt. Noch schlimmer als diese beiden aber ist nun eine dritte Verwirrung, die noch vor dreißig Jahren ganz unerhört gewesen wäre, die auch ganz neuer¬ dings erst aufgetaucht ist, aber in kurzer Zeit schon riesenhafte Fortschritte gemacht hat und jeden Menschen von feineren Sprachgefühl bereits anfängt mit Ekel zu erfüllen, die Verwirrung, die sich in dem Weglassen des Partizips worden im passiven Perfektum äußert. Es handelt sich auch hier in der That um eine Verwirrung zwei grundverschiedner Tempora, der beiden nämlich, die man in der Grammatik als 1'erde<ztuin und ^öiksotilm xraö8<ZU8 unterscheidet. Ich will den Fall etwas eingehender besprechen. In gutem Schriftdeutsch ist bisher auss strengste unterschieden worden zwischen zwei Sätzen wie folgenden: Auf dem Marktplatze sind junge Linden angepflanzt worden und: auf dem Markplatze sind junge Linden ange¬ pflanzt. Der erste Satz drückt den Vorgang oder die Handlung des An- pflcmzens aus — das ist das eigentliche und wirkliche Perfektum; der zweite drückt den durch die Handlung des Anpflanzens geschaffenen gegenwärtigen Zustand aus — das ist das, was die Grammatik als ?<zrt6et>nur xrkosems bezeichnet. Wenn einer im Fluß ertrunken ist und nach tagelangem Suchen endlich im Wasser gefunden worden ist, so sage ich nun richtig: die Leiche ist gefunden — das ist die durch das Finden geschaffene gegenwärtige Sach¬ lage; wenn ich aber nach der Zeit des Fundes fragen will, also nach dem Vorgange selbst, so kann ich nur fragen: Wann ist sie denn gefunden worden? (nicht: wann ist sie denn gefunden?), und geantwortet werden kann mir nur: vor einer Stunde ist sie gesunden worden oder: sie ist schon gestern Abend gefunden worden oder aber: sie war schon gestern Abend gefunden; das letzte würde ausdrücken: die gegenwärtige Sachlage be¬ stand bereits gestern Abend. Handelte es sich um einen besonders feinen, schwer nachzufühlenden und deshalb leicht zu verwischenden Unterschied, so wäre es ja nicht zu verwundern, wenn er mit der Zeit verschwände. Aber dieser Unterschied ist so grob und so sinnfällig, daß ihn der Einfältigste begreifen kann, und doch dringt der Unsinn, eine Handlung, einen Vorgang, ein Ereignis als Zustand, als Sachlage hinzustellen, in immer weitere Kreise; täglich kann man schon massenhaft Sätze lesen, wie: die Stimmen machen den Eindruck, als sei zu ihrer Herstellung die halbe Rheinsberger Kapelle herangezogen. Doppelt dumm und doppelt greulich wird der Unsinn, wenn durch eine hinzugefügte Zeitangabe (!) noch besonders deutlich gemacht wird, daß der Vorgang, nicht die durch den Vor¬ gang entstandne Sachlage ausgedrückt werden soll. Aber gerade diesem Unsinn begegnet man täglich in Zeitungen und neuen Büchern. Da heißt es: das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/620>, abgerufen am 05.07.2024.