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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

Zuzugeben ist, daß die Zahl der Kandidaten, die in Preußen wahrend
der letzten fünf Jahre durchschnittlich 528 betrug, zu groß ist, als daß sie an
den Universitätsseminaren allein bewältigt werden könnte. Nehmen nur an,
daß in einem solchen Seminar jährlich 15 Kandidaten beschäftigt werden, so
würden jährlich auf den neun preußische" Universitäten 135 Kandidaten aus¬
gebildet werden. Wo nun die übrigen? Diese weise man den Gymnasialsemi¬
naren zu, deren Einrichtung wir jn keineswegs bekämpfen wollen.

Wir wollten nur zeigen, wie wünschenswert es sei, daß man eine An¬
gelegenheit von so tiefgreifender Bedeutung für das gesamte Volksleben deu
Zentralstellen geistiger Arbeit angliedere. Es kann gewiß nur zum Schaden
der Volksentwicklung geschehen, wenn ein so wichtiges Gebiet, wie es die Wissen¬
schaft der Erziehung ist, von der lebendigen Kraft der Universität abgelöst wird,
während doch alle hauptsächlichen Seiten unsrer nationalen Kultur dort ein¬
gehende Pflege finden. Also mit der Einrichtung der Gymnasialseminare möge
man zugleich noch etwas andres ins Auge fassen: 1. die Errichtung selbstän¬
diger Professuren für Pädagogik, 2. die Einrichtung pädagogischer Seminare
um den preußischen Universitäten. Hierzu drängt auch der Gedanke, daß das
Schablonisiren kaum einem Gebiete so gefährlich werden kann, wie dem des
Schulwesens, wenn man Wert darauf legt, daß ein frischer, kräftiger und
selbständiger Geist darin wehe. Eine einsichtige Schulverwaltung wird aber
hierauf Wert legen, weil von der Stärke dieses lebendigen Geistes, der in den
verschiedenen Schulorgmiismen waltet, das Gedeihen und der Erfolg der Jugend¬
erziehung abhängt. Wo dieser Geist erstorben ist, da wird man vergeblich auf
Mi frisches, starkes, regsames, arbeitsfrohes und arbeitsdurstiges Geschlecht
warten, dessen wir doch so sehr bedürfen. Daß aber die Pflege eines so leben¬
digen Geistes am besten da gedeiht, wo die Freiheit der Wissenschaft blüht,
wer wollte dies bezweifeln? Wer sollte es nicht für höchst wünschenswert
halten, daß neben der Einrichtung von Gymnasialseminaren Institute an den
Universitäten erstehen, die im Schutze der Freiheit der Wissenschaft Mittelpunkte
sür die Pflege einer wissenschaftlichen Pädagogik werden können, von denen die
Gymnasialseminare, wo die Staatspädagvgik in erster Linie zu ihrem Rechte
kommt, immer die wirksamste Befruchtung und Anregung erhalten werden?

Ein weiterer Vorzug wird auch in folgendem liegen. Bekanntlich ist die
Kraft und die Wirksamkeit einer Persönlichkeit um so großer, je geschlossener,
fester und einheitlicher sie in ihren Überzeugungen ist. Ans die Persönlichkeit
des Erziehers angewendet, heißt das nichts andres, als daß dieser in seinen
ethischen und psychologischen Ansichten mit ihren pädagogischen Konsequenzen
M einer einheitlichen Anschauung durchdringe, die seinem Handeln die nötige
Festigkeit und Sicherheit verleiht. Es dürfte nun Wohl unbestritten sein, daß
"el einer Einrichtung, die die Erwerbung der theoretischen Grundlagen (Ethik,
Psychologie nud theoretische Pädagogik) der Universität, die Aneignung der


Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

Zuzugeben ist, daß die Zahl der Kandidaten, die in Preußen wahrend
der letzten fünf Jahre durchschnittlich 528 betrug, zu groß ist, als daß sie an
den Universitätsseminaren allein bewältigt werden könnte. Nehmen nur an,
daß in einem solchen Seminar jährlich 15 Kandidaten beschäftigt werden, so
würden jährlich auf den neun preußische« Universitäten 135 Kandidaten aus¬
gebildet werden. Wo nun die übrigen? Diese weise man den Gymnasialsemi¬
naren zu, deren Einrichtung wir jn keineswegs bekämpfen wollen.

Wir wollten nur zeigen, wie wünschenswert es sei, daß man eine An¬
gelegenheit von so tiefgreifender Bedeutung für das gesamte Volksleben deu
Zentralstellen geistiger Arbeit angliedere. Es kann gewiß nur zum Schaden
der Volksentwicklung geschehen, wenn ein so wichtiges Gebiet, wie es die Wissen¬
schaft der Erziehung ist, von der lebendigen Kraft der Universität abgelöst wird,
während doch alle hauptsächlichen Seiten unsrer nationalen Kultur dort ein¬
gehende Pflege finden. Also mit der Einrichtung der Gymnasialseminare möge
man zugleich noch etwas andres ins Auge fassen: 1. die Errichtung selbstän¬
diger Professuren für Pädagogik, 2. die Einrichtung pädagogischer Seminare
um den preußischen Universitäten. Hierzu drängt auch der Gedanke, daß das
Schablonisiren kaum einem Gebiete so gefährlich werden kann, wie dem des
Schulwesens, wenn man Wert darauf legt, daß ein frischer, kräftiger und
selbständiger Geist darin wehe. Eine einsichtige Schulverwaltung wird aber
hierauf Wert legen, weil von der Stärke dieses lebendigen Geistes, der in den
verschiedenen Schulorgmiismen waltet, das Gedeihen und der Erfolg der Jugend¬
erziehung abhängt. Wo dieser Geist erstorben ist, da wird man vergeblich auf
Mi frisches, starkes, regsames, arbeitsfrohes und arbeitsdurstiges Geschlecht
warten, dessen wir doch so sehr bedürfen. Daß aber die Pflege eines so leben¬
digen Geistes am besten da gedeiht, wo die Freiheit der Wissenschaft blüht,
wer wollte dies bezweifeln? Wer sollte es nicht für höchst wünschenswert
halten, daß neben der Einrichtung von Gymnasialseminaren Institute an den
Universitäten erstehen, die im Schutze der Freiheit der Wissenschaft Mittelpunkte
sür die Pflege einer wissenschaftlichen Pädagogik werden können, von denen die
Gymnasialseminare, wo die Staatspädagvgik in erster Linie zu ihrem Rechte
kommt, immer die wirksamste Befruchtung und Anregung erhalten werden?

