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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Phonetik

müsse, so sagte man, so schnell wie möglich Wandel schaffen, man müsse ein
größeres Gewicht ans diese Seite des Unterrichtes legen, denn es sei unver¬
zeihlich, bei einer lebenden Sprache die Aussprache in so arger Weise zu ver¬
nachlässigen. Der Nvrwurf war in der That gerechtfertigt, aber es war ebenso
leicht, ihn zu erheben, als es schwer war, Abhilfe zu schaffen. Nicht jeder,
der Unterricht in den neuern Sprachen erteilte, war in der glücklichen Lage ge¬
wesen, einige Zeit im Auslande zuzubringen oder sich in Deutschland bei Aus¬
ländern Rats zu erholen. Nicht jeder, der wirklich bei Franzosen und Eng¬
ländern gewesen war, hatte anch die Fähigkeit gehabt, die fremden Laute richtig
aufzufassen. Gab es uun in zweifelhaftem Fällen wirklich ein Buch, das uns
genügende Auskunft Hütte erteilen können?

Wir köunen diese Frage heute unbedenklich mit nein beantworten. Es
waren allerdings einzelne Werke da, die sich eingehend mit französischer und
englischer Aussprache beschäftigten, aber einige davon waren in der Einleitung
schon aufrichtig genug, zu gestehen, daß man sich bei ihnen Wohl über das und
jenes unterrichten könne, daß es aber vieles andre gebe, "was gar nicht ohne
mündliche Überlieferung gelehrt werden könne." Der letzte Suez war um zwar
für die damalige Zeit, aber nicht an und für sich richtig, und heute kann man
getrost behaupten, daß die Aufgabe gelöst sei; ja es klingt gar nicht absonderlich
wehr, zu sagen, daß man unter gewissen Umständen die Laute der fremden
Sprache ebenso gut, wenn nicht oft noch besser ans Büchern als durch dem
Umgang mit Ausländern selbst erlerne:? könne. Es ist die alte Geschichte vom
El des Kolumbus. Jetzt, wo man die Sache am richtigen Ende angefaßt hat,
erscheint es einem wunderbar, daß man nicht schon lauge auf deu an und für
^es so einfachen Gedanken gekommen ist.

Es giebt Leute, die ein bewundernswertes Nachahmungstalent besitzen.
Sie sind imstande, die Rede eines andern täuschend nachzumachen, alle Eigen¬
tümlichkeiten, das Anstoßen mit der Zunge, das näseln, das Sprechen mit
^dicker Zunge," den Tonfall, die Klangfarbe u. s. w. muss genauste wieder¬
gegeben. Es ist einleuchtend, daß solche Leute besonders geeignet sind, auch
le Laute einer fremden Sprache zu erfassen. Aber die wenigsten Menschen
^'sitzen von Natur diese Fähigkeit, und selbst die, die jahrelang im Auslande
gewesen sind, bieten nicht immer die Gewähr, daß sie auch ordentlich gesehen
und gehört haben.

Hier setzt nun die Phonetik ein. Dus, was einzelne besonders begabte
^atureu ohne weiteres vermögen, dazu will sie uns durch Schulung verhelfen,
^e beschäftigt sich eingehend mit der Hervorbringung und dem Klänge der
^"nee, sie giebt uns an, welche Organe bei der Lautbildung in Betracht
armen, welche Stellung die Zunge, die Lippen, das Gaumensegel u. s. w. bei
en einzelnen Lauten einnehmen, wie sich die Stimmbänder dabei verhalten,
^ sie vermag sogar die Rede musikalisch zu bestimmen und uns zu sagen,


Phonetik

müsse, so sagte man, so schnell wie möglich Wandel schaffen, man müsse ein
größeres Gewicht ans diese Seite des Unterrichtes legen, denn es sei unver¬
zeihlich, bei einer lebenden Sprache die Aussprache in so arger Weise zu ver¬
nachlässigen. Der Nvrwurf war in der That gerechtfertigt, aber es war ebenso
leicht, ihn zu erheben, als es schwer war, Abhilfe zu schaffen. Nicht jeder,
der Unterricht in den neuern Sprachen erteilte, war in der glücklichen Lage ge¬
wesen, einige Zeit im Auslande zuzubringen oder sich in Deutschland bei Aus¬
ländern Rats zu erholen. Nicht jeder, der wirklich bei Franzosen und Eng¬
ländern gewesen war, hatte anch die Fähigkeit gehabt, die fremden Laute richtig
aufzufassen. Gab es uun in zweifelhaftem Fällen wirklich ein Buch, das uns
genügende Auskunft Hütte erteilen können?

Wir köunen diese Frage heute unbedenklich mit nein beantworten. Es
waren allerdings einzelne Werke da, die sich eingehend mit französischer und
englischer Aussprache beschäftigten, aber einige davon waren in der Einleitung
schon aufrichtig genug, zu gestehen, daß man sich bei ihnen Wohl über das und
jenes unterrichten könne, daß es aber vieles andre gebe, „was gar nicht ohne
mündliche Überlieferung gelehrt werden könne." Der letzte Suez war um zwar
für die damalige Zeit, aber nicht an und für sich richtig, und heute kann man
getrost behaupten, daß die Aufgabe gelöst sei; ja es klingt gar nicht absonderlich
wehr, zu sagen, daß man unter gewissen Umständen die Laute der fremden
Sprache ebenso gut, wenn nicht oft noch besser ans Büchern als durch dem
Umgang mit Ausländern selbst erlerne:? könne. Es ist die alte Geschichte vom
El des Kolumbus. Jetzt, wo man die Sache am richtigen Ende angefaßt hat,
erscheint es einem wunderbar, daß man nicht schon lauge auf deu an und für
^es so einfachen Gedanken gekommen ist.

Es giebt Leute, die ein bewundernswertes Nachahmungstalent besitzen.
Sie sind imstande, die Rede eines andern täuschend nachzumachen, alle Eigen¬
tümlichkeiten, das Anstoßen mit der Zunge, das näseln, das Sprechen mit
^dicker Zunge," den Tonfall, die Klangfarbe u. s. w. muss genauste wieder¬
gegeben. Es ist einleuchtend, daß solche Leute besonders geeignet sind, auch
le Laute einer fremden Sprache zu erfassen. Aber die wenigsten Menschen
^'sitzen von Natur diese Fähigkeit, und selbst die, die jahrelang im Auslande
gewesen sind, bieten nicht immer die Gewähr, daß sie auch ordentlich gesehen
und gehört haben.

Hier setzt nun die Phonetik ein. Dus, was einzelne besonders begabte
^atureu ohne weiteres vermögen, dazu will sie uns durch Schulung verhelfen,
^e beschäftigt sich eingehend mit der Hervorbringung und dem Klänge der
^"nee, sie giebt uns an, welche Organe bei der Lautbildung in Betracht
armen, welche Stellung die Zunge, die Lippen, das Gaumensegel u. s. w. bei
en einzelnen Lauten einnehmen, wie sich die Stimmbänder dabei verhalten,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/29>, abgerufen am 03.07.2024.