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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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?chliemaims Ausgml'ungen, nud Ägypten

hin zu tveise". Nicht das ist wunderbar, daß die Bewohner dieser Küste"
schon in den frühesten Zeiten eng verbunden Ware"; umnderbar wäre es, wenn
es nicht so gewesen wäre.

Es gab in der Altertumswissenschaft unsers Jahrhunderts eine Zeit, wo
man, von ähnlichen Erwägungen ausgehend, am liebsten die ganze Bildung
"ut Gesittung Griechenlands aus Ägypten hergeleitet hätte. Der Gegenschlag
gegen diese alles Maß überschreitende Behauptung konnte nicht ausbleiben.
Aber nun ging man wieder nach der andern Richtung zu weit. An Stelle
der frühern Ägyptvmanie trat eine förmliche Ägyptvphobie. Das Voll der
alten Griechen sollte nnn einer Treibhauspflanze gleichen, über die der Gärtner
ein Glasgefnß stürzt, um sie vor allen schädlichen Berührungen, vor jedem
kalte" Windhauch zu schützen. Die Geschichte kennt derartige Treibhauspflanzen
nicht; das einzige Volk, das, durch die Lage seines Landes begünstigt, sich
gewaltsam vom Auslande abzuschließen versucht hat, das chinesische, ist nicht zur
Vollkommenheit gediehen, sondern bis zur Verkrüppelung ausgewachsen. Und
Griechenland ist nicht dnrch Wüsten und unübersteigliche Gebirge von den
Nachbarländern geschieden, sondern rings von einem Meere umflutet, das zur
Auffahrt wie zur Einfahrt ladet. Trotzdem hat man sich lange gesträubt,
eine Beeinflussung der Griechen durch die damals viel höher entwickelten Ost-
staateu zuzugeben. Die bekannten Erzählungen von einer mächtigen Seeherr¬
schaft des Königs Minus von Kreta, der vor Zeiten den ganzen Archipel
nnter seinen Willen gezwungen haben soll, die Berichte über die Herkunft des
"Phöniziers" Kadmos, der Aufenthalt des Danaos in Ägypten, die K'unst-
thätigkeit der kleinnsiatischen Kyklopen, die denn Pelops ans ihrer Heimat ge¬
folgt sein solle", um ihm die feste Königsburg Myke"ä z" baue" -- alles das
galt als späte Fabel ohne jeden geschichtlichen Hintergrund, lind als mau
angesichts der zahlreichen Vasenfnnde, die ans eine" langen Verkehr zwischen
dem alten Griechenland und den östlichen Völkern hinwiesen, sich endlich doch
dazu entschließe" mußte, die Veeinflussuug Griechenlands durch den Osten
anzuerkennen, so glaubte mau wenigstens dabei stehen bleiben zu müssen:
Kleinasien, Phönizien, Mesopotamien tonnen auf Griechenland eingewirkt haben,
aber niemals in so früher Zeit Ägypten. Das Nilthal wurde von dem Ver¬
kehr auf dem Mittelmeere völlig abgeschlossen, gleich als wenn der Nil nicht
in sieben Mündungen ins Meer hinausströmte, sondern im Fruchtboden des
Deltas versiegte!

Erst in den letzten Jahren beginnt man auch über die Verbindungen des
alten Griechenlands mit Ägypten wieder anders zu urteilen. Mau giebt zu,
daß zwischen den beiden Länder" schon in sehr früher Zeit ein gewisser Ver¬
kehr bestanden haben muß; nur über die Wege, die er eingeschlagen hat, ""V
über das mehr oder weniger ist man noch nicht einig. Das Verdienst, diese
llinwälznng in der Altertumswissenschaft vorbereitet zu haben, gebührt ""streitig


?chliemaims Ausgml'ungen, nud Ägypten

hin zu tveise». Nicht das ist wunderbar, daß die Bewohner dieser Küste»
schon in den frühesten Zeiten eng verbunden Ware»; umnderbar wäre es, wenn
es nicht so gewesen wäre.

Es gab in der Altertumswissenschaft unsers Jahrhunderts eine Zeit, wo
man, von ähnlichen Erwägungen ausgehend, am liebsten die ganze Bildung
»ut Gesittung Griechenlands aus Ägypten hergeleitet hätte. Der Gegenschlag
gegen diese alles Maß überschreitende Behauptung konnte nicht ausbleiben.
Aber nun ging man wieder nach der andern Richtung zu weit. An Stelle
der frühern Ägyptvmanie trat eine förmliche Ägyptvphobie. Das Voll der
alten Griechen sollte nnn einer Treibhauspflanze gleichen, über die der Gärtner
ein Glasgefnß stürzt, um sie vor allen schädlichen Berührungen, vor jedem
kalte» Windhauch zu schützen. Die Geschichte kennt derartige Treibhauspflanzen
nicht; das einzige Volk, das, durch die Lage seines Landes begünstigt, sich
gewaltsam vom Auslande abzuschließen versucht hat, das chinesische, ist nicht zur
Vollkommenheit gediehen, sondern bis zur Verkrüppelung ausgewachsen. Und
Griechenland ist nicht dnrch Wüsten und unübersteigliche Gebirge von den
Nachbarländern geschieden, sondern rings von einem Meere umflutet, das zur
Auffahrt wie zur Einfahrt ladet. Trotzdem hat man sich lange gesträubt,
eine Beeinflussung der Griechen durch die damals viel höher entwickelten Ost-
staateu zuzugeben. Die bekannten Erzählungen von einer mächtigen Seeherr¬
schaft des Königs Minus von Kreta, der vor Zeiten den ganzen Archipel
nnter seinen Willen gezwungen haben soll, die Berichte über die Herkunft des
„Phöniziers" Kadmos, der Aufenthalt des Danaos in Ägypten, die K'unst-
thätigkeit der kleinnsiatischen Kyklopen, die denn Pelops ans ihrer Heimat ge¬
folgt sein solle», um ihm die feste Königsburg Myke»ä z» baue» — alles das
galt als späte Fabel ohne jeden geschichtlichen Hintergrund, lind als mau
angesichts der zahlreichen Vasenfnnde, die ans eine» langen Verkehr zwischen
dem alten Griechenland und den östlichen Völkern hinwiesen, sich endlich doch
dazu entschließe» mußte, die Veeinflussuug Griechenlands durch den Osten
anzuerkennen, so glaubte mau wenigstens dabei stehen bleiben zu müssen:
Kleinasien, Phönizien, Mesopotamien tonnen auf Griechenland eingewirkt haben,
aber niemals in so früher Zeit Ägypten. Das Nilthal wurde von dem Ver¬
kehr auf dem Mittelmeere völlig abgeschlossen, gleich als wenn der Nil nicht
in sieben Mündungen ins Meer hinausströmte, sondern im Fruchtboden des
Deltas versiegte!

