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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

man auch ganz verkehrt behandelt wird. Und doch ist anerkanntermaßen die
Pädagogik genau so wie die Medizin Wissenschaft und Kunst. Beide, Theorie
und Praxis, müssen sich gegenseitig durchdringen. Die Theorie allein genügt
nicht, denn von ihrer Erkenntnis bis zu ihrer Umsetzung in die Praxis ist ein
weiter Weg. Sie bleibt ganz unfruchtbar, wenn nicht der Weg in die Praxis
hinein gesucht und gefunden wird. Die Praxis aber, getrennt von der Theorie
als ihrem geistigen Nährboden, führt alsbald zu geistloser Mache und Manier.
Was also vou einer Einrichtung zu halten ist, die diese gesunde Ehe zerreißt
oder ihr schwere Hindernisse in den Weg legt, kann sich jeder Einsichtige leicht
selbst sagen.

Es wird ferner in der Denkschrift hervorgehoben, daß die formal einheit¬
liche methodische Schulung, die für die Volksschullehrer erfordert wird, nicht
in gleichem Maße für wissenschaftlich gebildete Männer nötig oder auch nur
in allen Fällen wünschenswert sei. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall.
Denn worauf in aller Welt beruht die einheitliche methodische Schulung?
Allein ans der Psychologie. Es ist ja ohne weiteres klar, daß alle Erziehungs¬
und Unterrichtsmnßregeln nur dann begründet sind und einigermaßen gelingen
können, wenn sie sich auf eingehende Kenntnis der Gesetze stütze", nach denen
der jugendliche Geist thätig zu sein Pflegt. Die formal methodische Schulung
ist ohne eindringende psychologische Unterweisung undenkbar, wenn mau nicht
unter ihr eine Überlieferung bestimmter Unterrichtsrezepte versteht, nach denen
>n den einzelnen Fächern schablonenmäßig zu verfahren ist. Eine derartige
Schulung will man doch wohl nicht der "freien Entwicklung der wissenschaft¬
lichen Lehrerpersönlichkeit" zumuten, da ja die Volksschullehrer in ihren Semi¬
naren mit psychologischen Studien beschäftigt werden zur tiefern Erfassung
ihres Erzieherbernfes. Also sollte vielmehr von den Kandidaten des höhern
Schulamts, "von den wissenschaftlich gebildeten Männern" mit ihrer längern
Bildungszeit und ihren vielfältigen Bildungsmitteln, eine weit intensivere
formal methodische Schulung verlangt werden, als vou den Volksschnllehrern.
Ob aber diese praktische Nvrmalvorbereitung in "großen" oder in "kleinen"
Seminaren vorgenommen wird, dürfte der "deutscheu Auffassung" ziemlich
gleichgiltig sein.

Nun sollen aber noch verschiedne äußere Umstände vorhanden sein, die
den Vorschlag unannehmbar erscheinen lassen. 1. Durch die Verbindung der
pädagogischen Seminare mit den Universitäten werde die unumgänglich not¬
wendige wissenschaftliche Vorbereitung der Kandidaten, für die schon vier Jahre
"icht ausreichen, beeinträchtigt und ihre Kräfte würden zersplittert werden.

Darauf ist zu erwidern, daß vier Jahre Vorbereitung auf das Ober-
^hrcrexamen genügen können und in der Regel anch genügen, und daß der
Eintritt in das pädagogische Universitätsseminar ebenfalls erst nach abge¬
legter Prüfung erfolgen soll, genau so wie der Eintritt in das pädagogische


Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen

man auch ganz verkehrt behandelt wird. Und doch ist anerkanntermaßen die
Pädagogik genau so wie die Medizin Wissenschaft und Kunst. Beide, Theorie
und Praxis, müssen sich gegenseitig durchdringen. Die Theorie allein genügt
nicht, denn von ihrer Erkenntnis bis zu ihrer Umsetzung in die Praxis ist ein
weiter Weg. Sie bleibt ganz unfruchtbar, wenn nicht der Weg in die Praxis
hinein gesucht und gefunden wird. Die Praxis aber, getrennt von der Theorie
als ihrem geistigen Nährboden, führt alsbald zu geistloser Mache und Manier.
Was also vou einer Einrichtung zu halten ist, die diese gesunde Ehe zerreißt
oder ihr schwere Hindernisse in den Weg legt, kann sich jeder Einsichtige leicht
selbst sagen.

