Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
wie ich Herr" Mathem kennen lernte

Als ich aber auf ordentliche Auskunft drang, rückte er heraus damit: Sehen
Sie, mit Flora geht es bergab, sie läuft bald zwölf Jahre mit, das gute alte
Fell, aber nun fängt es an, zu anstrengend für sie zu werden.

Anstrengend? Inwiefern?

Hinter dem Pferdebahnwagen zu laufen, denn mit hinein darf ich sie ja
nicht nehmen.

Aber Sie müssen doch nicht immer führen, Sie können doch auch gehen!

Nein, das würde mir zu schwer, ich bin mein Leben lang kein Freund
vom Gehen gewesen.

Das ist doch aber zu arg, eine gute Stelle aus diesem Grunde aufzugeben.

Ich hatte auch noch einen andern. Sehen Sie, ich habe einen guten
Freund oben in Jütland bei Lögstör. Er schrieb mir, daß er sieben Volk
Hühner auf seinem Felde habe, und da schien es mir doch bei Gott zu trivial,
die Pflastersteine Kopenhagens abschleifen zu helfen.

Und da reisten Sie nach Jütland und schössen die Hühner?

Ja, wenigstens einen guten Teil davon.

Und was nun?

Nun? Ja, ich bin in mein altes Logis gezogen und muß sehen, wieder
irgendwo anzukommen.

Das Letztere sprach er mit einem leichten Seufzer, wie ein Mann, der
sich mit Ergebung in ein hartes, aber unabwendbares Schicksal fügt.

Nach einer kleinen Pause sagte er plötzlich: Erinnern Sie sich vielleicht,
daß ich Ihnen von einem Fräulein Imsen erzählt habe, der Tochter des
Fleischers, die mir gegenüber wohnte, mit vier großen Zimmern und drei¬
tausend Kronen Zinsen!

Was ist mit der?

Die hat sich wahrhaftig verheiratet.

So? hat sich nicht lassen können?

Aber das ist doch eigentlich ganz natürlich, daß ein Mädchen, das so
warm sitzt und eine ganze Familie erhalten kann, sich verheiratet! Es wäre
geradezu eine Schande gewesen, wenn sich nicht gethan hätte! Ja, man hätte
sich doch beizeiten ein bißchen bemühen sollen, murmelte er, wer weiß
na, Sie denken vielleicht an mich, wenn Sie etwas hören sollten!

Das versprach ich; und noch mehr, ich hatte wirklich schon einige vor¬
bereitende Schritte gethan, als ich eines schönen Tages aufs angenehmste
durch ein Briefchen von meinem Freunde Mathem überrascht wurde, worin er
mir mitteilte, daß er tags zuvor in den heiligen Ehestand getreten sei, indem
er sich mit der verwitweten Frau Lund -- der Hebamme im Parterre -- habe
trauen lassen.

Mir gewährt es stets Befriedigung, wenn ich sehe, daß ein Mein< seinen
rechten Platz findet und die Stellung im Leben erreicht, für die er von der


wie ich Herr» Mathem kennen lernte

Als ich aber auf ordentliche Auskunft drang, rückte er heraus damit: Sehen
Sie, mit Flora geht es bergab, sie läuft bald zwölf Jahre mit, das gute alte
Fell, aber nun fängt es an, zu anstrengend für sie zu werden.

Anstrengend? Inwiefern?

Hinter dem Pferdebahnwagen zu laufen, denn mit hinein darf ich sie ja
nicht nehmen.

Aber Sie müssen doch nicht immer führen, Sie können doch auch gehen!

Nein, das würde mir zu schwer, ich bin mein Leben lang kein Freund
vom Gehen gewesen.

Das ist doch aber zu arg, eine gute Stelle aus diesem Grunde aufzugeben.

Ich hatte auch noch einen andern. Sehen Sie, ich habe einen guten
Freund oben in Jütland bei Lögstör. Er schrieb mir, daß er sieben Volk
Hühner auf seinem Felde habe, und da schien es mir doch bei Gott zu trivial,
die Pflastersteine Kopenhagens abschleifen zu helfen.

Und da reisten Sie nach Jütland und schössen die Hühner?

