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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Wie ich Herrn Mathem ke>men lernte

Warum nicht? und sie schmecken sogar sehr gut! Und das versicherte er
mit einer solchen Wärme der Überzeugung, daß ich jeden weitern Appell an
sein Gefühl aufgab und ihm nun erzählte, daß ich eine Schreiberarbeit für ihn
hätte, die aber nicht eilig sei, und die er nach seiner Bequemlichkeit fertig
machen könne.

Ich bin Ihnen fehr verbunden, sagte er, aber darauf kann ich mich doch
nicht einlassen. Weshalb sollte ich es auch thun? Was zum Auskommen
nötig ist, habe ich ja durch meine Vormittagsarbeit bei dem Großhändler,
weshalb soll ich mich denn noch durch Nachmittagsarbeit abnutzen? Nein,
ich danke Ihnen herzlich, daß Sie an mich gedacht haben, aber daraus
wird nichts.

Ich redete ihm freundlich zu, ich schalt ihn, aber das eine wie das andre
Prallte wirkungslos an ihm ab. Er war wie der Lazzaroni, der sich gerade
so viel verdient hat, als er für den Tag zum Leben braucht; biete ihm einen
sendo, um deinen Koffer über die Straße zu tragen, er rührt sich nicht.

An einem Herbsttage begegnete ich meinem Großhändler, der mich anhielt,
um mich zu fragen, ob ich nicht wüßte, was ans Mathem geworden sei.

Ist er denn nicht mehr bei Ihnen? rief ich voller Verwunderung.

Nein, er kündigte Mitte September, Gott weiß weshalb, und als ich
mich tags darauf bei seiner Wirtin erkundigte, erfuhr ich, daß er abgereist sei,
wohin, wisse sie nicht.

Schon betrachtete ich Mathem als aus meinem Gesichtskreis entschwunden,
da begegnete ich ihm eines Nachmittags an einem Orte, wo ich es am wenigsten
erwartet hatte. Ich streifte wieder einmal mit meiner Flinte die Küste von
Anack entlang und hatte mir einen Sitz im Schilfe zurecht gemacht. Ein Zug
Enten, der lange Zeit ein paar hundert Ellen vom Lande im Wasser manövrirt
hatte, kam in der Dämmerstunde näher, und ich überlegte schon, ob ich nicht
der nächsten einen Gruß starken Schrotes senden sollte, ehe es zum Schießen
zu dunkel würde, da sehe ich plötzlich dicht neben mir einen Blitz und höre
einen Schuß. Meine Enten hoben sich aber, ich hörte etwas schwer ins Waffer
fallen und eine wohlbekannte Stimme: Apporte, Flora! rufen.

Ich watete in der Richtung der Stimme und rief ohne weitere Einleitung:
Guten Abend, Mathem!

Mit Erlaubnis, wer spricht da? antwortete er, nicht ganz ohne Scheu.

Ich bin es, seien Sie nur ganz ruhig, aber wie können Sie es wagen,
ohne Karte hier zu schießen? Sie werden es so lauge treiben, bis man Sie
Ansteckt.

Ach, das ist nicht so schlimm, wie es aussieht, seien Sie überzeugt, mir
thut niemand etwas.

Auf dem Nachhausewege fragte ich ihn, wo er seit dem September gewesen
sei und weshalb er seinen Platz aufgegeben habe. Er antwortete ausweichend.


Wie ich Herrn Mathem ke>men lernte

Warum nicht? und sie schmecken sogar sehr gut! Und das versicherte er
mit einer solchen Wärme der Überzeugung, daß ich jeden weitern Appell an
sein Gefühl aufgab und ihm nun erzählte, daß ich eine Schreiberarbeit für ihn
hätte, die aber nicht eilig sei, und die er nach seiner Bequemlichkeit fertig
machen könne.

Ich bin Ihnen fehr verbunden, sagte er, aber darauf kann ich mich doch
nicht einlassen. Weshalb sollte ich es auch thun? Was zum Auskommen
nötig ist, habe ich ja durch meine Vormittagsarbeit bei dem Großhändler,
weshalb soll ich mich denn noch durch Nachmittagsarbeit abnutzen? Nein,
ich danke Ihnen herzlich, daß Sie an mich gedacht haben, aber daraus
wird nichts.

Ich redete ihm freundlich zu, ich schalt ihn, aber das eine wie das andre
Prallte wirkungslos an ihm ab. Er war wie der Lazzaroni, der sich gerade
so viel verdient hat, als er für den Tag zum Leben braucht; biete ihm einen
sendo, um deinen Koffer über die Straße zu tragen, er rührt sich nicht.

An einem Herbsttage begegnete ich meinem Großhändler, der mich anhielt,
um mich zu fragen, ob ich nicht wüßte, was ans Mathem geworden sei.

Ist er denn nicht mehr bei Ihnen? rief ich voller Verwunderung.

Nein, er kündigte Mitte September, Gott weiß weshalb, und als ich
mich tags darauf bei seiner Wirtin erkundigte, erfuhr ich, daß er abgereist sei,
wohin, wisse sie nicht.

