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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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dichterischer Sprache welcher als Relativ ganz unmöglich, ganz unerträglich
ist, ganz so wie derselbe; höchstens scherzhaft, etwa im Biedermeierstile,
könnte es verwendet werden. Jetzt wußte ich, weshalb mir schon als Primaner
das Distichon in "Shakespeares Schatten" von Schiller unangenehm auf¬
gefallen war:


Woher nehmt ihr denn aber das große, gigantische Schicksal,
Welches den Menschen erhebt, wenn es dem Menschen zermalmt?

Ebenso die Strophe aus Tiedges "Urania":


Mir auch war ein Leben aufgegangen,
Welches reichbekränzte Tage bot.

Jetzt sah ich auf einmal, daß der Student Goethe der, die das und der
Geheimrat Goethe welcher, welche, welches geschrieben und -- diktirt hat;
gesprochen wird es auch der achtzigjährige schwerlich haben. Und wenn sie
nun gar in einem Satze unmittelbar neben einander stehen, die beiden entsetz¬
lichen Papierprvuominci: zum Verständnis des Parzival ist es nöthig, die
beiden Sagenkreise, welche demselben zu Grunde liegen, kennen zu lernen --
das erwähnte Statut und die Bulle, welche dasselbe sanktionirt hatte --
bezeichnend für den Geschmack der Direktion und für die Zumuthungen, welche
dieselbe an das Publikum zu stellen wagt -- die farbige Aufnahme des
Fensters verdanken wir dem Herrn E., welcher dasselbe restnurirt hat --
wer in aller Welt spricht so? Aber sowie der Deutsche die Feder in die
Tinte taucht, fährt ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder. In
einem Ehrenbürgerbriefe zu schreiben: Wir ernennen Herrn T. wegen der
großen Verdienste, die er sich um unsre Stadt im allgemeinen erworben
hat u. s. w., das wäre ja im höchsten Grade würdelos, so spricht man wohl,
aber so schreibt man doch nicht! Wir ernennen Herrn T. in Anbetracht der
großen Verdienste, welche derselbe sich um unsre Stadt im allgemeinen --,
das klingt großartig, feierlich, erhaben! Der Kronprinz soll 1859 zu einer
Deputation gesagt haben: Wenn Gott meinen Sohn am Leben erhält, so wird
es unsre schönste Aufgabe fein, denselben in den Gesinnungen und Gefühlen
zu erziehen, welche mich an das Vaterland ketten. Mau kann drauf schwören,
daß er nicht so gesagt hat, sondern: ihn in den Gesinnungen und Gefühlen
zu erziehen, die mich an das Vaterland ketten. Aber der Zeitungsschreiber
muß das natürlich aus dem Menschlichen erst ins Papierne übersetzen.

Es würde der Mühe lohnen, dem Eindringen des langstieligen welcher
in unsre Schriftsprache ebenso geschichtlich nachzugehen, wie es Schrödter mit
derselbe gethan hat. Es wäre das eine dankbare Aufgabe für eine Doktor-
dissertation. Welcher ist ja gar nicht das Relationen zu dem demonstrativen
der -- oder wenn das der Leser besser versteht: derjenige! --, sondern es
ist das Relationen zu solcher: seiner ursprünglichen Bedeutung nach entspricht es


dichterischer Sprache welcher als Relativ ganz unmöglich, ganz unerträglich
ist, ganz so wie derselbe; höchstens scherzhaft, etwa im Biedermeierstile,
könnte es verwendet werden. Jetzt wußte ich, weshalb mir schon als Primaner
das Distichon in „Shakespeares Schatten" von Schiller unangenehm auf¬
gefallen war:


Woher nehmt ihr denn aber das große, gigantische Schicksal,
Welches den Menschen erhebt, wenn es dem Menschen zermalmt?

Ebenso die Strophe aus Tiedges „Urania":


Mir auch war ein Leben aufgegangen,
Welches reichbekränzte Tage bot.

Jetzt sah ich auf einmal, daß der Student Goethe der, die das und der
Geheimrat Goethe welcher, welche, welches geschrieben und — diktirt hat;
gesprochen wird es auch der achtzigjährige schwerlich haben. Und wenn sie
nun gar in einem Satze unmittelbar neben einander stehen, die beiden entsetz¬
lichen Papierprvuominci: zum Verständnis des Parzival ist es nöthig, die
beiden Sagenkreise, welche demselben zu Grunde liegen, kennen zu lernen —
das erwähnte Statut und die Bulle, welche dasselbe sanktionirt hatte —
bezeichnend für den Geschmack der Direktion und für die Zumuthungen, welche
dieselbe an das Publikum zu stellen wagt — die farbige Aufnahme des
Fensters verdanken wir dem Herrn E., welcher dasselbe restnurirt hat —
wer in aller Welt spricht so? Aber sowie der Deutsche die Feder in die
Tinte taucht, fährt ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder. In
einem Ehrenbürgerbriefe zu schreiben: Wir ernennen Herrn T. wegen der
großen Verdienste, die er sich um unsre Stadt im allgemeinen erworben
hat u. s. w., das wäre ja im höchsten Grade würdelos, so spricht man wohl,
aber so schreibt man doch nicht! Wir ernennen Herrn T. in Anbetracht der
großen Verdienste, welche derselbe sich um unsre Stadt im allgemeinen —,
das klingt großartig, feierlich, erhaben! Der Kronprinz soll 1859 zu einer
Deputation gesagt haben: Wenn Gott meinen Sohn am Leben erhält, so wird
es unsre schönste Aufgabe fein, denselben in den Gesinnungen und Gefühlen
zu erziehen, welche mich an das Vaterland ketten. Mau kann drauf schwören,
daß er nicht so gesagt hat, sondern: ihn in den Gesinnungen und Gefühlen
zu erziehen, die mich an das Vaterland ketten. Aber der Zeitungsschreiber
muß das natürlich aus dem Menschlichen erst ins Papierne übersetzen.

Es würde der Mühe lohnen, dem Eindringen des langstieligen welcher
in unsre Schriftsprache ebenso geschichtlich nachzugehen, wie es Schrödter mit
derselbe gethan hat. Es wäre das eine dankbare Aufgabe für eine Doktor-
dissertation. Welcher ist ja gar nicht das Relationen zu dem demonstrativen
der — oder wenn das der Leser besser versteht: derjenige! —, sondern es
ist das Relationen zu solcher: seiner ursprünglichen Bedeutung nach entspricht es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/430>, abgerufen am 03.07.2024.