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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Wie ich Herrn Mathem kennen lernte

Weil Sie schon so frühzeitig am Nachmittag zu Bett gegangen sind.

Ist es Nachmittag? Alle Hagel, da habe ich wahrscheinlich seit gestern
Abend durchgeschlafen. Ich hatte gerade keine Veranlassung, heute auszugehen,
und ich schlafe etwas langsam, fügte er als eine Art Erklärung hinzu, da ich
wahrscheinlich ein etwas erstauntes Gesicht machte. Ich habe ja auch ein
hastiges Jagen nicht nötig. Mein bißchen Essen bereite ich mir selbst, wenn
ich Hunger bekomme; ich spare damit das öftere Hinunter- und Herausklettern
der vielen Treppen, außerdem auch das Einheizen.

Aber die Zeit muß Ihnen doch entsetzlich lang werden, warf ich ein.

Nein, darüber kann ich durchaus nicht klagen. Ich habe mich in den
letzten Tagen damit unterhalten, die Generalstabskarte von Jütland zu studiren
und über die Jagden nachzudenken, die ich dort mitgemacht habe; dabei ist die
Zeit ganz hübsch vergangen.

Das ist ja recht schön, sagte ich, und erzählte ihm nnn von der Stelle,
die ich für ihn hätte, und daß er sie morgen antreten könnte.

Aber statt sich zu freuen, begann er Bedenklichkeiten zu äußern. Das
wird schwere Arbeit geben, alte Flora, sagte er, indem er sich nach dem Hunde
hinwandte, dessen Kopf, halb vom Deckbette bedeckt, mir erst jetzt in die Augen
fiel. Das wird uus beiden sauer werden, uns so von Pontius zu Pilatus
herumpeitschen zu lassen. Nu, man muß sich damit trösten, daß man die
Pferdebahn hat!

Ich tröstete ihn nicht, sondern machte ihm freundschaftliche Vorwürfe, er¬
mahnte ihn zur Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit und ging.

Er trat denn auch die Stelle an, und wenn ich im Verlauf des Winters
mitunter den Großhändler sah, berichtete mir dieser, daß Mathem allerdings
unglaublich langsam und schlaff, aber doch pflichtgetreu und sehr zuverlässig sei.

Er erhielt 40 Kronen monatlich, für einen Mann mit wenig Ansprüchen
ans Leben genügend, um gerade durchzukommen, wein: auch etwas knapp.
Deshalb freute ich mich auch, als ich ihm im Laufe des Sommers eine
Schreiberarbeit zuweisen konnte, da er eine hübsche Hand schrieb.

Ich ging zu ihm und traf ihn auch zu Hause, halb zum Fenster hinans-
liegend und eifrig nach etwas schauend.

Dort am Giebel giebt es ja eine schwere Menge Staarkasten, gehören die
Ihnen? fragte ich, nachdem wir uns begrüßt hatten.

Allerdings gehören die mir, antwortete er, und jetzt sind die Jungen bald
zu brauchen!

Zu brauchen? Wozu? Was wollen Sie damit sagen?

Nun, natürlich um verspeist zu werde".

Was, Sie abscheulicher Mensch! rief ich, Sie verspeisen die Jungen, die
unter Ihren Angen ausgebrütet und aufgefüttert worden sind? Ist so etwas
möglich?


Wie ich Herrn Mathem kennen lernte

Weil Sie schon so frühzeitig am Nachmittag zu Bett gegangen sind.

Ist es Nachmittag? Alle Hagel, da habe ich wahrscheinlich seit gestern
Abend durchgeschlafen. Ich hatte gerade keine Veranlassung, heute auszugehen,
und ich schlafe etwas langsam, fügte er als eine Art Erklärung hinzu, da ich
wahrscheinlich ein etwas erstauntes Gesicht machte. Ich habe ja auch ein
hastiges Jagen nicht nötig. Mein bißchen Essen bereite ich mir selbst, wenn
ich Hunger bekomme; ich spare damit das öftere Hinunter- und Herausklettern
der vielen Treppen, außerdem auch das Einheizen.

Aber die Zeit muß Ihnen doch entsetzlich lang werden, warf ich ein.

Nein, darüber kann ich durchaus nicht klagen. Ich habe mich in den
letzten Tagen damit unterhalten, die Generalstabskarte von Jütland zu studiren
und über die Jagden nachzudenken, die ich dort mitgemacht habe; dabei ist die
Zeit ganz hübsch vergangen.

Das ist ja recht schön, sagte ich, und erzählte ihm nnn von der Stelle,
die ich für ihn hätte, und daß er sie morgen antreten könnte.

Aber statt sich zu freuen, begann er Bedenklichkeiten zu äußern. Das
wird schwere Arbeit geben, alte Flora, sagte er, indem er sich nach dem Hunde
hinwandte, dessen Kopf, halb vom Deckbette bedeckt, mir erst jetzt in die Augen
fiel. Das wird uus beiden sauer werden, uns so von Pontius zu Pilatus
herumpeitschen zu lassen. Nu, man muß sich damit trösten, daß man die
Pferdebahn hat!

Ich tröstete ihn nicht, sondern machte ihm freundschaftliche Vorwürfe, er¬
mahnte ihn zur Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit und ging.

Er trat denn auch die Stelle an, und wenn ich im Verlauf des Winters
mitunter den Großhändler sah, berichtete mir dieser, daß Mathem allerdings
unglaublich langsam und schlaff, aber doch pflichtgetreu und sehr zuverlässig sei.

Er erhielt 40 Kronen monatlich, für einen Mann mit wenig Ansprüchen
ans Leben genügend, um gerade durchzukommen, wein: auch etwas knapp.
Deshalb freute ich mich auch, als ich ihm im Laufe des Sommers eine
Schreiberarbeit zuweisen konnte, da er eine hübsche Hand schrieb.

Ich ging zu ihm und traf ihn auch zu Hause, halb zum Fenster hinans-
liegend und eifrig nach etwas schauend.

Dort am Giebel giebt es ja eine schwere Menge Staarkasten, gehören die
Ihnen? fragte ich, nachdem wir uns begrüßt hatten.

Allerdings gehören die mir, antwortete er, und jetzt sind die Jungen bald
zu brauchen!

Zu brauchen? Wozu? Was wollen Sie damit sagen?

Nun, natürlich um verspeist zu werde».

Was, Sie abscheulicher Mensch! rief ich, Sie verspeisen die Jungen, die
unter Ihren Angen ausgebrütet und aufgefüttert worden sind? Ist so etwas
möglich?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/578>, abgerufen am 23.07.2024.