Schon betrachtete ich Mathem als aus meinem Gesichtskreis entschwunden,
da begegnete ich ihm eines Nachmittags an einem Orte, wo ich es am wenigsten
erwartet hatte. Ich streifte wieder einmal mit meiner Flinte die Küste von
Anack entlang und hatte mir einen Sitz im Schilfe zurecht gemacht. Ein Zug
Enten, der lange Zeit ein paar hundert Ellen vom Lande im Wasser manövrirt
hatte, kam in der Dämmerstunde näher, und ich überlegte schon, ob ich nicht
der nächsten einen Gruß starken Schrotes senden sollte, ehe es zum Schießen
zu dunkel würde, da sehe ich plötzlich dicht neben mir einen Blitz und höre
einen Schuß. Meine Enten hoben sich aber, ich hörte etwas schwer ins Waffer
fallen und eine wohlbekannte Stimme: Apporte, Flora! rufen.

Ich watete in der Richtung der Stimme und rief ohne weitere Einleitung:
Guten Abend, Mathem!

Mit Erlaubnis, wer spricht da? antwortete er, nicht ganz ohne Scheu.

Ich bin es, seien Sie nur ganz ruhig, aber wie können Sie es wagen,
ohne Karte hier zu schießen? Sie werden es so lauge treiben, bis man Sie
Ansteckt.

Ach, das ist nicht so schlimm, wie es aussieht, seien Sie überzeugt, mir
thut niemand etwas.

Auf dem Nachhausewege fragte ich ihn, wo er seit dem September gewesen
sei und weshalb er seinen Platz aufgegeben habe. Er antwortete ausweichend.


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[0579] Wie ich Herrn Mathem ke>men lernte Warum nicht? und sie schmecken sogar sehr gut! Und das versicherte er mit einer solchen Wärme der Überzeugung, daß ich jeden weitern Appell an sein Gefühl aufgab und ihm nun erzählte, daß ich eine Schreiberarbeit für ihn hätte, die aber nicht eilig sei, und die er nach seiner Bequemlichkeit fertig machen könne. Ich bin Ihnen fehr verbunden, sagte er, aber darauf kann ich mich doch nicht einlassen. Weshalb sollte ich es auch thun? Was zum Auskommen nötig ist, habe ich ja durch meine Vormittagsarbeit bei dem Großhändler, weshalb soll ich mich denn noch durch Nachmittagsarbeit abnutzen? Nein, ich danke Ihnen herzlich, daß Sie an mich gedacht haben, aber daraus wird nichts. Ich redete ihm freundlich zu, ich schalt ihn, aber das eine wie das andre Prallte wirkungslos an ihm ab. Er war wie der Lazzaroni, der sich gerade so viel verdient hat, als er für den Tag zum Leben braucht; biete ihm einen sendo, um deinen Koffer über die Straße zu tragen, er rührt sich nicht. An einem Herbsttage begegnete ich meinem Großhändler, der mich anhielt, um mich zu fragen, ob ich nicht wüßte, was ans Mathem geworden sei. Ist er denn nicht mehr bei Ihnen? rief ich voller Verwunderung. Nein, er kündigte Mitte September, Gott weiß weshalb, und als ich mich tags darauf bei seiner Wirtin erkundigte, erfuhr ich, daß er abgereist sei, wohin, wisse sie nicht. Schon betrachtete ich Mathem als aus meinem Gesichtskreis entschwunden, da begegnete ich ihm eines Nachmittags an einem Orte, wo ich es am wenigsten erwartet hatte. Ich streifte wieder einmal mit meiner Flinte die Küste von Anack entlang und hatte mir einen Sitz im Schilfe zurecht gemacht. Ein Zug Enten, der lange Zeit ein paar hundert Ellen vom Lande im Wasser manövrirt hatte, kam in der Dämmerstunde näher, und ich überlegte schon, ob ich nicht der nächsten einen Gruß starken Schrotes senden sollte, ehe es zum Schießen zu dunkel würde, da sehe ich plötzlich dicht neben mir einen Blitz und höre einen Schuß. Meine Enten hoben sich aber, ich hörte etwas schwer ins Waffer fallen und eine wohlbekannte Stimme: Apporte, Flora! rufen. Ich watete in der Richtung der Stimme und rief ohne weitere Einleitung: Guten Abend, Mathem! Mit Erlaubnis, wer spricht da? antwortete er, nicht ganz ohne Scheu. Ich bin es, seien Sie nur ganz ruhig, aber wie können Sie es wagen, ohne Karte hier zu schießen? Sie werden es so lauge treiben, bis man Sie Ansteckt. Ach, das ist nicht so schlimm, wie es aussieht, seien Sie überzeugt, mir thut niemand etwas. Auf dem Nachhausewege fragte ich ihn, wo er seit dem September gewesen sei und weshalb er seinen Platz aufgegeben habe. Er antwortete ausweichend.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/579>, abgerufen am 23.07.2024.