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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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hat, ist über die Deutung der Namen jener Völkerschaften gestritten worden.
Schon die ersten Gelehrten, die sich damit beschäftigten, glaubten in den
Schardann die Bewohner von Sardinien erkennen zu dürfen, in den Dnnauua
die Dancier und in den bei einem frühern Einfall erwähnten Aqaiwascha und
Turscha die Achäer und Tyrsener oder Tyrrhener, d, i, die Etrusker. Es
muß zugegeben werden, daß man in der Deutung dieser Völkernamen zu weit
gegangen ist. Besonders die Gleichsetzung der Schardann und Turscha mit
den westlichen Sardiniern und Etruskern ist nicht zu rechtfertigen. Auch diese
Stämme werden gleich den Danaern ihre Wohnsitze am Ostbecken des Mittel¬
meeres gehabt haben. Von den Tyrrhenern berichtet Herodot, sie hätten auch
in Thracien gewohnt, und dieser Bericht hat erst vor kurzem durch die Auf¬
findung einer alten lemnischen Inschrift eine unerwartete, aber unzweifelhafte
Bestätigung erhalten; und wo die Schardann ihre Heimat hatten, darauf deuten
Namen wie Sardes hin. Es waren Kleinasiaten, Bewohner Griechenlands
und Inselgriechen; wie Rhamses der Dritte selbst sagt -- und er konnte es
von den zahlreichen Kriegsgefangnen wissen: sie kamen "von ihren Inseln im
großen Meere."

Diese Inschrift des Rhnmses eröffnet uns einen wunderbaren Einblick in
das Dunkel, das über den Völkerbewegungen und Völkerverbindungen des
zweiten vorchristlichen Jahrtausends liegt. Konnten sich damals zahlreiche
Stämme Kleinasiens und Griechenlands zu einem gemeinsamen Angriff ans
Ägypten vereinigen, so müssen diese Küstenländer in engem Verkehre gestanden
haben. Anstatt der Abgeschlossenheit, die für diese frühen Zeiten behauptet
wird, anstatt eines Kampfes aller gegen alle sehen wir das Ostbecken des
Mittelmeeres wie etwas Gemeinsames in die älteste Geschichte eintreten, als
ein Gebiet, dessen Küsten durch zahlreiche Fäden nnter einander und mit den
großen Kulturstaaten des Ostens verbunden sind. Denn jeuer Zug nach
Ägypten darf nicht als ein vereinzeltes, jeder Vorbereitung und jeglicher Nach¬
wirkung entbehrendes Ereignis aufgefaßt werden. Überall sind dein ersten
feindlichen Angriff friedliche Verbindungen vorausgegangen lind, wenn das
Unternehmen scheiterte, gefolgt.

Wer das ägeische Meer aus eigner Auschauung kennt, den konnte der
Nachweis jener frühen Völkerbewegungen überraschen, die geschichtliche That¬
sache selbst nicht. Nur im Arbeitszimmer und auf dem ^eins ordi8 -mei^ni
erscheint die reiche Inselwelt des Archipelagus und die gastliche Küste Phöniziens
durch ein weites Meer getrennt. Dem. Schiffer, der vom Hellespont hiucmf-
segelt, sind schon an der Ausfahrt aus der Meerenge die Berge von Jmbros
und Lemnos in Sicht; wie ans vielbefahrener Straße zahlreiche Herbergen
Unterkunft bieten, so hebt sich Insel an Insel aus der Flut bis nach Kreta
hinüber, und an der Südküste Kleinasiens scheinen die großen Inseln Rhodus
und Eypern gleich zwei Leuchttürmen den Weg nach Osten wie nach Westen


hat, ist über die Deutung der Namen jener Völkerschaften gestritten worden.
Schon die ersten Gelehrten, die sich damit beschäftigten, glaubten in den
Schardann die Bewohner von Sardinien erkennen zu dürfen, in den Dnnauua
die Dancier und in den bei einem frühern Einfall erwähnten Aqaiwascha und
Turscha die Achäer und Tyrsener oder Tyrrhener, d, i, die Etrusker. Es
muß zugegeben werden, daß man in der Deutung dieser Völkernamen zu weit
gegangen ist. Besonders die Gleichsetzung der Schardann und Turscha mit
den westlichen Sardiniern und Etruskern ist nicht zu rechtfertigen. Auch diese
Stämme werden gleich den Danaern ihre Wohnsitze am Ostbecken des Mittel¬
meeres gehabt haben. Von den Tyrrhenern berichtet Herodot, sie hätten auch
in Thracien gewohnt, und dieser Bericht hat erst vor kurzem durch die Auf¬
findung einer alten lemnischen Inschrift eine unerwartete, aber unzweifelhafte
Bestätigung erhalten; und wo die Schardann ihre Heimat hatten, darauf deuten
Namen wie Sardes hin. Es waren Kleinasiaten, Bewohner Griechenlands
und Inselgriechen; wie Rhamses der Dritte selbst sagt — und er konnte es
von den zahlreichen Kriegsgefangnen wissen: sie kamen „von ihren Inseln im
großen Meere."

Diese Inschrift des Rhnmses eröffnet uns einen wunderbaren Einblick in
das Dunkel, das über den Völkerbewegungen und Völkerverbindungen des
zweiten vorchristlichen Jahrtausends liegt. Konnten sich damals zahlreiche
Stämme Kleinasiens und Griechenlands zu einem gemeinsamen Angriff ans
Ägypten vereinigen, so müssen diese Küstenländer in engem Verkehre gestanden
haben. Anstatt der Abgeschlossenheit, die für diese frühen Zeiten behauptet
wird, anstatt eines Kampfes aller gegen alle sehen wir das Ostbecken des
Mittelmeeres wie etwas Gemeinsames in die älteste Geschichte eintreten, als
ein Gebiet, dessen Küsten durch zahlreiche Fäden nnter einander und mit den
großen Kulturstaaten des Ostens verbunden sind. Denn jeuer Zug nach
Ägypten darf nicht als ein vereinzeltes, jeder Vorbereitung und jeglicher Nach¬
wirkung entbehrendes Ereignis aufgefaßt werden. Überall sind dein ersten
feindlichen Angriff friedliche Verbindungen vorausgegangen lind, wenn das
Unternehmen scheiterte, gefolgt.

Wer das ägeische Meer aus eigner Auschauung kennt, den konnte der
Nachweis jener frühen Völkerbewegungen überraschen, die geschichtliche That¬
sache selbst nicht. Nur im Arbeitszimmer und auf dem ^eins ordi8 -mei^ni
erscheint die reiche Inselwelt des Archipelagus und die gastliche Küste Phöniziens
durch ein weites Meer getrennt. Dem. Schiffer, der vom Hellespont hiucmf-
segelt, sind schon an der Ausfahrt aus der Meerenge die Berge von Jmbros
und Lemnos in Sicht; wie ans vielbefahrener Straße zahlreiche Herbergen
Unterkunft bieten, so hebt sich Insel an Insel aus der Flut bis nach Kreta
hinüber, und an der Südküste Kleinasiens scheinen die großen Inseln Rhodus
und Eypern gleich zwei Leuchttürmen den Weg nach Osten wie nach Westen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/461>, abgerufen am 23.07.2024.