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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdmmnheiten

Es ist ebenso richtig, zu schreiben: gestern starb hier nach längerer Krankheit
Professor .U, wie: gestern ist hier nach längerer Krankheit Professor T ge¬
storben. Im ersten Falle erzähle ich, im zweiten Falle mache ich die Mitteilung
einer Neuigkeit, die zwar, wie ich andeute, schou einige Stunden her, aber doch
immer noch Neuigkeit ist. Fehlt aber jede Zeitangabe, soll die Thatsache mitgeteilt
werden als Neuigkeit schlechthin, so ist der Gebrauch des Imperfekts ein grober
Mißbrauch. Wie man dafür das Gefühl verlieren kann, ist mir unbegreiflich.

Aber es ist das ja ein Fall, der, wie gesagt, bisher auf gewisse Zeitungs¬
nachrichten beschränkt geblieben ist, also noch kein großes Unheil angerichtet
hat. Nun aber ein andrer. Für den Satz, den ich da eben hingeschrieben
habe, würden heute Hunderte von "ersten" Schriftstellern schreiben: Es ist das
ein Fall, der, wie gesagt, bisher auf gewisse Zeitungsnachrichten beschränkt
blieb, also noch kein großes Unheil anrichtete. Das ist eine zweite Ver¬
wirrung von Imperfectum und Perfektum, die auch neuerdings eingerissen ist
und leider schon weit über die Zeitungssprache hinaus Fortschritte gemacht hat.
Das Perfektum hat außer der vorhin genannten Aufgabe, etwas als soeben ge¬
schehen mitzuteilen, noch eine zweite: die durch einen Vorgang oder eine Hand¬
lung geschaffene augenblickliche Sachlage auszudrücken. Auch hier aber wird
es neuerdings immer mehr durch das Imperfekt verdrängt. Da schreibt z. B.
eine Verlngsbnchhandlnng in der Ankündigung eines Werkes, dessen Ausgabe
bevorsteht: Wir scheuten kein Opfer, die Illustrationen so prächtig als möglich
auszuführen. Den Preis stellten wir so niedrig, daß unser Unternehmen sich
in den weitesten Kreisen Eingang verschaffen kann. Wann denn? frage ich
wieder unwillkürlich. Erzählst du mir etwas ans der Geschichte deines Ge¬
schäftes? über ein Vcrlagsuuternehmen, das du vor dreißig, vierzig Jahren
einmal in die Welt geschickt hast und vou dem vielleicht kein Exemplar mehr
aufzutreiben ist? Oder handelt sichs um ein Buch, das eben fertig geworden
ist, das nagelneu und in Haufen auf deinem Lager liegt und auf die Ausgabe
wartet? Wem? dn das letzte meinst, wenn du diese augenblicklich bestehende
Sachlage ausdrücken willst, kann es doch nur heißen: Wir haben keine Opfer
gescheut, die Illustrationen so prächtig als möglich auszuführen; den Preis
haben wir so niedrig gestellt, daß unser Unternehmen sich in den weitesten
Kreisen Eingang verschaffen kann. Das Buch liegt jn vor, hier ist es, nun
kauft! Wenn jemand schreibt: Kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Er¬
gebnisse hervorgingen -- so klingt das doch genau so, als wäre der Satz
aus irgend einer geschichtlichen Darstellung herausgeuoimnen, und als wäre
von Wahlen die Rede, die etwa vor dreißig oder vor dreihundert Jahren statt¬
gefunden haben. Es sollen aber die letzten Reichstagswahleu damit gemeint
sein! Ja dann muß es natürlich heißen: Kein Wunder, daß aus den Wahlen
solche Ergebnisse hervorgegangen sind -- denn diese Ergebnisse liegen doch
jetzt vor, sie bilden den durch die Wahlen geschaffenen augenblicklichen Zustand.


Allerhand Sprachdmmnheiten

Es ist ebenso richtig, zu schreiben: gestern starb hier nach längerer Krankheit
Professor .U, wie: gestern ist hier nach längerer Krankheit Professor T ge¬
storben. Im ersten Falle erzähle ich, im zweiten Falle mache ich die Mitteilung
einer Neuigkeit, die zwar, wie ich andeute, schou einige Stunden her, aber doch
immer noch Neuigkeit ist. Fehlt aber jede Zeitangabe, soll die Thatsache mitgeteilt
werden als Neuigkeit schlechthin, so ist der Gebrauch des Imperfekts ein grober
Mißbrauch. Wie man dafür das Gefühl verlieren kann, ist mir unbegreiflich.

