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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Vorabend der Vermählung zu Gunsten seines Sohnes ans die verlobte Breme,
und dieser sträubt sich, das Opfer anzunehmen, wiewohl es mehr als das Gluck
seines Lebens bedeutet. Stratouica bekämpft ihre Liebe zum Antiochus und
bereitet sich vor, an der Seite des alternden Königs ein Leben voll entsagender
Pflichterfüllung zu führen, Tigranes ist bereit, sür das Glück des Antiochus
zu sterben, und quält sich uur darüber, daß er, wie er glauben muß, die Schuld
an dessen Liebesleid trägt. Zum Glück hat Arsinoe ihren eignen Kopf, sonst
wäre das Stück gar nicht zustande gekommen. Aber ihre Pfiffigkeit ausge¬
nommen wüßte man auch von ihr nichts zu sagen, als daß sie eine Dame
der seinen Gesellschaft ist. Bei allen Personen des Stückes hat man nicht
selten den Eindruck, als ob sie uicht ihre eiguen Gefühle vortrügen, sondern
ein Pensum hersagten, das ihnen der Dichter vorgeschrieben hat.

Corneilles Stück, heute längst vergessen, muß seiner Zeit auch außerhalb
Frankreichs gefallen haben. Dafür spricht wenigstens die Thatsache, daß sich
eine Übersetzung davon in der "Schaubühne der englischen und französischen
Comödianten" findet, einer Sammlung, die im Jahre 1670 in Frankfurt a. M.
erschienen ist. Die Alexandriner des Orginals sind in Prosa aufgelöst. Im
übrigen folgt der Übersetzer getreulich seiner Vorlage, ohne sich sklavisch zu
binden. Er schreibt in dem steifleinenen Perückenstil des siebzehnten Jahrhunderts,
der sogenannten " 1". ruoäo-Sprache, und das Nachbild nimmt sich gegen das
Original gehalten aus wie ein roher Holzschnitt gegenüber einen feinem Kupfer¬
stich. In der Anrede herrscht, wie auch in Hallmanns Drama, der aus dem
Italienischen stammende Gebrauch der dritten Person, und die Sprache ist mit
Fremdwörtern reichlich verziert, wenn auch nicht geradezu überladen. An
einigen Eigenheiten des Sprachgebrauchs merkt man, daß der Verfasser ein
Süddeutscher war.

Wer da weiß, wie beliebt in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts
wie anderswo, so auch in Deutschland die Oper war, wird sich nicht wundern,
daß die Geschichte von dein liebeskranken Prinzen auch für die musikalische Dar¬
stellung zurecht gemacht wurde. Das hat Barthold Feind gethan, ein Ham¬
burger von Geburt, dessen Name in den größern Litteraturgeschichten auch jetzt
noch genannt wird. Seine gesammelten Werke sind erschienen in Stade 170L,
und es befinden sich darunter fünf Singspiele, unter andern auch das uus hier
angehende: I/ÄNior<z aininalg-to, die kränkende Liebe oder: Antiochus und
Stratoniea.

Feind kennt den Assarino und den Corneille Aber die Erfindungen des
letztern lehnt er ab, indem er in der Einleitung zu seinem Stücke bemerkt, er
habe es nicht für nötig befunden, die Stratoniea nach dem Vorgange des franzö¬
sischen Dichters als Verlobte des Seleucus einzuführen, weil "diese Länder,"
d. h. der protestantische Norden Deutschlands, hinlänglich von dem Aberglauben,
daß die Ehe ein Sakrament sei, gesäubert seien. Er sei also "bei den Umständen,


Vorabend der Vermählung zu Gunsten seines Sohnes ans die verlobte Breme,
und dieser sträubt sich, das Opfer anzunehmen, wiewohl es mehr als das Gluck
seines Lebens bedeutet. Stratouica bekämpft ihre Liebe zum Antiochus und
bereitet sich vor, an der Seite des alternden Königs ein Leben voll entsagender
Pflichterfüllung zu führen, Tigranes ist bereit, sür das Glück des Antiochus
zu sterben, und quält sich uur darüber, daß er, wie er glauben muß, die Schuld
an dessen Liebesleid trägt. Zum Glück hat Arsinoe ihren eignen Kopf, sonst
wäre das Stück gar nicht zustande gekommen. Aber ihre Pfiffigkeit ausge¬
nommen wüßte man auch von ihr nichts zu sagen, als daß sie eine Dame
der seinen Gesellschaft ist. Bei allen Personen des Stückes hat man nicht
selten den Eindruck, als ob sie uicht ihre eiguen Gefühle vortrügen, sondern
ein Pensum hersagten, das ihnen der Dichter vorgeschrieben hat.