Erst in den letzten Jahren beginnt man auch über die Verbindungen des
alten Griechenlands mit Ägypten wieder anders zu urteilen. Mau giebt zu,
daß zwischen den beiden Länder» schon in sehr früher Zeit ein gewisser Ver¬
kehr bestanden haben muß; nur über die Wege, die er eingeschlagen hat, »»V
über das mehr oder weniger ist man noch nicht einig. Das Verdienst, diese
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[0462] ?chliemaims Ausgml'ungen, nud Ägypten hin zu tveise». Nicht das ist wunderbar, daß die Bewohner dieser Küste» schon in den frühesten Zeiten eng verbunden Ware»; umnderbar wäre es, wenn es nicht so gewesen wäre. Es gab in der Altertumswissenschaft unsers Jahrhunderts eine Zeit, wo man, von ähnlichen Erwägungen ausgehend, am liebsten die ganze Bildung »ut Gesittung Griechenlands aus Ägypten hergeleitet hätte. Der Gegenschlag gegen diese alles Maß überschreitende Behauptung konnte nicht ausbleiben. Aber nun ging man wieder nach der andern Richtung zu weit. An Stelle der frühern Ägyptvmanie trat eine förmliche Ägyptvphobie. Das Voll der alten Griechen sollte nnn einer Treibhauspflanze gleichen, über die der Gärtner ein Glasgefnß stürzt, um sie vor allen schädlichen Berührungen, vor jedem kalte» Windhauch zu schützen. Die Geschichte kennt derartige Treibhauspflanzen nicht; das einzige Volk, das, durch die Lage seines Landes begünstigt, sich gewaltsam vom Auslande abzuschließen versucht hat, das chinesische, ist nicht zur Vollkommenheit gediehen, sondern bis zur Verkrüppelung ausgewachsen. Und Griechenland ist nicht dnrch Wüsten und unübersteigliche Gebirge von den Nachbarländern geschieden, sondern rings von einem Meere umflutet, das zur Auffahrt wie zur Einfahrt ladet. Trotzdem hat man sich lange gesträubt, eine Beeinflussung der Griechen durch die damals viel höher entwickelten Ost- staateu zuzugeben. Die bekannten Erzählungen von einer mächtigen Seeherr¬ schaft des Königs Minus von Kreta, der vor Zeiten den ganzen Archipel nnter seinen Willen gezwungen haben soll, die Berichte über die Herkunft des „Phöniziers" Kadmos, der Aufenthalt des Danaos in Ägypten, die K'unst- thätigkeit der kleinnsiatischen Kyklopen, die denn Pelops ans ihrer Heimat ge¬ folgt sein solle», um ihm die feste Königsburg Myke»ä z» baue» — alles das galt als späte Fabel ohne jeden geschichtlichen Hintergrund, lind als mau angesichts der zahlreichen Vasenfnnde, die ans eine» langen Verkehr zwischen dem alten Griechenland und den östlichen Völkern hinwiesen, sich endlich doch dazu entschließe» mußte, die Veeinflussuug Griechenlands durch den Osten anzuerkennen, so glaubte mau wenigstens dabei stehen bleiben zu müssen: Kleinasien, Phönizien, Mesopotamien tonnen auf Griechenland eingewirkt haben, aber niemals in so früher Zeit Ägypten. Das Nilthal wurde von dem Ver¬ kehr auf dem Mittelmeere völlig abgeschlossen, gleich als wenn der Nil nicht in sieben Mündungen ins Meer hinausströmte, sondern im Fruchtboden des Deltas versiegte! Erst in den letzten Jahren beginnt man auch über die Verbindungen des alten Griechenlands mit Ägypten wieder anders zu urteilen. Mau giebt zu, daß zwischen den beiden Länder» schon in sehr früher Zeit ein gewisser Ver¬ kehr bestanden haben muß; nur über die Wege, die er eingeschlagen hat, »»V über das mehr oder weniger ist man noch nicht einig. Das Verdienst, diese llinwälznng in der Altertumswissenschaft vorbereitet zu haben, gebührt »»streitig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/462>, abgerufen am 23.07.2024.