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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ausbildung für das Lehramt an deu höhern Schulen

Gymnasialseminar. Der Kursus soll auch ein Jahr umfassen als Vor¬
bereitung für das nachfolgende Probejahr. Vorausgesetzt wird bei beiden,
daß die jungen Leute die Hilfswissenschaften der Pädagogik, Ethik und Psycho¬
logie, und in Verbindung hiermit Pädagogik und Didaktik gehört haben. Die
Strebsamern unter den Philologen werden auch schon als Hospitanten an den
Versammlungen des Universitätsseminars während der letzten Semester teil¬
nehmen, ohne ihre Kräfte damit zu zersplittern.

2. Es sei schwer, in dem Kreise der akademischen Lehrer geeignete Leiter
zu finden, da die Vertretung der wissenschaftlichen Pädagogik an den Univer¬
sitäten nur vereinzelt in den Händen von Männern liegen könne, die zugleich
die nötigen Erfahrungen ans dem Schulgebiete besäßen, um auch hier vorbildlich
zu wirken. In dem Kreise der akademischen Lehrer -- dies sei zugegeben.
Aber ist man denn auf diesen Kreis beschränkt? Man schaffe nur selbständige
Lehrstühle für die wisfeuschnftliche Pädagogik und greife in den Kreis der
praktischen Schulmänner hinein, die zugleich im Zusammenhange mit den ethischen
und psychologischen Forschungen geblieben sind. Man wird die nötige Zahl
bald finden. So lange freilich die wissenschaftliche Pädagogik an den preußischen
Universitäten nur als Nebensache augesehen und gelesen wird, so lange ist nach
dieser Seite hin nichts zu hoffen. Werden aber die Gymunsialseminnre ein¬
gerichtet, so wird sich über kurz oder lang das dringende Bedürfnis nach
selbständigen pädagogischen Professuren an der Universität geltend machen.
Möge man beizeiten diesem Bedürfnis entgegenkommen, sonst liegt die Gefahr
nahe, daß die Gymnasialseminare zu bloßen Dressnranstnlten heruntersinken,
die bestimmte Rezepte in den einzelnen Unterrichtsfächern überliefern, aber eine
tiefere, ideale Erfassung des Lehrerberufes nicht herbeiführen.

3. Noch schwerer soll es fallen, die unentbehrlichen Übungsschnlen zu
beschaffen. Dem widerspricht eine mehr als vierzigjährige Erfahrung an der
Universität zu Jena und eine etwa zwanzigjährige an der Universität zu Leipzig.
Warum sollte, was an diesen beiden Universitäten möglich war und ist, nicht
auch an andern Universitäten zu erreichen sein? Man muß nur auf den
Gedanken verzichten, vollständige Schulorganismen den Universitätsseminaren
beizugeben. Es genügen für die Zwecke des pädagogischen Universitätsseminars
wenige Jahrgänge oder wenige Klassen. Den Schulorganismus in seinem ge¬
samten Betriebe lernt ja der Probekandidat kennen; das Universitätssemiiiar
soll ihn nur dazu befähigen, daß er nicht unvorbereitet eintritt, dafür sorgen,
daß er pädagogisch denken und fühlen gelernt, daß er ein offenes Auge und
ein reges Interesse für pädagogische Fragen, echte nachhaltige Begeisterung für
seinen Beruf und wahre Liebe zur Jugend eingesogen hat. Dann geht alles
leicht, und unsre Gymnasien werden, wenn sie solche von echtem pädagogischen
Geiste durchdrungene Lehrer erhalten, in der Schätzung und Achtung der Mit¬
bürger wieder steigen.


Die Ausbildung für das Lehramt an deu höhern Schulen

Gymnasialseminar. Der Kursus soll auch ein Jahr umfassen als Vor¬
bereitung für das nachfolgende Probejahr. Vorausgesetzt wird bei beiden,
daß die jungen Leute die Hilfswissenschaften der Pädagogik, Ethik und Psycho¬
logie, und in Verbindung hiermit Pädagogik und Didaktik gehört haben. Die
Strebsamern unter den Philologen werden auch schon als Hospitanten an den
Versammlungen des Universitätsseminars während der letzten Semester teil¬
nehmen, ohne ihre Kräfte damit zu zersplittern.

2. Es sei schwer, in dem Kreise der akademischen Lehrer geeignete Leiter
zu finden, da die Vertretung der wissenschaftlichen Pädagogik an den Univer¬
sitäten nur vereinzelt in den Händen von Männern liegen könne, die zugleich
die nötigen Erfahrungen ans dem Schulgebiete besäßen, um auch hier vorbildlich
zu wirken. In dem Kreise der akademischen Lehrer — dies sei zugegeben.
Aber ist man denn auf diesen Kreis beschränkt? Man schaffe nur selbständige
Lehrstühle für die wisfeuschnftliche Pädagogik und greife in den Kreis der
praktischen Schulmänner hinein, die zugleich im Zusammenhange mit den ethischen
und psychologischen Forschungen geblieben sind. Man wird die nötige Zahl
bald finden. So lange freilich die wissenschaftliche Pädagogik an den preußischen
Universitäten nur als Nebensache augesehen und gelesen wird, so lange ist nach
dieser Seite hin nichts zu hoffen. Werden aber die Gymunsialseminnre ein¬
gerichtet, so wird sich über kurz oder lang das dringende Bedürfnis nach
selbständigen pädagogischen Professuren an der Universität geltend machen.
Möge man beizeiten diesem Bedürfnis entgegenkommen, sonst liegt die Gefahr
nahe, daß die Gymnasialseminare zu bloßen Dressnranstnlten heruntersinken,
die bestimmte Rezepte in den einzelnen Unterrichtsfächern überliefern, aber eine
tiefere, ideale Erfassung des Lehrerberufes nicht herbeiführen.

