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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdnminheilen

Die kleinen Pfennignvtizen der Lokalreporter fangen gewöhnlich gleich damit an,
und wenn dies nicht der Fall ist, dann stehts gewiß auf der zweiten oder
dritten Zeile. Ein Reporter ist nicht imstande, eine Notiz von fünf Zeilen
abzufassen ohne seitens. Da er völlig unfähig ist, einen Vorgang, ein Er¬
eignis im Aktivum mitzuteilen, da er alles im Passionen erzählt, sodaß das
Objekt zum Subjekt wird und das Subjekt zum äußerlichen Agens, von beim
Passionen ihm aber gänzlich unbekannt geworden ist, so kann er thatsächlich
nicht die kleinste Mitteilung mehr machen ohne seitens. Die Regierung, der
Bundesrat, das Ministerium, der Magistrat, die Pvlizeidirektion, das Stadt¬
verordnetenkollegium -- sie alle thun nichts mehr, sondern alles wird gethan,
alles geschieht seitens der Regierung, seitens des Bundesrath, seitens des
Ministeriums, seitens des Magistrats, seitens der Polizeidirektion u. s. f.
Es giebt Zeitungsspakten, worin man das Wort zwanzigmnl finden kann, es
wird einem ganz schlimm und übel dabei. Auch der Theaterkritiker schreibt:
Es liegt darin etwas Verletzendes, auch wenn solches weder seitens des
Dichters, noch seitens der Darsteller beabsichtigt sein sollte; das Stück
wurde seitens des Publikums einstimmig abgelehnt. Für den garstigen
Gleichklang, der entsteht, wenn hinter seitens um immer wieder Genetive
ans --s kommen, für dieses unaufhörliche Gezisch haben die Menschen wieder
kein Ohr. Wenn ja einmal abgewechselt werden soll, auf das einfache und
vernünftige von oder gar auf das Aktivum verfällt der Zeitungsschreiber ganz
gewiß nicht; dann schreibt er: englischerseits, päpstlicherseits, mini-
steriellerseits, regierungsseitig (!)> Einzelne Tierärzte machen darauf
aufmerksam -- die Gegner der Juden behaupten -- pfui, wie simpel! Der
Zeitungsschreiber sagt: Tierürztlicherseits wird darauf aufmerksam gemacht --
antisemitischerseits wird behauptet. Das klingt doch nach was!

Damit ist aber der Wirkungskreis dieses herrlichen Wortes noch lange
nicht erschöpft; das Tollste kommt noch. Das schöne seitens wird nämlich
nicht nUr mit Verden, sondern auch mit Substantiven verbunden. Da schreibt
man: die Beitrüge zur Unfallversicherung seitens der Arbeitshcrreu -- die
Vorführung eines Spritzenzuges seitens des Branddirektors -- die Über¬
gänge der Parese seitens der Nordarmee -- die allgemeine Benutzung der
Lebensversicherung seitens der ärmern Bevölkerungsklassen -- die Besitznahme
dieses Küstengebietes am Mittelmeere seitens der Franzosen -- der schädigende
Einfluß der Verletzung der Glaubenspflichten seitens eines Kirchenmitgliedes --
das Dementi der Nachricht von der Audienz des Herrn von Helldorff beim
Kaiser seitens der Konservativen Korrespondenz -- Zeitungen wie neue Bücher
sind jetzt voll von solchen greulichen Verbindungen! Ja, wie soll man sie
denn aber vermeiden? In allen diesen Beispielen ist doch ohne seitens garnicht
auszukommen, nicht wahr? Wie sind denn unsre Vorfahren ohne das herrliche
Wort ausgekommen? Nun, entweder durch vernünftige Wortstellung: die Bei-


Allerhand Sprachdnminheilen

Die kleinen Pfennignvtizen der Lokalreporter fangen gewöhnlich gleich damit an,
und wenn dies nicht der Fall ist, dann stehts gewiß auf der zweiten oder
dritten Zeile. Ein Reporter ist nicht imstande, eine Notiz von fünf Zeilen
abzufassen ohne seitens. Da er völlig unfähig ist, einen Vorgang, ein Er¬
eignis im Aktivum mitzuteilen, da er alles im Passionen erzählt, sodaß das
Objekt zum Subjekt wird und das Subjekt zum äußerlichen Agens, von beim
Passionen ihm aber gänzlich unbekannt geworden ist, so kann er thatsächlich
nicht die kleinste Mitteilung mehr machen ohne seitens. Die Regierung, der
Bundesrat, das Ministerium, der Magistrat, die Pvlizeidirektion, das Stadt¬
verordnetenkollegium — sie alle thun nichts mehr, sondern alles wird gethan,
alles geschieht seitens der Regierung, seitens des Bundesrath, seitens des
Ministeriums, seitens des Magistrats, seitens der Polizeidirektion u. s. f.
Es giebt Zeitungsspakten, worin man das Wort zwanzigmnl finden kann, es
wird einem ganz schlimm und übel dabei. Auch der Theaterkritiker schreibt:
Es liegt darin etwas Verletzendes, auch wenn solches weder seitens des
Dichters, noch seitens der Darsteller beabsichtigt sein sollte; das Stück
wurde seitens des Publikums einstimmig abgelehnt. Für den garstigen
Gleichklang, der entsteht, wenn hinter seitens um immer wieder Genetive
ans —s kommen, für dieses unaufhörliche Gezisch haben die Menschen wieder
kein Ohr. Wenn ja einmal abgewechselt werden soll, auf das einfache und
vernünftige von oder gar auf das Aktivum verfällt der Zeitungsschreiber ganz
gewiß nicht; dann schreibt er: englischerseits, päpstlicherseits, mini-
steriellerseits, regierungsseitig (!)> Einzelne Tierärzte machen darauf
aufmerksam — die Gegner der Juden behaupten — pfui, wie simpel! Der
Zeitungsschreiber sagt: Tierürztlicherseits wird darauf aufmerksam gemacht —
antisemitischerseits wird behauptet. Das klingt doch nach was!

