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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte von dein kranken Aönigssohne

so uns Plutarch, Valerius n, a. gezeiget, geblieben, um die heroische Bezeigimg
des Seleucus bei seiner väterlichen Liebe desto deutlicher darzustellen." Er
führt auch das Beispiel des Don Carlos an, um zu zeigen, daß die Liebe eines
Stiefsohnes zu seiner Stiefmutter nichts ungewöhnliches sei. Dabei hat er
sich die wesentlichsten Motive des Assarino angeeignet, wiewohl er die gegen
das Leben des Seleucus gerichtete Intrigue ausscheidet. Zum Ersatz hat er ein
Paar Erfindungen eignen Wachstums hinzugethan, vor alleu einen breit ausge¬
führten Liebeshandel, der darin besteht, daß der Schatzmeister Demetrius durch
die Künste der in der Zauberei erfahrenen Mirtcnia seiner Gattin untreu zu
werden verleitet wird. Das giebt Gelegenheit zu Verwandlungen und phan¬
tastischen Szenen, wie sie dem Geschmack der damaligen Zeit zusagten, während
anderseits der Diener und Helfershelfer der Mirtcnia die Rolle der unentbehr¬
lichen komischen Person spielt. Beide Handlungen berühren sich nur in einem
Punkte, da nämlich, wo das Machtgebot deS Seleucus den treulosen Gatten
zu seiner Pflicht zurückruft und die Verführerin Mirtenia als Gemahlin dein
in den Fürstenstand erhobenen Erasistratus zuspricht, obwohl dieser eben erst,
um den König in der oft erwähnten Weise zu fangen, von seiner Gattin -- hier
Egeria genannt -- gesprochen hat. Übrigens hat der Dichter sich angelegen
sein lassen, die lyrischen Züge seines Vorwurfs entsprechend der Natur der vou
ihm gewählten Dichtungsart nach Möglichkeit herauszutreiben, wie er denn
auch -- ähnlich wie Hallmann -- für jähen Wechsel der Stimmungen sorgt.

In seiner Vorrede erwähnt Feind auch den Talander aus Halle als Dichter
eines Autivchusdramas. Aber die Werke des Talander sind selten geworden,
und ich habe es unterlassen, ans den Hallischen Poeten zu fahnden, weil ich
glaubte, seine Bearbeitung könne nicht viel neues bieten.*) So bleibt den"
uur noch das Kasseler Bild übrig.

Es ist das Kolossalgemülde des Venetianers Andrea Celesti (1637 -1704)/' *)
das aus lebensgroßen Figuren besteht. Wer es ansieht, wird sich sofort an
das Goethische Phantasiegemälde aus "Wilhelm Meister" erinnern, nur das;
der König nicht am Fußende des Bettes sich abhärmt, sondern um Kopfende
jenseits des Bettes über den Kranken gebeugt und ihn mit der einen Hand
umfassend dasteht. Dagegen tritt Stratvniea ein paar Murmvrstnfen herunter
>n das Krankenzimmer ein, den Oberkörper ein wenig vorgebeugt, die linke
Hand herabhängend, die rechte aufs Herz gelegt und in Haltung und Ausdruck




Ein kurzer Bericht unsrer Geschichte nebst einem lehrreichen Spruch findet sich auch
>n Hammers Historischen Rosengarten (Zwickau, 1664) und, wie ich aus OcsterleyS Ausgabe
von Kirchhoffs Wenduumut ersehe, auch in Belle-ForZsts Bearbeitung der llors <Il revros-lions
des Guicciardini. Aber much dieses Buch ist mir nicht zugänglich gewesen. In dem Original
Stube ich die gesuchte Erzählung nicht.
1639 nach dem Kasseler Katalog, IW7 nach Woltmann und Wormann, Geschichte
der Malerei, Bd, 111.
Zur Geschichte von dein kranken Aönigssohne

so uns Plutarch, Valerius n, a. gezeiget, geblieben, um die heroische Bezeigimg
des Seleucus bei seiner väterlichen Liebe desto deutlicher darzustellen." Er
führt auch das Beispiel des Don Carlos an, um zu zeigen, daß die Liebe eines
Stiefsohnes zu seiner Stiefmutter nichts ungewöhnliches sei. Dabei hat er
sich die wesentlichsten Motive des Assarino angeeignet, wiewohl er die gegen
das Leben des Seleucus gerichtete Intrigue ausscheidet. Zum Ersatz hat er ein
Paar Erfindungen eignen Wachstums hinzugethan, vor alleu einen breit ausge¬
führten Liebeshandel, der darin besteht, daß der Schatzmeister Demetrius durch
die Künste der in der Zauberei erfahrenen Mirtcnia seiner Gattin untreu zu
werden verleitet wird. Das giebt Gelegenheit zu Verwandlungen und phan¬
tastischen Szenen, wie sie dem Geschmack der damaligen Zeit zusagten, während
anderseits der Diener und Helfershelfer der Mirtcnia die Rolle der unentbehr¬
lichen komischen Person spielt. Beide Handlungen berühren sich nur in einem
Punkte, da nämlich, wo das Machtgebot deS Seleucus den treulosen Gatten
zu seiner Pflicht zurückruft und die Verführerin Mirtenia als Gemahlin dein
in den Fürstenstand erhobenen Erasistratus zuspricht, obwohl dieser eben erst,
um den König in der oft erwähnten Weise zu fangen, von seiner Gattin — hier
Egeria genannt — gesprochen hat. Übrigens hat der Dichter sich angelegen
sein lassen, die lyrischen Züge seines Vorwurfs entsprechend der Natur der vou
ihm gewählten Dichtungsart nach Möglichkeit herauszutreiben, wie er denn
auch — ähnlich wie Hallmann — für jähen Wechsel der Stimmungen sorgt.

In seiner Vorrede erwähnt Feind auch den Talander aus Halle als Dichter
eines Autivchusdramas. Aber die Werke des Talander sind selten geworden,
und ich habe es unterlassen, ans den Hallischen Poeten zu fahnden, weil ich
glaubte, seine Bearbeitung könne nicht viel neues bieten.*) So bleibt den»
uur noch das Kasseler Bild übrig.

Es ist das Kolossalgemülde des Venetianers Andrea Celesti (1637 -1704)/' *)
das aus lebensgroßen Figuren besteht. Wer es ansieht, wird sich sofort an
das Goethische Phantasiegemälde aus „Wilhelm Meister" erinnern, nur das;
der König nicht am Fußende des Bettes sich abhärmt, sondern um Kopfende
jenseits des Bettes über den Kranken gebeugt und ihn mit der einen Hand
umfassend dasteht. Dagegen tritt Stratvniea ein paar Murmvrstnfen herunter
>n das Krankenzimmer ein, den Oberkörper ein wenig vorgebeugt, die linke
Hand herabhängend, die rechte aufs Herz gelegt und in Haltung und Ausdruck




Ein kurzer Bericht unsrer Geschichte nebst einem lehrreichen Spruch findet sich auch
>n Hammers Historischen Rosengarten (Zwickau, 1664) und, wie ich aus OcsterleyS Ausgabe
von Kirchhoffs Wenduumut ersehe, auch in Belle-ForZsts Bearbeitung der llors <Il revros-lions
des Guicciardini. Aber much dieses Buch ist mir nicht zugänglich gewesen. In dem Original
Stube ich die gesuchte Erzählung nicht.
1639 nach dem Kasseler Katalog, IW7 nach Woltmann und Wormann, Geschichte
der Malerei, Bd, 111.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/299>, abgerufen am 23.07.2024.