Aber es ist das ja ein Fall, der, wie gesagt, bisher auf gewisse Zeitungs¬
nachrichten beschränkt geblieben ist, also noch kein großes Unheil angerichtet
hat. Nun aber ein andrer. Für den Satz, den ich da eben hingeschrieben
habe, würden heute Hunderte von „ersten" Schriftstellern schreiben: Es ist das
ein Fall, der, wie gesagt, bisher auf gewisse Zeitungsnachrichten beschränkt
blieb, also noch kein großes Unheil anrichtete. Das ist eine zweite Ver¬
wirrung von Imperfectum und Perfektum, die auch neuerdings eingerissen ist
und leider schon weit über die Zeitungssprache hinaus Fortschritte gemacht hat.
Das Perfektum hat außer der vorhin genannten Aufgabe, etwas als soeben ge¬
schehen mitzuteilen, noch eine zweite: die durch einen Vorgang oder eine Hand¬
lung geschaffene augenblickliche Sachlage auszudrücken. Auch hier aber wird
es neuerdings immer mehr durch das Imperfekt verdrängt. Da schreibt z. B.
eine Verlngsbnchhandlnng in der Ankündigung eines Werkes, dessen Ausgabe
bevorsteht: Wir scheuten kein Opfer, die Illustrationen so prächtig als möglich
auszuführen. Den Preis stellten wir so niedrig, daß unser Unternehmen sich
in den weitesten Kreisen Eingang verschaffen kann. Wann denn? frage ich
wieder unwillkürlich. Erzählst du mir etwas ans der Geschichte deines Ge¬
schäftes? über ein Vcrlagsuuternehmen, das du vor dreißig, vierzig Jahren
einmal in die Welt geschickt hast und vou dem vielleicht kein Exemplar mehr
aufzutreiben ist? Oder handelt sichs um ein Buch, das eben fertig geworden
ist, das nagelneu und in Haufen auf deinem Lager liegt und auf die Ausgabe
wartet? Wem? dn das letzte meinst, wenn du diese augenblicklich bestehende
Sachlage ausdrücken willst, kann es doch nur heißen: Wir haben keine Opfer
gescheut, die Illustrationen so prächtig als möglich auszuführen; den Preis
haben wir so niedrig gestellt, daß unser Unternehmen sich in den weitesten
Kreisen Eingang verschaffen kann. Das Buch liegt jn vor, hier ist es, nun
kauft! Wenn jemand schreibt: Kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Er¬
gebnisse hervorgingen — so klingt das doch genau so, als wäre der Satz
aus irgend einer geschichtlichen Darstellung herausgeuoimnen, und als wäre
von Wahlen die Rede, die etwa vor dreißig oder vor dreihundert Jahren statt¬
gefunden haben. Es sollen aber die letzten Reichstagswahleu damit gemeint
sein! Ja dann muß es natürlich heißen: Kein Wunder, daß aus den Wahlen
solche Ergebnisse hervorgegangen sind — denn diese Ergebnisse liegen doch
jetzt vor, sie bilden den durch die Wahlen geschaffenen augenblicklichen Zustand.


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[0619] Allerhand Sprachdmmnheiten Es ist ebenso richtig, zu schreiben: gestern starb hier nach längerer Krankheit Professor .U, wie: gestern ist hier nach längerer Krankheit Professor T ge¬ storben. Im ersten Falle erzähle ich, im zweiten Falle mache ich die Mitteilung einer Neuigkeit, die zwar, wie ich andeute, schou einige Stunden her, aber doch immer noch Neuigkeit ist. Fehlt aber jede Zeitangabe, soll die Thatsache mitgeteilt werden als Neuigkeit schlechthin, so ist der Gebrauch des Imperfekts ein grober Mißbrauch. Wie man dafür das Gefühl verlieren kann, ist mir unbegreiflich. Aber es ist das ja ein Fall, der, wie gesagt, bisher auf gewisse Zeitungs¬ nachrichten beschränkt geblieben ist, also noch kein großes Unheil angerichtet hat. Nun aber ein andrer. Für den Satz, den ich da eben hingeschrieben habe, würden heute Hunderte von „ersten" Schriftstellern schreiben: Es ist das ein Fall, der, wie gesagt, bisher auf gewisse Zeitungsnachrichten beschränkt blieb, also noch kein großes Unheil anrichtete. Das ist eine zweite Ver¬ wirrung von Imperfectum und Perfektum, die auch neuerdings eingerissen ist und leider schon weit über die Zeitungssprache hinaus Fortschritte gemacht hat. Das Perfektum hat außer der vorhin genannten Aufgabe, etwas als soeben ge¬ schehen mitzuteilen, noch eine zweite: die durch einen Vorgang oder eine Hand¬ lung geschaffene augenblickliche Sachlage auszudrücken. Auch hier aber wird es neuerdings immer mehr durch das Imperfekt verdrängt. Da schreibt z. B. eine Verlngsbnchhandlnng in der Ankündigung eines Werkes, dessen Ausgabe bevorsteht: Wir scheuten kein Opfer, die Illustrationen so prächtig als möglich auszuführen. Den Preis stellten wir so niedrig, daß unser Unternehmen sich in den weitesten Kreisen Eingang verschaffen kann. Wann denn? frage ich wieder unwillkürlich. Erzählst du mir etwas ans der Geschichte deines Ge¬ schäftes? über ein Vcrlagsuuternehmen, das du vor dreißig, vierzig Jahren einmal in die Welt geschickt hast und vou dem vielleicht kein Exemplar mehr aufzutreiben ist? Oder handelt sichs um ein Buch, das eben fertig geworden ist, das nagelneu und in Haufen auf deinem Lager liegt und auf die Ausgabe wartet? Wem? dn das letzte meinst, wenn du diese augenblicklich bestehende Sachlage ausdrücken willst, kann es doch nur heißen: Wir haben keine Opfer gescheut, die Illustrationen so prächtig als möglich auszuführen; den Preis haben wir so niedrig gestellt, daß unser Unternehmen sich in den weitesten Kreisen Eingang verschaffen kann. Das Buch liegt jn vor, hier ist es, nun kauft! Wenn jemand schreibt: Kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Er¬ gebnisse hervorgingen — so klingt das doch genau so, als wäre der Satz aus irgend einer geschichtlichen Darstellung herausgeuoimnen, und als wäre von Wahlen die Rede, die etwa vor dreißig oder vor dreihundert Jahren statt¬ gefunden haben. Es sollen aber die letzten Reichstagswahleu damit gemeint sein! Ja dann muß es natürlich heißen: Kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse hervorgegangen sind — denn diese Ergebnisse liegen doch jetzt vor, sie bilden den durch die Wahlen geschaffenen augenblicklichen Zustand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/619>, abgerufen am 03.07.2024.