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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdmnmheiten

Parallele Relativsätze, die sich auf dasselbe Wort zurückbezögen, müßten auch
mit demselben Relativpronomen anfangen, entweder alle mit der oder alle
mit welcher; wenn aber ein Relativsatz von einen, andern Relativsatz abhänge,
so müsse, um jede Unklarheit, jedes Mißverständnis zu vermeiden, mit dem
Prvnvmen gewechselt werden. Der andre hörte mir ruhig zu, erwiderte aber
dann: Ich mag das welcher überhaupt nicht, ich brauche es nie.

Ich war etwas verdutzt über diesen Ausspruch. Da ich aber einem
Manne gegenübersaß, bei dem ich wußte, daß das keine bloße Schrulle sein
konnte, sondern daß er seineu guten Grund dazu haben mußte, wenn er so
etwas sagte, so schwieg ich, nahm mir aber vor, den Sprachgebrauch etwas
zu beobachten. Und siehe da, noch nicht vierundzwauzig Stunden waren ver¬
gangen, so war ich über die Sache im klaren, und ein paar Wochen weiterer
Beobachtinig zeigten mir immer ein und dasselbe: kein Mensch spricht welcher,
es wird nur immer geschrieben! Man beobachte sich selbst, man beobachte
andre, stundenlang, tagelang, mau wird meine Behauptung vollständig be¬
stätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß sich in freier, lebendiger, natürlicher
Rede, wie sie der Augenblick schafft, das Relationen welcher einstellte, jeder¬
mann sagt immer und überall der. Es ist undenkbar, daß jemand bei Tische
sagte: die Sorte, welche wir vorhin getrunken haben, oder: wir gehen wieder
in dieselbe Sommerfrische, in welcher wir voriges Jahr gewesen sind. In
wochenlanger Beobachtung ist es mir nur zweimal vorgekommen, daß jemand
als Nelativiim welcher brauchte! Das einemal hörte ichs in einer Ansprache,
die ein höherer Beamter hielt. Aber der Mann hat den ganzen Tag Akten
zu lesen und Akten zu schreiben, kein Wunder, daß er schließlich auch Akten
spricht, und er spricht wirklich Alten. Der andre Fall erschreckte mich etwas:
ein schüchterner junger Mann bat mich um ein Buch n"d sing seine Rede an:
können Sie mir nicht ein Buch empfehlen, in welchem u. s. w. Als ich mich
aber in die Seele des ängstlichen Menschen versetzte, der nutodidaktisch -- ans
Büchern! -- sich nachträglich eine gewisse Bildung angeeignet hat, begriff ich
auch dieses welchem. In den stenographischen Berichten über parlamentarische
Verhandlungen findet man zwar Relativsätze mit welcher nicht selten; aber
darauf gebe ich gar nichts. Diese Berichte werde" redigirt, und wer weiß,
wie manches der dabei erst in welcher verwandelt wird! Und dann: Parla¬
mentarier sprechen nicht, wie andre Menschen sprechen, sie sprechen auch, wenn
sie um Rednerpulte stehen, anders als im Foyer und im Büffel, sie sprechen
nicht bloß für die Zeitung, sie sprechen geradezu Zeitung, manche sprechen
überhaupt uicht, sondern sie diktiren gleichsam dem Protokollanten in die
Feder, dein Stenographen in den Bleistift. Wenn der Pfarrer auf der Kanzel
Relativsätze mit welcher anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt
wörtlich aufgeschrieben und auswendig gelernt hat; wer den Ausdruck im
Augenblicke schafft, sagt der, nichts andres. Jetzt wußte ich auch, warum in


Allerhand Sprachdmnmheiten

Parallele Relativsätze, die sich auf dasselbe Wort zurückbezögen, müßten auch
mit demselben Relativpronomen anfangen, entweder alle mit der oder alle
mit welcher; wenn aber ein Relativsatz von einen, andern Relativsatz abhänge,
so müsse, um jede Unklarheit, jedes Mißverständnis zu vermeiden, mit dem
Prvnvmen gewechselt werden. Der andre hörte mir ruhig zu, erwiderte aber
dann: Ich mag das welcher überhaupt nicht, ich brauche es nie.