Corneilles Stück, heute längst vergessen, muß seiner Zeit auch außerhalb
Frankreichs gefallen haben. Dafür spricht wenigstens die Thatsache, daß sich
eine Übersetzung davon in der „Schaubühne der englischen und französischen
Comödianten" findet, einer Sammlung, die im Jahre 1670 in Frankfurt a. M.
erschienen ist. Die Alexandriner des Orginals sind in Prosa aufgelöst. Im
übrigen folgt der Übersetzer getreulich seiner Vorlage, ohne sich sklavisch zu
binden. Er schreibt in dem steifleinenen Perückenstil des siebzehnten Jahrhunderts,
der sogenannten » 1«. ruoäo-Sprache, und das Nachbild nimmt sich gegen das
Original gehalten aus wie ein roher Holzschnitt gegenüber einen feinem Kupfer¬
stich. In der Anrede herrscht, wie auch in Hallmanns Drama, der aus dem
Italienischen stammende Gebrauch der dritten Person, und die Sprache ist mit
Fremdwörtern reichlich verziert, wenn auch nicht geradezu überladen. An
einigen Eigenheiten des Sprachgebrauchs merkt man, daß der Verfasser ein
Süddeutscher war.

Wer da weiß, wie beliebt in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts
wie anderswo, so auch in Deutschland die Oper war, wird sich nicht wundern,
daß die Geschichte von dein liebeskranken Prinzen auch für die musikalische Dar¬
stellung zurecht gemacht wurde. Das hat Barthold Feind gethan, ein Ham¬
burger von Geburt, dessen Name in den größern Litteraturgeschichten auch jetzt
noch genannt wird. Seine gesammelten Werke sind erschienen in Stade 170L,
und es befinden sich darunter fünf Singspiele, unter andern auch das uus hier
angehende: I/ÄNior<z aininalg-to, die kränkende Liebe oder: Antiochus und
Stratoniea.

Feind kennt den Assarino und den Corneille Aber die Erfindungen des
letztern lehnt er ab, indem er in der Einleitung zu seinem Stücke bemerkt, er
habe es nicht für nötig befunden, die Stratoniea nach dem Vorgange des franzö¬
sischen Dichters als Verlobte des Seleucus einzuführen, weil „diese Länder,"
d. h. der protestantische Norden Deutschlands, hinlänglich von dem Aberglauben,
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[0298] Vorabend der Vermählung zu Gunsten seines Sohnes ans die verlobte Breme, und dieser sträubt sich, das Opfer anzunehmen, wiewohl es mehr als das Gluck seines Lebens bedeutet. Stratouica bekämpft ihre Liebe zum Antiochus und bereitet sich vor, an der Seite des alternden Königs ein Leben voll entsagender Pflichterfüllung zu führen, Tigranes ist bereit, sür das Glück des Antiochus zu sterben, und quält sich uur darüber, daß er, wie er glauben muß, die Schuld an dessen Liebesleid trägt. Zum Glück hat Arsinoe ihren eignen Kopf, sonst wäre das Stück gar nicht zustande gekommen. Aber ihre Pfiffigkeit ausge¬ nommen wüßte man auch von ihr nichts zu sagen, als daß sie eine Dame der seinen Gesellschaft ist. Bei allen Personen des Stückes hat man nicht selten den Eindruck, als ob sie uicht ihre eiguen Gefühle vortrügen, sondern ein Pensum hersagten, das ihnen der Dichter vorgeschrieben hat. Corneilles Stück, heute längst vergessen, muß seiner Zeit auch außerhalb Frankreichs gefallen haben. Dafür spricht wenigstens die Thatsache, daß sich eine Übersetzung davon in der „Schaubühne der englischen und französischen Comödianten" findet, einer Sammlung, die im Jahre 1670 in Frankfurt a. M. erschienen ist. Die Alexandriner des Orginals sind in Prosa aufgelöst. Im übrigen folgt der Übersetzer getreulich seiner Vorlage, ohne sich sklavisch zu binden. Er schreibt in dem steifleinenen Perückenstil des siebzehnten Jahrhunderts, der sogenannten » 1«. ruoäo-Sprache, und das Nachbild nimmt sich gegen das Original gehalten aus wie ein roher Holzschnitt gegenüber einen feinem Kupfer¬ stich. In der Anrede herrscht, wie auch in Hallmanns Drama, der aus dem Italienischen stammende Gebrauch der dritten Person, und die Sprache ist mit Fremdwörtern reichlich verziert, wenn auch nicht geradezu überladen. An einigen Eigenheiten des Sprachgebrauchs merkt man, daß der Verfasser ein Süddeutscher war. Wer da weiß, wie beliebt in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts wie anderswo, so auch in Deutschland die Oper war, wird sich nicht wundern, daß die Geschichte von dein liebeskranken Prinzen auch für die musikalische Dar¬ stellung zurecht gemacht wurde. Das hat Barthold Feind gethan, ein Ham¬ burger von Geburt, dessen Name in den größern Litteraturgeschichten auch jetzt noch genannt wird. Seine gesammelten Werke sind erschienen in Stade 170L, und es befinden sich darunter fünf Singspiele, unter andern auch das uus hier angehende: I/ÄNior<z aininalg-to, die kränkende Liebe oder: Antiochus und Stratoniea. Feind kennt den Assarino und den Corneille Aber die Erfindungen des letztern lehnt er ab, indem er in der Einleitung zu seinem Stücke bemerkt, er habe es nicht für nötig befunden, die Stratoniea nach dem Vorgange des franzö¬ sischen Dichters als Verlobte des Seleucus einzuführen, weil „diese Länder," d. h. der protestantische Norden Deutschlands, hinlänglich von dem Aberglauben, daß die Ehe ein Sakrament sei, gesäubert seien. Er sei also „bei den Umständen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/298>, abgerufen am 23.07.2024.