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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheite"

sonalpronomen zweimal hintereinander: Handlungen dieser Art suchte die Ge¬
werbeordnung zu unterdrücken, indem sie sie verbot. Etwas Schrecklicheres
ist für die Augen des Papiermenschen natürlich gnr nicht denkbar. Hier muß
es doch unbedingt heiße": indem sie dieselben verbot? Unsinn! Soll man
immer wieder klar machen, daß es eine besondre Papiersprache nicht giebt, daß
das geschriebene Wort nur eine äußere Fixirung des gesprochn"! Wortes
ist, daß also, was gesprochen und gehört nicht mißfällt, auch geschrieben
und gedruckt keinen Anstoß erregen kann? Der abhängige Genitiv endlich
(desselben und derselbe") kann überall dnrch sein und ihr ersetzt werden,
denn daß diese nnr im reflexiveil Sinne gebraucht werden konnten, ist doch
auch wieder nur Schulmeisteraberglnube, Als der Kaiser das Schloß besichtigt
und die Schönheit desselben bewundert hatte -- warum denn nicht: und
seine Schönheit? Die Sammlung von Goethes Gesprächen ist so zeitgemäß,
daß zur Rechtfertigung derselben kein Wort zu verlieren ist -- warum nicht:
zu ihrer Rechtfertigung? Ich gestehe, daß einige Geschäfte dann eingehen
mißten, da die ganze Bedeutung derselben darin beruht n. s. w. -- warum
nicht: da ihre ganze Bedeutung? Bei weitem in den meisten Fällen aber
-- man achte nur darauf und versuche es! -- kann mau diesen schleppenden Genetiv
einfach streichen, ohne daß der Gedanke dadurch auch nur im geringsten an
Klarheit lind Deutlichkeit verlöre. Gregor klagte, daß sie die Kirche zerstört
und das Material derselben zum Bau ihrer Häuser verwendet hätten -- zu
deu Unregelmäßigkeiten in der äußern Anlage unsrer Dörfer kommt nun die
Unregelmäßigkeit im innern Aufbau derselben -- die Erklärung des Partei¬
tages fand so viel Beifall, daß die Führer desselben sich ermutigt sahen --
nachdem die Gäste das Gasthaus verlassen hatten und die Wirtin desselben
die Thüre verschlossen hatte -- man streiche die Genitive: ist irgendwo das
geringste Mißverständnis denkbar?

Und nun das Gegenstück dazu. Auf die Gefahr hiu, vom Leser zunächst
für toll gehalten zu werden, behaupte ich, daß es mit dem Relativpronomen
welcher, welche, welches genan dieselbe Bewaudnis habe, wie mit der¬
selbe, dieselbe, dasselbe: es gehört nur dem Papier- und Tintendeutsch,
nicht der lebendigen Sprache an, es trägt die Hauptschuld mit an der breiten,
schleppenden, langweiligen Ausdrucksweise unsrer heutigen Schriftsprache. Ich
will ganz schlicht und offen erzählen, wie ich zu dieser Einsicht gekommen bin;
ich hoffe, auch den Leser dazu zu bekehren.

Ich unterhielt mich mit einem Philologen von feinem Sprachgefühl über
gewisse Handwerksvvrtelchen, die es in der Kunst des Schreibens so gut wie
in jeder andern Kunst gebe, die man aber eben kennen müsse, wenn man die
Technik wirklich beherrsche"! und kein Pfuscher sein wolle, und von denen doch
viele, ja die meisten heutigen Schriftsteller keine Ahnung hätten. Ich rechnete
dahin unter andern die richtige Abwechslung von der und welcher in Relativsätzen:


Allerhand Sprachdummheite»

sonalpronomen zweimal hintereinander: Handlungen dieser Art suchte die Ge¬
werbeordnung zu unterdrücken, indem sie sie verbot. Etwas Schrecklicheres
ist für die Augen des Papiermenschen natürlich gnr nicht denkbar. Hier muß
es doch unbedingt heiße«: indem sie dieselben verbot? Unsinn! Soll man
immer wieder klar machen, daß es eine besondre Papiersprache nicht giebt, daß
das geschriebene Wort nur eine äußere Fixirung des gesprochn»! Wortes
ist, daß also, was gesprochen und gehört nicht mißfällt, auch geschrieben
und gedruckt keinen Anstoß erregen kann? Der abhängige Genitiv endlich
(desselben und derselbe») kann überall dnrch sein und ihr ersetzt werden,
denn daß diese nnr im reflexiveil Sinne gebraucht werden konnten, ist doch
auch wieder nur Schulmeisteraberglnube, Als der Kaiser das Schloß besichtigt
und die Schönheit desselben bewundert hatte — warum denn nicht: und
seine Schönheit? Die Sammlung von Goethes Gesprächen ist so zeitgemäß,
daß zur Rechtfertigung derselben kein Wort zu verlieren ist — warum nicht:
zu ihrer Rechtfertigung? Ich gestehe, daß einige Geschäfte dann eingehen
mißten, da die ganze Bedeutung derselben darin beruht n. s. w. — warum
nicht: da ihre ganze Bedeutung? Bei weitem in den meisten Fällen aber
— man achte nur darauf und versuche es! — kann mau diesen schleppenden Genetiv
einfach streichen, ohne daß der Gedanke dadurch auch nur im geringsten an
Klarheit lind Deutlichkeit verlöre. Gregor klagte, daß sie die Kirche zerstört
und das Material derselben zum Bau ihrer Häuser verwendet hätten — zu
deu Unregelmäßigkeiten in der äußern Anlage unsrer Dörfer kommt nun die
Unregelmäßigkeit im innern Aufbau derselben — die Erklärung des Partei¬
tages fand so viel Beifall, daß die Führer desselben sich ermutigt sahen —
nachdem die Gäste das Gasthaus verlassen hatten und die Wirtin desselben
die Thüre verschlossen hatte — man streiche die Genitive: ist irgendwo das
geringste Mißverständnis denkbar?