Ja, wenigstens einen guten Teil davon.

Und was nun?

Nun? Ja, ich bin in mein altes Logis gezogen und muß sehen, wieder
irgendwo anzukommen.

Das Letztere sprach er mit einem leichten Seufzer, wie ein Mann, der
sich mit Ergebung in ein hartes, aber unabwendbares Schicksal fügt.

Nach einer kleinen Pause sagte er plötzlich: Erinnern Sie sich vielleicht,
daß ich Ihnen von einem Fräulein Imsen erzählt habe, der Tochter des
Fleischers, die mir gegenüber wohnte, mit vier großen Zimmern und drei¬
tausend Kronen Zinsen!

Was ist mit der?

Die hat sich wahrhaftig verheiratet.

So? hat sich nicht lassen können?

Aber das ist doch eigentlich ganz natürlich, daß ein Mädchen, das so
warm sitzt und eine ganze Familie erhalten kann, sich verheiratet! Es wäre
geradezu eine Schande gewesen, wenn sich nicht gethan hätte! Ja, man hätte
sich doch beizeiten ein bißchen bemühen sollen, murmelte er, wer weiß
na, Sie denken vielleicht an mich, wenn Sie etwas hören sollten!

Das versprach ich; und noch mehr, ich hatte wirklich schon einige vor¬
bereitende Schritte gethan, als ich eines schönen Tages aufs angenehmste
durch ein Briefchen von meinem Freunde Mathem überrascht wurde, worin er
mir mitteilte, daß er tags zuvor in den heiligen Ehestand getreten sei, indem
er sich mit der verwitweten Frau Lund — der Hebamme im Parterre — habe
trauen lassen.