Es wird ferner in der Denkschrift hervorgehoben, daß die formal einheit¬
liche methodische Schulung, die für die Volksschullehrer erfordert wird, nicht
in gleichem Maße für wissenschaftlich gebildete Männer nötig oder auch nur
in allen Fällen wünschenswert sei. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall.
Denn worauf in aller Welt beruht die einheitliche methodische Schulung?
Allein ans der Psychologie. Es ist ja ohne weiteres klar, daß alle Erziehungs¬
und Unterrichtsmnßregeln nur dann begründet sind und einigermaßen gelingen
können, wenn sie sich auf eingehende Kenntnis der Gesetze stütze», nach denen
der jugendliche Geist thätig zu sein Pflegt. Die formal methodische Schulung
ist ohne eindringende psychologische Unterweisung undenkbar, wenn mau nicht
unter ihr eine Überlieferung bestimmter Unterrichtsrezepte versteht, nach denen
>n den einzelnen Fächern schablonenmäßig zu verfahren ist. Eine derartige
Schulung will man doch wohl nicht der „freien Entwicklung der wissenschaft¬
lichen Lehrerpersönlichkeit" zumuten, da ja die Volksschullehrer in ihren Semi¬
naren mit psychologischen Studien beschäftigt werden zur tiefern Erfassung
ihres Erzieherbernfes. Also sollte vielmehr von den Kandidaten des höhern
Schulamts, „von den wissenschaftlich gebildeten Männern" mit ihrer längern
Bildungszeit und ihren vielfältigen Bildungsmitteln, eine weit intensivere
formal methodische Schulung verlangt werden, als vou den Volksschnllehrern.
Ob aber diese praktische Nvrmalvorbereitung in „großen" oder in „kleinen"
Seminaren vorgenommen wird, dürfte der „deutscheu Auffassung" ziemlich
gleichgiltig sein.

Nun sollen aber noch verschiedne äußere Umstände vorhanden sein, die
den Vorschlag unannehmbar erscheinen lassen. 1. Durch die Verbindung der
pädagogischen Seminare mit den Universitäten werde die unumgänglich not¬
wendige wissenschaftliche Vorbereitung der Kandidaten, für die schon vier Jahre
"icht ausreichen, beeinträchtigt und ihre Kräfte würden zersplittert werden.

Darauf ist zu erwidern, daß vier Jahre Vorbereitung auf das Ober-
^hrcrexamen genügen können und in der Regel anch genügen, und daß der
Eintritt in das pädagogische Universitätsseminar ebenfalls erst nach abge¬
legter Prüfung erfolgen soll, genau so wie der Eintritt in das pädagogische


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[0371] Die Ausbildung für das Lehramt an den höhern Schulen man auch ganz verkehrt behandelt wird. Und doch ist anerkanntermaßen die Pädagogik genau so wie die Medizin Wissenschaft und Kunst. Beide, Theorie und Praxis, müssen sich gegenseitig durchdringen. Die Theorie allein genügt nicht, denn von ihrer Erkenntnis bis zu ihrer Umsetzung in die Praxis ist ein weiter Weg. Sie bleibt ganz unfruchtbar, wenn nicht der Weg in die Praxis hinein gesucht und gefunden wird. Die Praxis aber, getrennt von der Theorie als ihrem geistigen Nährboden, führt alsbald zu geistloser Mache und Manier. Was also vou einer Einrichtung zu halten ist, die diese gesunde Ehe zerreißt oder ihr schwere Hindernisse in den Weg legt, kann sich jeder Einsichtige leicht selbst sagen. Es wird ferner in der Denkschrift hervorgehoben, daß die formal einheit¬ liche methodische Schulung, die für die Volksschullehrer erfordert wird, nicht in gleichem Maße für wissenschaftlich gebildete Männer nötig oder auch nur in allen Fällen wünschenswert sei. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Denn worauf in aller Welt beruht die einheitliche methodische Schulung? Allein ans der Psychologie. Es ist ja ohne weiteres klar, daß alle Erziehungs¬ und Unterrichtsmnßregeln nur dann begründet sind und einigermaßen gelingen können, wenn sie sich auf eingehende Kenntnis der Gesetze stütze», nach denen der jugendliche Geist thätig zu sein Pflegt. Die formal methodische Schulung ist ohne eindringende psychologische Unterweisung undenkbar, wenn mau nicht unter ihr eine Überlieferung bestimmter Unterrichtsrezepte versteht, nach denen >n den einzelnen Fächern schablonenmäßig zu verfahren ist. Eine derartige Schulung will man doch wohl nicht der „freien Entwicklung der wissenschaft¬ lichen Lehrerpersönlichkeit" zumuten, da ja die Volksschullehrer in ihren Semi¬ naren mit psychologischen Studien beschäftigt werden zur tiefern Erfassung ihres Erzieherbernfes. Also sollte vielmehr von den Kandidaten des höhern Schulamts, „von den wissenschaftlich gebildeten Männern" mit ihrer längern Bildungszeit und ihren vielfältigen Bildungsmitteln, eine weit intensivere formal methodische Schulung verlangt werden, als vou den Volksschnllehrern. Ob aber diese praktische Nvrmalvorbereitung in „großen" oder in „kleinen" Seminaren vorgenommen wird, dürfte der „deutscheu Auffassung" ziemlich gleichgiltig sein. Nun sollen aber noch verschiedne äußere Umstände vorhanden sein, die den Vorschlag unannehmbar erscheinen lassen. 1. Durch die Verbindung der pädagogischen Seminare mit den Universitäten werde die unumgänglich not¬ wendige wissenschaftliche Vorbereitung der Kandidaten, für die schon vier Jahre "icht ausreichen, beeinträchtigt und ihre Kräfte würden zersplittert werden. Darauf ist zu erwidern, daß vier Jahre Vorbereitung auf das Ober- ^hrcrexamen genügen können und in der Regel anch genügen, und daß der Eintritt in das pädagogische Universitätsseminar ebenfalls erst nach abge¬ legter Prüfung erfolgen soll, genau so wie der Eintritt in das pädagogische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/371>, abgerufen am 23.07.2024.