3. Noch schwerer soll es fallen, die unentbehrlichen Übungsschnlen zu
beschaffen. Dem widerspricht eine mehr als vierzigjährige Erfahrung an der
Universität zu Jena und eine etwa zwanzigjährige an der Universität zu Leipzig.
Warum sollte, was an diesen beiden Universitäten möglich war und ist, nicht
auch an andern Universitäten zu erreichen sein? Man muß nur auf den
Gedanken verzichten, vollständige Schulorganismen den Universitätsseminaren
beizugeben. Es genügen für die Zwecke des pädagogischen Universitätsseminars
wenige Jahrgänge oder wenige Klassen. Den Schulorganismus in seinem ge¬
samten Betriebe lernt ja der Probekandidat kennen; das Universitätssemiiiar
soll ihn nur dazu befähigen, daß er nicht unvorbereitet eintritt, dafür sorgen,
daß er pädagogisch denken und fühlen gelernt, daß er ein offenes Auge und
ein reges Interesse für pädagogische Fragen, echte nachhaltige Begeisterung für
seinen Beruf und wahre Liebe zur Jugend eingesogen hat. Dann geht alles
leicht, und unsre Gymnasien werden, wenn sie solche von echtem pädagogischen
Geiste durchdrungene Lehrer erhalten, in der Schätzung und Achtung der Mit¬
bürger wieder steigen.


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[0372] Die Ausbildung für das Lehramt an deu höhern Schulen Gymnasialseminar. Der Kursus soll auch ein Jahr umfassen als Vor¬ bereitung für das nachfolgende Probejahr. Vorausgesetzt wird bei beiden, daß die jungen Leute die Hilfswissenschaften der Pädagogik, Ethik und Psycho¬ logie, und in Verbindung hiermit Pädagogik und Didaktik gehört haben. Die Strebsamern unter den Philologen werden auch schon als Hospitanten an den Versammlungen des Universitätsseminars während der letzten Semester teil¬ nehmen, ohne ihre Kräfte damit zu zersplittern. 2. Es sei schwer, in dem Kreise der akademischen Lehrer geeignete Leiter zu finden, da die Vertretung der wissenschaftlichen Pädagogik an den Univer¬ sitäten nur vereinzelt in den Händen von Männern liegen könne, die zugleich die nötigen Erfahrungen ans dem Schulgebiete besäßen, um auch hier vorbildlich zu wirken. In dem Kreise der akademischen Lehrer — dies sei zugegeben. Aber ist man denn auf diesen Kreis beschränkt? Man schaffe nur selbständige Lehrstühle für die wisfeuschnftliche Pädagogik und greife in den Kreis der praktischen Schulmänner hinein, die zugleich im Zusammenhange mit den ethischen und psychologischen Forschungen geblieben sind. Man wird die nötige Zahl bald finden. So lange freilich die wissenschaftliche Pädagogik an den preußischen Universitäten nur als Nebensache augesehen und gelesen wird, so lange ist nach dieser Seite hin nichts zu hoffen. Werden aber die Gymunsialseminnre ein¬ gerichtet, so wird sich über kurz oder lang das dringende Bedürfnis nach selbständigen pädagogischen Professuren an der Universität geltend machen. Möge man beizeiten diesem Bedürfnis entgegenkommen, sonst liegt die Gefahr nahe, daß die Gymnasialseminare zu bloßen Dressnranstnlten heruntersinken, die bestimmte Rezepte in den einzelnen Unterrichtsfächern überliefern, aber eine tiefere, ideale Erfassung des Lehrerberufes nicht herbeiführen. 3. Noch schwerer soll es fallen, die unentbehrlichen Übungsschnlen zu beschaffen. Dem widerspricht eine mehr als vierzigjährige Erfahrung an der Universität zu Jena und eine etwa zwanzigjährige an der Universität zu Leipzig. Warum sollte, was an diesen beiden Universitäten möglich war und ist, nicht auch an andern Universitäten zu erreichen sein? Man muß nur auf den Gedanken verzichten, vollständige Schulorganismen den Universitätsseminaren beizugeben. Es genügen für die Zwecke des pädagogischen Universitätsseminars wenige Jahrgänge oder wenige Klassen. Den Schulorganismus in seinem ge¬ samten Betriebe lernt ja der Probekandidat kennen; das Universitätssemiiiar soll ihn nur dazu befähigen, daß er nicht unvorbereitet eintritt, dafür sorgen, daß er pädagogisch denken und fühlen gelernt, daß er ein offenes Auge und ein reges Interesse für pädagogische Fragen, echte nachhaltige Begeisterung für seinen Beruf und wahre Liebe zur Jugend eingesogen hat. Dann geht alles leicht, und unsre Gymnasien werden, wenn sie solche von echtem pädagogischen Geiste durchdrungene Lehrer erhalten, in der Schätzung und Achtung der Mit¬ bürger wieder steigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/372>, abgerufen am 23.07.2024.