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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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interesses, zu machen. Das liegt in der Natur der Partei. Jede Partei
nimmt das Klappern der eignen Mühle für die Harmonie der höhern Sphüreu
und will den Staat durchaus nnr konservativ, nur liberal, nur schutzzöllnerisch,
nur freihändlerisch, nur kapitalistisch, uur arbeiterfreundlich u. s. w. macheu.
Daran, daß jede Partei -- nicht bloß diese oder jene -- bis zu einem ge¬
wissen Grade völlig berechtigte Interessen vertritt, die aus der Entwicklung
der unendlich mannichfachen Einzelwesen im Staate hervorgegangen, mit¬
hin notwendig da sind, daß es einen Staat nur mit einem Interesse, also
nur einer Partei, niemals gegeben hat und geben kann, daß mithin jede Partei
genau so viel und genau so wenig Recht an den Staat hat wie die andern,
daran zu denken, fällt natürlich dem in der Wolle gefärbten, also bornirten
Parteimann nicht ein. Jeder pfeift sein Lied mit größerer oder geringerer
Mundfertigkeit wie es ihm der Zufall seiner Geburt, Erziehung, BernfS-
beschäftigung, gesellschaftlichen Umgebung u. f. w. gelehrt hat.

Man sehe nur auf den Reichstag. Wirklich gute, d. h. der Gesamtheit
dienende Gesetze, sofern sie mächtige Parteiinteressen verletzen, kommen häufig
gar uicht, immer aber nur schwer zu stände, und ihr Erfolg hängt uicht ab
von der Vernunft, sondern immer nnr von der Macht.

Recht deutlich zeigte sich dies am Schicksal des Arbeiterinvalidengesetzes.
Noch nie ist ein gerechteres, allgemeiner und segensreicher wirkendes Gesetz
vorgelegt worden als dieses, und gleichwohl, welchen erbitterten Widerstand
hat es im Reichstage gefunden! Es war für den Erfolg notwendig, daß die
Fürsten -- in erster Linie der Kaiser und der sächsische König -- einmütig
hinter ihm standen und daß der Druck aus den höchsten Kreisen auf den
Patriotismus sich uach allen Richtungen hin geltend machte. Der Kaiser ließ
sich über den Fortgang der Beratungen unausgesetzt Bericht erstatten, und als
der Erfolg einmal zweifelhaft schien, erklärte er seiner Umgebung, daß er das
Gesetz, wenn es für Deutschland scheitere, sofort dem preußischen Landtage
vorlegen lassen werde. Der Minister von Bötticher, diese bedeutende stcicits--
männische Kraft, rieb sich in fast ruheloser Arbeit bei Tag und Nacht schier
auf, und doch war nicht mehr als nur eine Mehrheit von zwanzig Stimmen
dafür zu gewinnen. Wie verhielten sich hier die Parteien?

Da war zunächst der Deutschfreisinn mit seinem wirtschaftlichen Anhang,
dem Freihandel um jeden Preis. Für diesen ist die Welt seit 178!) mit
Brettern vernagelt, sür ihn hat Gott damals seine Geschäfte bei der Stcmts-
entwicllung an Jean Jacques Rousseau und Adam Smith, an den einen für
die politischen, an deu andern für die wirtschaftlichen Interessen, endgiltig ab¬
getreten. Die Ideen dieser beiden Männer deckten sich damals mit der Er¬
fahrung und waren Metallbnrren der Wissenschaft. Heute, wo die Welt
hundert Jahre lang neues erlebt hat, decken sie sich uicht mehr mit der Er¬
fahrung, heute sind sie in den Walzwerken des Deutschfreisinns zu Blech


interesses, zu machen. Das liegt in der Natur der Partei. Jede Partei
nimmt das Klappern der eignen Mühle für die Harmonie der höhern Sphüreu
und will den Staat durchaus nnr konservativ, nur liberal, nur schutzzöllnerisch,
nur freihändlerisch, nur kapitalistisch, uur arbeiterfreundlich u. s. w. macheu.
Daran, daß jede Partei — nicht bloß diese oder jene — bis zu einem ge¬
wissen Grade völlig berechtigte Interessen vertritt, die aus der Entwicklung
der unendlich mannichfachen Einzelwesen im Staate hervorgegangen, mit¬
hin notwendig da sind, daß es einen Staat nur mit einem Interesse, also
nur einer Partei, niemals gegeben hat und geben kann, daß mithin jede Partei
genau so viel und genau so wenig Recht an den Staat hat wie die andern,
daran zu denken, fällt natürlich dem in der Wolle gefärbten, also bornirten
Parteimann nicht ein. Jeder pfeift sein Lied mit größerer oder geringerer
Mundfertigkeit wie es ihm der Zufall seiner Geburt, Erziehung, BernfS-
beschäftigung, gesellschaftlichen Umgebung u. f. w. gelehrt hat.

Man sehe nur auf den Reichstag. Wirklich gute, d. h. der Gesamtheit
dienende Gesetze, sofern sie mächtige Parteiinteressen verletzen, kommen häufig
gar uicht, immer aber nur schwer zu stände, und ihr Erfolg hängt uicht ab
von der Vernunft, sondern immer nnr von der Macht.

Recht deutlich zeigte sich dies am Schicksal des Arbeiterinvalidengesetzes.
Noch nie ist ein gerechteres, allgemeiner und segensreicher wirkendes Gesetz
vorgelegt worden als dieses, und gleichwohl, welchen erbitterten Widerstand
hat es im Reichstage gefunden! Es war für den Erfolg notwendig, daß die
Fürsten — in erster Linie der Kaiser und der sächsische König — einmütig
hinter ihm standen und daß der Druck aus den höchsten Kreisen auf den
Patriotismus sich uach allen Richtungen hin geltend machte. Der Kaiser ließ
sich über den Fortgang der Beratungen unausgesetzt Bericht erstatten, und als
der Erfolg einmal zweifelhaft schien, erklärte er seiner Umgebung, daß er das
Gesetz, wenn es für Deutschland scheitere, sofort dem preußischen Landtage
vorlegen lassen werde. Der Minister von Bötticher, diese bedeutende stcicits--
männische Kraft, rieb sich in fast ruheloser Arbeit bei Tag und Nacht schier
auf, und doch war nicht mehr als nur eine Mehrheit von zwanzig Stimmen
dafür zu gewinnen. Wie verhielten sich hier die Parteien?

Da war zunächst der Deutschfreisinn mit seinem wirtschaftlichen Anhang,
dem Freihandel um jeden Preis. Für diesen ist die Welt seit 178!) mit
Brettern vernagelt, sür ihn hat Gott damals seine Geschäfte bei der Stcmts-
entwicllung an Jean Jacques Rousseau und Adam Smith, an den einen für
die politischen, an deu andern für die wirtschaftlichen Interessen, endgiltig ab¬
getreten. Die Ideen dieser beiden Männer deckten sich damals mit der Er¬
fahrung und waren Metallbnrren der Wissenschaft. Heute, wo die Welt
hundert Jahre lang neues erlebt hat, decken sie sich uicht mehr mit der Er¬
fahrung, heute sind sie in den Walzwerken des Deutschfreisinns zu Blech


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/550>, abgerufen am 23.07.2024.