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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Gin Griginal aus den Befreiungskriegen

wo er sein Leben aufs Spiel setzen, seine Kühnheit und Schlauheit entfalten
konnte, hatte es Reiz für ihn. Mit unglaublicher Verwegenheit hat er jahre¬
lang in ganz Europa die französische Armee umschwärmt und ihr Abbruch
gethan. 1813 hob er wiederholt die Kuriere und Posten auf, die von Frank¬
reich zur französischen Armee abgingen. Depeschen unwesentlichen Inhalts ließ
er weitergehen, nachdem er ein Siegel beigedruckt hatte, das einen .Kosaken zeigte
mit der Unterschrift: Privilegirtes Kosatenposteomptoir. Napoleon hatte einen
Preis auf seinen Kopf gesetzt, aber nie gelang es, seiner habhaft zu werden,
obwohl er wiederholt sogar in Paris und im Hauptquartier Napoleons war.
Dabei war er aber auch ein geborner Diplomat, von vollkommenster Selbst¬
beherrschung, zuverlässig, verschwiegen, gleich gewandt im Verkehr mit hoch¬
stehenden Persönlichkeiten, in der Ausführung schwieriger Auftrüge und in der
Anpassung an alle Kreise und Nationalitäten. "Überall -- sagt sein Bio¬
graph -- erschien er als das, was er sein wollte, in Frankreich Franzose, in
Italien Italiener, mit seinen Kosaken Kosak." Unterstützt wurde er dabei durch
sein Ortsgedächtnis, sein Sprachtalent, seine Kunst, sich zu verkleiden, und durch
die Verwandlnugsfühigkeit seines ausdrucksvollen Gesichts. Er trug einen
langen Schnur- und Kinnbart; den Kinnbart flocht er, wenn es die Umstände
empfahlen, in einen Zopf und verbarg ihn unter Halstuch und Weste; den
Schnurbart konnte er um die Ohren wickeln und erschien dann plötzlich mit
Backenbart, daß ihn niemand wiedererkannte.") Er hatte übrigens die Gewohn¬
heit -- seit wann, wußte er sich selbst nicht zu erinnern --, nur kalte Speisen
zu genießen, und schrieb es diesem Umstände zu, daß er bis in sein höchstes
Alter frisch und gesund blieb.

Seine Rechtlichkeit und Uneigennützigkeit, die ans jeder Maßregel während
seiner Leipziger Stellung hervorleuchtet, rühmt auch sein russischer Biograph.
"Wer, wie Prendel -- schreibt er --, vollkommenes Vertrauen genoß, so viele
wichtige Aufträge erfüllte, durch wessen Hände ungeheure Geldsummen gingen,
wer Tausende von Feinden gefangen nahm, eine Unmasse von Hab und Gut
dem feindlichen Train und Transport entzog und große Beute machte, konnte
wohl Gelegenheit finden, manches auf die Seite zu bringen und dem Luxus
zu frönen. Prendel lebte sein ganzes Leben lang wie ein Spartaner; zu¬
frieden mit seinem Einkommen, unterhielt er von seinem Einkommen sich und
die Seinigen und hinterließ sterbend den Kindern nichts als seinen Namen und
ein gutes Andenken."





*) Ein gutes Bildnis von ihm (Ölgemälde) befindet sich in der Sammlung des Vereins
für die Geschichte Leipzigs, ebenso ein kolorirter Kupferstich, der ihn auf seinem Schimmel
um die Stadt reitend zeigt.
Gin Griginal aus den Befreiungskriegen

wo er sein Leben aufs Spiel setzen, seine Kühnheit und Schlauheit entfalten
konnte, hatte es Reiz für ihn. Mit unglaublicher Verwegenheit hat er jahre¬
lang in ganz Europa die französische Armee umschwärmt und ihr Abbruch
gethan. 1813 hob er wiederholt die Kuriere und Posten auf, die von Frank¬
reich zur französischen Armee abgingen. Depeschen unwesentlichen Inhalts ließ
er weitergehen, nachdem er ein Siegel beigedruckt hatte, das einen .Kosaken zeigte
mit der Unterschrift: Privilegirtes Kosatenposteomptoir. Napoleon hatte einen
Preis auf seinen Kopf gesetzt, aber nie gelang es, seiner habhaft zu werden,
obwohl er wiederholt sogar in Paris und im Hauptquartier Napoleons war.
Dabei war er aber auch ein geborner Diplomat, von vollkommenster Selbst¬
beherrschung, zuverlässig, verschwiegen, gleich gewandt im Verkehr mit hoch¬
stehenden Persönlichkeiten, in der Ausführung schwieriger Auftrüge und in der
Anpassung an alle Kreise und Nationalitäten. „Überall — sagt sein Bio¬
graph — erschien er als das, was er sein wollte, in Frankreich Franzose, in
Italien Italiener, mit seinen Kosaken Kosak." Unterstützt wurde er dabei durch
sein Ortsgedächtnis, sein Sprachtalent, seine Kunst, sich zu verkleiden, und durch
die Verwandlnugsfühigkeit seines ausdrucksvollen Gesichts. Er trug einen
langen Schnur- und Kinnbart; den Kinnbart flocht er, wenn es die Umstände
empfahlen, in einen Zopf und verbarg ihn unter Halstuch und Weste; den
Schnurbart konnte er um die Ohren wickeln und erschien dann plötzlich mit
Backenbart, daß ihn niemand wiedererkannte.") Er hatte übrigens die Gewohn¬
heit — seit wann, wußte er sich selbst nicht zu erinnern —, nur kalte Speisen
zu genießen, und schrieb es diesem Umstände zu, daß er bis in sein höchstes
Alter frisch und gesund blieb.

Seine Rechtlichkeit und Uneigennützigkeit, die ans jeder Maßregel während
seiner Leipziger Stellung hervorleuchtet, rühmt auch sein russischer Biograph.
„Wer, wie Prendel — schreibt er —, vollkommenes Vertrauen genoß, so viele
wichtige Aufträge erfüllte, durch wessen Hände ungeheure Geldsummen gingen,
wer Tausende von Feinden gefangen nahm, eine Unmasse von Hab und Gut
dem feindlichen Train und Transport entzog und große Beute machte, konnte
wohl Gelegenheit finden, manches auf die Seite zu bringen und dem Luxus
zu frönen. Prendel lebte sein ganzes Leben lang wie ein Spartaner; zu¬
frieden mit seinem Einkommen, unterhielt er von seinem Einkommen sich und
die Seinigen und hinterließ sterbend den Kindern nichts als seinen Namen und
ein gutes Andenken."





*) Ein gutes Bildnis von ihm (Ölgemälde) befindet sich in der Sammlung des Vereins
für die Geschichte Leipzigs, ebenso ein kolorirter Kupferstich, der ihn auf seinem Schimmel
um die Stadt reitend zeigt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/520>, abgerufen am 23.07.2024.