Mir gewährt es stets Befriedigung, wenn ich sehe, daß ein Mein< seinen
rechten Platz findet und die Stellung im Leben erreicht, für die er von der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0580" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207225"/>
          <fw type="header" place="top"> wie ich Herr» Mathem kennen lernte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1703" prev="#ID_1702"> Als ich aber auf ordentliche Auskunft drang, rückte er heraus damit: Sehen<lb/>
Sie, mit Flora geht es bergab, sie läuft bald zwölf Jahre mit, das gute alte<lb/>
Fell, aber nun fängt es an, zu anstrengend für sie zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1704"> Anstrengend? Inwiefern?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1705"> Hinter dem Pferdebahnwagen zu laufen, denn mit hinein darf ich sie ja<lb/>
nicht nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1706"> Aber Sie müssen doch nicht immer führen, Sie können doch auch gehen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1707"> Nein, das würde mir zu schwer, ich bin mein Leben lang kein Freund<lb/>
vom Gehen gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1708"> Das ist doch aber zu arg, eine gute Stelle aus diesem Grunde aufzugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1709"> Ich hatte auch noch einen andern. Sehen Sie, ich habe einen guten<lb/>
Freund oben in Jütland bei Lögstör. Er schrieb mir, daß er sieben Volk<lb/>
Hühner auf seinem Felde habe, und da schien es mir doch bei Gott zu trivial,<lb/>
die Pflastersteine Kopenhagens abschleifen zu helfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1710"> Und da reisten Sie nach Jütland und schössen die Hühner?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1711"> Ja, wenigstens einen guten Teil davon.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1712"> Und was nun?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1713"> Nun? Ja, ich bin in mein altes Logis gezogen und muß sehen, wieder<lb/>
irgendwo anzukommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1714"> Das Letztere sprach er mit einem leichten Seufzer, wie ein Mann, der<lb/>
sich mit Ergebung in ein hartes, aber unabwendbares Schicksal fügt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1715"> Nach einer kleinen Pause sagte er plötzlich: Erinnern Sie sich vielleicht,<lb/>
daß ich Ihnen von einem Fräulein Imsen erzählt habe, der Tochter des<lb/>
Fleischers, die mir gegenüber wohnte, mit vier großen Zimmern und drei¬<lb/>
tausend Kronen Zinsen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1716"> Was ist mit der?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1717"> Die hat sich wahrhaftig verheiratet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1718"> So? hat sich nicht lassen können?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1719"> Aber das ist doch eigentlich ganz natürlich, daß ein Mädchen, das so<lb/>
warm sitzt und eine ganze Familie erhalten kann, sich verheiratet!  Es wäre<lb/>
geradezu eine Schande gewesen, wenn sich nicht gethan hätte! Ja, man hätte<lb/>
sich doch beizeiten ein bißchen bemühen sollen, murmelte er, wer weiß<lb/>
na, Sie denken vielleicht an mich, wenn Sie etwas hören sollten!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1720"> Das versprach ich; und noch mehr, ich hatte wirklich schon einige vor¬<lb/>
bereitende Schritte gethan, als ich eines schönen Tages aufs angenehmste<lb/>
durch ein Briefchen von meinem Freunde Mathem überrascht wurde, worin er<lb/>
mir mitteilte, daß er tags zuvor in den heiligen Ehestand getreten sei, indem<lb/>
er sich mit der verwitweten Frau Lund &#x2014; der Hebamme im Parterre &#x2014; habe<lb/>
trauen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1721" next="#ID_1722"> Mir gewährt es stets Befriedigung, wenn ich sehe, daß ein Mein&lt; seinen<lb/>
rechten Platz findet und die Stellung im Leben erreicht, für die er von der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0580] wie ich Herr» Mathem kennen lernte Als ich aber auf ordentliche Auskunft drang, rückte er heraus damit: Sehen Sie, mit Flora geht es bergab, sie läuft bald zwölf Jahre mit, das gute alte Fell, aber nun fängt es an, zu anstrengend für sie zu werden. Anstrengend? Inwiefern? Hinter dem Pferdebahnwagen zu laufen, denn mit hinein darf ich sie ja nicht nehmen. Aber Sie müssen doch nicht immer führen, Sie können doch auch gehen! Nein, das würde mir zu schwer, ich bin mein Leben lang kein Freund vom Gehen gewesen. Das ist doch aber zu arg, eine gute Stelle aus diesem Grunde aufzugeben. Ich hatte auch noch einen andern. Sehen Sie, ich habe einen guten Freund oben in Jütland bei Lögstör. Er schrieb mir, daß er sieben Volk Hühner auf seinem Felde habe, und da schien es mir doch bei Gott zu trivial, die Pflastersteine Kopenhagens abschleifen zu helfen. Und da reisten Sie nach Jütland und schössen die Hühner? Ja, wenigstens einen guten Teil davon. Und was nun? Nun? Ja, ich bin in mein altes Logis gezogen und muß sehen, wieder irgendwo anzukommen. Das Letztere sprach er mit einem leichten Seufzer, wie ein Mann, der sich mit Ergebung in ein hartes, aber unabwendbares Schicksal fügt. Nach einer kleinen Pause sagte er plötzlich: Erinnern Sie sich vielleicht, daß ich Ihnen von einem Fräulein Imsen erzählt habe, der Tochter des Fleischers, die mir gegenüber wohnte, mit vier großen Zimmern und drei¬ tausend Kronen Zinsen! Was ist mit der? Die hat sich wahrhaftig verheiratet. So? hat sich nicht lassen können? Aber das ist doch eigentlich ganz natürlich, daß ein Mädchen, das so warm sitzt und eine ganze Familie erhalten kann, sich verheiratet! Es wäre geradezu eine Schande gewesen, wenn sich nicht gethan hätte! Ja, man hätte sich doch beizeiten ein bißchen bemühen sollen, murmelte er, wer weiß na, Sie denken vielleicht an mich, wenn Sie etwas hören sollten! Das versprach ich; und noch mehr, ich hatte wirklich schon einige vor¬ bereitende Schritte gethan, als ich eines schönen Tages aufs angenehmste durch ein Briefchen von meinem Freunde Mathem überrascht wurde, worin er mir mitteilte, daß er tags zuvor in den heiligen Ehestand getreten sei, indem er sich mit der verwitweten Frau Lund — der Hebamme im Parterre — habe trauen lassen. Mir gewährt es stets Befriedigung, wenn ich sehe, daß ein Mein< seinen rechten Platz findet und die Stellung im Leben erreicht, für die er von der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/580
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/580>, abgerufen am 23.07.2024.