Ein weiterer Vorzug wird auch in folgendem liegen. Bekanntlich ist die
Kraft und die Wirksamkeit einer Persönlichkeit um so großer, je geschlossener,
fester und einheitlicher sie in ihren Überzeugungen ist. Ans die Persönlichkeit
des Erziehers angewendet, heißt das nichts andres, als daß dieser in seinen
ethischen und psychologischen Ansichten mit ihren pädagogischen Konsequenzen
M einer einheitlichen Anschauung durchdringe, die seinem Handeln die nötige
Festigkeit und Sicherheit verleiht. Es dürfte nun Wohl unbestritten sein, daß
"el einer Einrichtung, die die Erwerbung der theoretischen Grundlagen (Ethik,
Psychologie nud theoretische Pädagogik) der Universität, die Aneignung der


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[0373] Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen Zuzugeben ist, daß die Zahl der Kandidaten, die in Preußen wahrend der letzten fünf Jahre durchschnittlich 528 betrug, zu groß ist, als daß sie an den Universitätsseminaren allein bewältigt werden könnte. Nehmen nur an, daß in einem solchen Seminar jährlich 15 Kandidaten beschäftigt werden, so würden jährlich auf den neun preußische« Universitäten 135 Kandidaten aus¬ gebildet werden. Wo nun die übrigen? Diese weise man den Gymnasialsemi¬ naren zu, deren Einrichtung wir jn keineswegs bekämpfen wollen. Wir wollten nur zeigen, wie wünschenswert es sei, daß man eine An¬ gelegenheit von so tiefgreifender Bedeutung für das gesamte Volksleben deu Zentralstellen geistiger Arbeit angliedere. Es kann gewiß nur zum Schaden der Volksentwicklung geschehen, wenn ein so wichtiges Gebiet, wie es die Wissen¬ schaft der Erziehung ist, von der lebendigen Kraft der Universität abgelöst wird, während doch alle hauptsächlichen Seiten unsrer nationalen Kultur dort ein¬ gehende Pflege finden. Also mit der Einrichtung der Gymnasialseminare möge man zugleich noch etwas andres ins Auge fassen: 1. die Errichtung selbstän¬ diger Professuren für Pädagogik, 2. die Einrichtung pädagogischer Seminare um den preußischen Universitäten. Hierzu drängt auch der Gedanke, daß das Schablonisiren kaum einem Gebiete so gefährlich werden kann, wie dem des Schulwesens, wenn man Wert darauf legt, daß ein frischer, kräftiger und selbständiger Geist darin wehe. Eine einsichtige Schulverwaltung wird aber hierauf Wert legen, weil von der Stärke dieses lebendigen Geistes, der in den verschiedenen Schulorgmiismen waltet, das Gedeihen und der Erfolg der Jugend¬ erziehung abhängt. Wo dieser Geist erstorben ist, da wird man vergeblich auf Mi frisches, starkes, regsames, arbeitsfrohes und arbeitsdurstiges Geschlecht warten, dessen wir doch so sehr bedürfen. Daß aber die Pflege eines so leben¬ digen Geistes am besten da gedeiht, wo die Freiheit der Wissenschaft blüht, wer wollte dies bezweifeln? Wer sollte es nicht für höchst wünschenswert halten, daß neben der Einrichtung von Gymnasialseminaren Institute an den Universitäten erstehen, die im Schutze der Freiheit der Wissenschaft Mittelpunkte sür die Pflege einer wissenschaftlichen Pädagogik werden können, von denen die Gymnasialseminare, wo die Staatspädagvgik in erster Linie zu ihrem Rechte kommt, immer die wirksamste Befruchtung und Anregung erhalten werden? Ein weiterer Vorzug wird auch in folgendem liegen. Bekanntlich ist die Kraft und die Wirksamkeit einer Persönlichkeit um so großer, je geschlossener, fester und einheitlicher sie in ihren Überzeugungen ist. Ans die Persönlichkeit des Erziehers angewendet, heißt das nichts andres, als daß dieser in seinen ethischen und psychologischen Ansichten mit ihren pädagogischen Konsequenzen M einer einheitlichen Anschauung durchdringe, die seinem Handeln die nötige Festigkeit und Sicherheit verleiht. Es dürfte nun Wohl unbestritten sein, daß "el einer Einrichtung, die die Erwerbung der theoretischen Grundlagen (Ethik, Psychologie nud theoretische Pädagogik) der Universität, die Aneignung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/373>, abgerufen am 23.07.2024.