Damit ist aber der Wirkungskreis dieses herrlichen Wortes noch lange
nicht erschöpft; das Tollste kommt noch. Das schöne seitens wird nämlich
nicht nUr mit Verden, sondern auch mit Substantiven verbunden. Da schreibt
man: die Beitrüge zur Unfallversicherung seitens der Arbeitshcrreu — die
Vorführung eines Spritzenzuges seitens des Branddirektors — die Über¬
gänge der Parese seitens der Nordarmee — die allgemeine Benutzung der
Lebensversicherung seitens der ärmern Bevölkerungsklassen — die Besitznahme
dieses Küstengebietes am Mittelmeere seitens der Franzosen — der schädigende
Einfluß der Verletzung der Glaubenspflichten seitens eines Kirchenmitgliedes —
das Dementi der Nachricht von der Audienz des Herrn von Helldorff beim
Kaiser seitens der Konservativen Korrespondenz — Zeitungen wie neue Bücher
sind jetzt voll von solchen greulichen Verbindungen! Ja, wie soll man sie
denn aber vermeiden? In allen diesen Beispielen ist doch ohne seitens garnicht
auszukommen, nicht wahr? Wie sind denn unsre Vorfahren ohne das herrliche
Wort ausgekommen? Nun, entweder durch vernünftige Wortstellung: die Bei-


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[0330] Allerhand Sprachdnminheilen Die kleinen Pfennignvtizen der Lokalreporter fangen gewöhnlich gleich damit an, und wenn dies nicht der Fall ist, dann stehts gewiß auf der zweiten oder dritten Zeile. Ein Reporter ist nicht imstande, eine Notiz von fünf Zeilen abzufassen ohne seitens. Da er völlig unfähig ist, einen Vorgang, ein Er¬ eignis im Aktivum mitzuteilen, da er alles im Passionen erzählt, sodaß das Objekt zum Subjekt wird und das Subjekt zum äußerlichen Agens, von beim Passionen ihm aber gänzlich unbekannt geworden ist, so kann er thatsächlich nicht die kleinste Mitteilung mehr machen ohne seitens. Die Regierung, der Bundesrat, das Ministerium, der Magistrat, die Pvlizeidirektion, das Stadt¬ verordnetenkollegium — sie alle thun nichts mehr, sondern alles wird gethan, alles geschieht seitens der Regierung, seitens des Bundesrath, seitens des Ministeriums, seitens des Magistrats, seitens der Polizeidirektion u. s. f. Es giebt Zeitungsspakten, worin man das Wort zwanzigmnl finden kann, es wird einem ganz schlimm und übel dabei. Auch der Theaterkritiker schreibt: Es liegt darin etwas Verletzendes, auch wenn solches weder seitens des Dichters, noch seitens der Darsteller beabsichtigt sein sollte; das Stück wurde seitens des Publikums einstimmig abgelehnt. Für den garstigen Gleichklang, der entsteht, wenn hinter seitens um immer wieder Genetive ans —s kommen, für dieses unaufhörliche Gezisch haben die Menschen wieder kein Ohr. Wenn ja einmal abgewechselt werden soll, auf das einfache und vernünftige von oder gar auf das Aktivum verfällt der Zeitungsschreiber ganz gewiß nicht; dann schreibt er: englischerseits, päpstlicherseits, mini- steriellerseits, regierungsseitig (!)> Einzelne Tierärzte machen darauf aufmerksam — die Gegner der Juden behaupten — pfui, wie simpel! Der Zeitungsschreiber sagt: Tierürztlicherseits wird darauf aufmerksam gemacht — antisemitischerseits wird behauptet. Das klingt doch nach was! Damit ist aber der Wirkungskreis dieses herrlichen Wortes noch lange nicht erschöpft; das Tollste kommt noch. Das schöne seitens wird nämlich nicht nUr mit Verden, sondern auch mit Substantiven verbunden. Da schreibt man: die Beitrüge zur Unfallversicherung seitens der Arbeitshcrreu — die Vorführung eines Spritzenzuges seitens des Branddirektors — die Über¬ gänge der Parese seitens der Nordarmee — die allgemeine Benutzung der Lebensversicherung seitens der ärmern Bevölkerungsklassen — die Besitznahme dieses Küstengebietes am Mittelmeere seitens der Franzosen — der schädigende Einfluß der Verletzung der Glaubenspflichten seitens eines Kirchenmitgliedes — das Dementi der Nachricht von der Audienz des Herrn von Helldorff beim Kaiser seitens der Konservativen Korrespondenz — Zeitungen wie neue Bücher sind jetzt voll von solchen greulichen Verbindungen! Ja, wie soll man sie denn aber vermeiden? In allen diesen Beispielen ist doch ohne seitens garnicht auszukommen, nicht wahr? Wie sind denn unsre Vorfahren ohne das herrliche Wort ausgekommen? Nun, entweder durch vernünftige Wortstellung: die Bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/330>, abgerufen am 23.07.2024.