Und nun das Gegenstück dazu. Auf die Gefahr hiu, vom Leser zunächst
für toll gehalten zu werden, behaupte ich, daß es mit dem Relativpronomen
welcher, welche, welches genan dieselbe Bewaudnis habe, wie mit der¬
selbe, dieselbe, dasselbe: es gehört nur dem Papier- und Tintendeutsch,
nicht der lebendigen Sprache an, es trägt die Hauptschuld mit an der breiten,
schleppenden, langweiligen Ausdrucksweise unsrer heutigen Schriftsprache. Ich
will ganz schlicht und offen erzählen, wie ich zu dieser Einsicht gekommen bin;
ich hoffe, auch den Leser dazu zu bekehren.

Ich unterhielt mich mit einem Philologen von feinem Sprachgefühl über
gewisse Handwerksvvrtelchen, die es in der Kunst des Schreibens so gut wie
in jeder andern Kunst gebe, die man aber eben kennen müsse, wenn man die
Technik wirklich beherrsche»! und kein Pfuscher sein wolle, und von denen doch
viele, ja die meisten heutigen Schriftsteller keine Ahnung hätten. Ich rechnete
dahin unter andern die richtige Abwechslung von der und welcher in Relativsätzen:


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[0428] Allerhand Sprachdummheite» sonalpronomen zweimal hintereinander: Handlungen dieser Art suchte die Ge¬ werbeordnung zu unterdrücken, indem sie sie verbot. Etwas Schrecklicheres ist für die Augen des Papiermenschen natürlich gnr nicht denkbar. Hier muß es doch unbedingt heiße«: indem sie dieselben verbot? Unsinn! Soll man immer wieder klar machen, daß es eine besondre Papiersprache nicht giebt, daß das geschriebene Wort nur eine äußere Fixirung des gesprochn»! Wortes ist, daß also, was gesprochen und gehört nicht mißfällt, auch geschrieben und gedruckt keinen Anstoß erregen kann? Der abhängige Genitiv endlich (desselben und derselbe») kann überall dnrch sein und ihr ersetzt werden, denn daß diese nnr im reflexiveil Sinne gebraucht werden konnten, ist doch auch wieder nur Schulmeisteraberglnube, Als der Kaiser das Schloß besichtigt und die Schönheit desselben bewundert hatte — warum denn nicht: und seine Schönheit? Die Sammlung von Goethes Gesprächen ist so zeitgemäß, daß zur Rechtfertigung derselben kein Wort zu verlieren ist — warum nicht: zu ihrer Rechtfertigung? Ich gestehe, daß einige Geschäfte dann eingehen mißten, da die ganze Bedeutung derselben darin beruht n. s. w. — warum nicht: da ihre ganze Bedeutung? Bei weitem in den meisten Fällen aber — man achte nur darauf und versuche es! — kann mau diesen schleppenden Genetiv einfach streichen, ohne daß der Gedanke dadurch auch nur im geringsten an Klarheit lind Deutlichkeit verlöre. Gregor klagte, daß sie die Kirche zerstört und das Material derselben zum Bau ihrer Häuser verwendet hätten — zu deu Unregelmäßigkeiten in der äußern Anlage unsrer Dörfer kommt nun die Unregelmäßigkeit im innern Aufbau derselben — die Erklärung des Partei¬ tages fand so viel Beifall, daß die Führer desselben sich ermutigt sahen — nachdem die Gäste das Gasthaus verlassen hatten und die Wirtin desselben die Thüre verschlossen hatte — man streiche die Genitive: ist irgendwo das geringste Mißverständnis denkbar? Und nun das Gegenstück dazu. Auf die Gefahr hiu, vom Leser zunächst für toll gehalten zu werden, behaupte ich, daß es mit dem Relativpronomen welcher, welche, welches genan dieselbe Bewaudnis habe, wie mit der¬ selbe, dieselbe, dasselbe: es gehört nur dem Papier- und Tintendeutsch, nicht der lebendigen Sprache an, es trägt die Hauptschuld mit an der breiten, schleppenden, langweiligen Ausdrucksweise unsrer heutigen Schriftsprache. Ich will ganz schlicht und offen erzählen, wie ich zu dieser Einsicht gekommen bin; ich hoffe, auch den Leser dazu zu bekehren. Ich unterhielt mich mit einem Philologen von feinem Sprachgefühl über gewisse Handwerksvvrtelchen, die es in der Kunst des Schreibens so gut wie in jeder andern Kunst gebe, die man aber eben kennen müsse, wenn man die Technik wirklich beherrsche»! und kein Pfuscher sein wolle, und von denen doch viele, ja die meisten heutigen Schriftsteller keine Ahnung hätten. Ich rechnete dahin unter andern die richtige Abwechslung von der und welcher in Relativsätzen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/428>, abgerufen am 23.07.2024.