Ich war etwas verdutzt über diesen Ausspruch. Da ich aber einem
Manne gegenübersaß, bei dem ich wußte, daß das keine bloße Schrulle sein
konnte, sondern daß er seineu guten Grund dazu haben mußte, wenn er so
etwas sagte, so schwieg ich, nahm mir aber vor, den Sprachgebrauch etwas
zu beobachten. Und siehe da, noch nicht vierundzwauzig Stunden waren ver¬
gangen, so war ich über die Sache im klaren, und ein paar Wochen weiterer
Beobachtinig zeigten mir immer ein und dasselbe: kein Mensch spricht welcher,
es wird nur immer geschrieben! Man beobachte sich selbst, man beobachte
andre, stundenlang, tagelang, mau wird meine Behauptung vollständig be¬
stätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß sich in freier, lebendiger, natürlicher
Rede, wie sie der Augenblick schafft, das Relationen welcher einstellte, jeder¬
mann sagt immer und überall der. Es ist undenkbar, daß jemand bei Tische
sagte: die Sorte, welche wir vorhin getrunken haben, oder: wir gehen wieder
in dieselbe Sommerfrische, in welcher wir voriges Jahr gewesen sind. In
wochenlanger Beobachtung ist es mir nur zweimal vorgekommen, daß jemand
als Nelativiim welcher brauchte! Das einemal hörte ichs in einer Ansprache,
die ein höherer Beamter hielt. Aber der Mann hat den ganzen Tag Akten
zu lesen und Akten zu schreiben, kein Wunder, daß er schließlich auch Akten
spricht, und er spricht wirklich Alten. Der andre Fall erschreckte mich etwas:
ein schüchterner junger Mann bat mich um ein Buch n»d sing seine Rede an:
können Sie mir nicht ein Buch empfehlen, in welchem u. s. w. Als ich mich
aber in die Seele des ängstlichen Menschen versetzte, der nutodidaktisch — ans
Büchern! — sich nachträglich eine gewisse Bildung angeeignet hat, begriff ich
auch dieses welchem. In den stenographischen Berichten über parlamentarische
Verhandlungen findet man zwar Relativsätze mit welcher nicht selten; aber
darauf gebe ich gar nichts. Diese Berichte werde» redigirt, und wer weiß,
wie manches der dabei erst in welcher verwandelt wird! Und dann: Parla¬
mentarier sprechen nicht, wie andre Menschen sprechen, sie sprechen auch, wenn
sie um Rednerpulte stehen, anders als im Foyer und im Büffel, sie sprechen
nicht bloß für die Zeitung, sie sprechen geradezu Zeitung, manche sprechen
überhaupt uicht, sondern sie diktiren gleichsam dem Protokollanten in die
Feder, dein Stenographen in den Bleistift. Wenn der Pfarrer auf der Kanzel
Relativsätze mit welcher anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt
wörtlich aufgeschrieben und auswendig gelernt hat; wer den Ausdruck im
Augenblicke schafft, sagt der, nichts andres. Jetzt wußte ich auch, warum in


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[0429] Allerhand Sprachdmnmheiten Parallele Relativsätze, die sich auf dasselbe Wort zurückbezögen, müßten auch mit demselben Relativpronomen anfangen, entweder alle mit der oder alle mit welcher; wenn aber ein Relativsatz von einen, andern Relativsatz abhänge, so müsse, um jede Unklarheit, jedes Mißverständnis zu vermeiden, mit dem Prvnvmen gewechselt werden. Der andre hörte mir ruhig zu, erwiderte aber dann: Ich mag das welcher überhaupt nicht, ich brauche es nie. Ich war etwas verdutzt über diesen Ausspruch. Da ich aber einem Manne gegenübersaß, bei dem ich wußte, daß das keine bloße Schrulle sein konnte, sondern daß er seineu guten Grund dazu haben mußte, wenn er so etwas sagte, so schwieg ich, nahm mir aber vor, den Sprachgebrauch etwas zu beobachten. Und siehe da, noch nicht vierundzwauzig Stunden waren ver¬ gangen, so war ich über die Sache im klaren, und ein paar Wochen weiterer Beobachtinig zeigten mir immer ein und dasselbe: kein Mensch spricht welcher, es wird nur immer geschrieben! Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, stundenlang, tagelang, mau wird meine Behauptung vollständig be¬ stätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß sich in freier, lebendiger, natürlicher Rede, wie sie der Augenblick schafft, das Relationen welcher einstellte, jeder¬ mann sagt immer und überall der. Es ist undenkbar, daß jemand bei Tische sagte: die Sorte, welche wir vorhin getrunken haben, oder: wir gehen wieder in dieselbe Sommerfrische, in welcher wir voriges Jahr gewesen sind. In wochenlanger Beobachtung ist es mir nur zweimal vorgekommen, daß jemand als Nelativiim welcher brauchte! Das einemal hörte ichs in einer Ansprache, die ein höherer Beamter hielt. Aber der Mann hat den ganzen Tag Akten zu lesen und Akten zu schreiben, kein Wunder, daß er schließlich auch Akten spricht, und er spricht wirklich Alten. Der andre Fall erschreckte mich etwas: ein schüchterner junger Mann bat mich um ein Buch n»d sing seine Rede an: können Sie mir nicht ein Buch empfehlen, in welchem u. s. w. Als ich mich aber in die Seele des ängstlichen Menschen versetzte, der nutodidaktisch — ans Büchern! — sich nachträglich eine gewisse Bildung angeeignet hat, begriff ich auch dieses welchem. In den stenographischen Berichten über parlamentarische Verhandlungen findet man zwar Relativsätze mit welcher nicht selten; aber darauf gebe ich gar nichts. Diese Berichte werde» redigirt, und wer weiß, wie manches der dabei erst in welcher verwandelt wird! Und dann: Parla¬ mentarier sprechen nicht, wie andre Menschen sprechen, sie sprechen auch, wenn sie um Rednerpulte stehen, anders als im Foyer und im Büffel, sie sprechen nicht bloß für die Zeitung, sie sprechen geradezu Zeitung, manche sprechen überhaupt uicht, sondern sie diktiren gleichsam dem Protokollanten in die Feder, dein Stenographen in den Bleistift. Wenn der Pfarrer auf der Kanzel Relativsätze mit welcher anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt wörtlich aufgeschrieben und auswendig gelernt hat; wer den Ausdruck im Augenblicke schafft, sagt der, nichts andres. Jetzt wußte ich auch, warum in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/429>, abgerufen am 23.07.2024.