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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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welche Höhe der >ab jener Laut hat. Endlich lehrt sie uns anch, daß jede
Sprache, ja jede Mundart ihre besondre "Artikulationsbafiö" hat, und daß
man diese bestandig festhalten muß, wenn man die fremden Laute in ihrer
eigentümlichen Farbe wiedergeben will.

Der letzte Punkt ist außerordentlich interessant. Hört man einen Eng¬
länder reden, so wird einen: sogleich der eigentümlich dumpfe Klang nnffallen.
Bei näherer Untersuchung stellt sich heraus, daß dieser von der Eigentünilich-
keit der Artikulationsbasis, das heißt von der eigentümlichen Lagerung der
Zunge und dem Verhalten der Lippen herrührt. Beim Sprechen zieht der
Engländer die Zunge zurück, verbreitert sie und richtet die Zungenspitze von
den Schneidezähnen ab nach oben. Die Lippen bewegt er dabei so wenig als
möglich, und sein Gesicht erhält dadurch jenen trägen, lässigen Ausdruck, der
uns so oft -- aber ganz mit Unrecht -- als ein Zeichen der Vlasirtheit er¬
scheint. Das reine Gegenteil davon ist der Franzose. Infolge des Vorschiebens
der Zunge hat er viele helle Laute, und seine Lippen bewegen sich so kräftig,
daß schon allein dadurch seine Rede etwas ungemein lebhaftes erhält. Wir
Deutschen stehen in dieser Hinsicht ungefähr in der Mitte, wenn sich auch in
den Mundarten große Verschiedenheiten zeigen. "In der mir geläufigen nieder-
hessischen Mundart -- sagt Siepers (Grundzüge der Phonetik, S. 83), -- artikulirt
die Zunge schlaff und mit möglichst geringer Anspannung aller ihrer Teile,
auch die Kehlkopfartikulation ist wenig energisch. Um dagegen den richtigen
Klangcharakter der sächsischen Mundarten (natürlich abgesehen von den Ver¬
schiedenheiten des Lautsystems) zu treffen, muß die ganze Zunge nngestrafft
werden und der Kehlkopf bei stärkeren Exspirationsdruck energischer nrtiknlireu.
Daher macht auch diese Mundart einen harten, etwas schreienden Eindruck
gegenüber dem dumpfen, fast verdrossen und teilnahmlos zu nennenden Charakter
der hessischem Mundart." Hat man die einer Sprache oder Mundart eigen¬
tümliche Artikulationsbasis einmal gefunden, und versteht man sie festzuhalten, so
entstehen die charakteristischen Lautschattirungen gleichsam von selbst. Es folgt
hieraus, daß beim Erlernen einer fremden Sprache gerade auf diese Eigentüm¬
lichkeit ein besondres Gewicht zu legen ist. Das Erlernen der richtigen Aus¬
sprache ist übrigens nicht schwerer als das einer schlechten. Man kann z. B.
die Artikulationsbasis zuerst am Deutschen üben, da ja natürlich in den ersten
Stunden das fremde Material nicht in genügender Menge sich darbietet. Die
Schiller gewöhnen sich außerordentlich schnell daran, und sie lernen beiläufig
für ihre Deklamationsülmngen, für das Lesen mit verteilten Rollen u. s. w.,
wie man mit einfachen Mitteln der Rede einer Person eine ganz andre Färbung
geben und dadurch eine bunte Mannichfaltigkeit herbeiführe": kann.

Aber mit dieser Artikulationsbasis allein würde noch nicht viel gewonnen
sein, wenn es nicht gelungen wäre, auch die einzelnen Laute näher zu be¬
stimmen und für jeden einen festen Wert zu gewinnen. Und dies geschieht


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welche Höhe der >ab jener Laut hat. Endlich lehrt sie uns anch, daß jede
Sprache, ja jede Mundart ihre besondre „Artikulationsbafiö" hat, und daß
man diese bestandig festhalten muß, wenn man die fremden Laute in ihrer
eigentümlichen Farbe wiedergeben will.

Der letzte Punkt ist außerordentlich interessant. Hört man einen Eng¬
länder reden, so wird einen: sogleich der eigentümlich dumpfe Klang nnffallen.
Bei näherer Untersuchung stellt sich heraus, daß dieser von der Eigentünilich-
keit der Artikulationsbasis, das heißt von der eigentümlichen Lagerung der
Zunge und dem Verhalten der Lippen herrührt. Beim Sprechen zieht der
Engländer die Zunge zurück, verbreitert sie und richtet die Zungenspitze von
den Schneidezähnen ab nach oben. Die Lippen bewegt er dabei so wenig als
möglich, und sein Gesicht erhält dadurch jenen trägen, lässigen Ausdruck, der
uns so oft — aber ganz mit Unrecht — als ein Zeichen der Vlasirtheit er¬
scheint. Das reine Gegenteil davon ist der Franzose. Infolge des Vorschiebens
der Zunge hat er viele helle Laute, und seine Lippen bewegen sich so kräftig,
daß schon allein dadurch seine Rede etwas ungemein lebhaftes erhält. Wir
Deutschen stehen in dieser Hinsicht ungefähr in der Mitte, wenn sich auch in
den Mundarten große Verschiedenheiten zeigen. „In der mir geläufigen nieder-
hessischen Mundart — sagt Siepers (Grundzüge der Phonetik, S. 83), — artikulirt
die Zunge schlaff und mit möglichst geringer Anspannung aller ihrer Teile,
auch die Kehlkopfartikulation ist wenig energisch. Um dagegen den richtigen
Klangcharakter der sächsischen Mundarten (natürlich abgesehen von den Ver¬
schiedenheiten des Lautsystems) zu treffen, muß die ganze Zunge nngestrafft
werden und der Kehlkopf bei stärkeren Exspirationsdruck energischer nrtiknlireu.
Daher macht auch diese Mundart einen harten, etwas schreienden Eindruck
gegenüber dem dumpfen, fast verdrossen und teilnahmlos zu nennenden Charakter
der hessischem Mundart." Hat man die einer Sprache oder Mundart eigen¬
tümliche Artikulationsbasis einmal gefunden, und versteht man sie festzuhalten, so
entstehen die charakteristischen Lautschattirungen gleichsam von selbst. Es folgt
hieraus, daß beim Erlernen einer fremden Sprache gerade auf diese Eigentüm¬
lichkeit ein besondres Gewicht zu legen ist. Das Erlernen der richtigen Aus¬
sprache ist übrigens nicht schwerer als das einer schlechten. Man kann z. B.
die Artikulationsbasis zuerst am Deutschen üben, da ja natürlich in den ersten
Stunden das fremde Material nicht in genügender Menge sich darbietet. Die
Schiller gewöhnen sich außerordentlich schnell daran, und sie lernen beiläufig
für ihre Deklamationsülmngen, für das Lesen mit verteilten Rollen u. s. w.,
wie man mit einfachen Mitteln der Rede einer Person eine ganz andre Färbung
geben und dadurch eine bunte Mannichfaltigkeit herbeiführe»: kann.

Aber mit dieser Artikulationsbasis allein würde noch nicht viel gewonnen
sein, wenn es nicht gelungen wäre, auch die einzelnen Laute näher zu be¬
stimmen und für jeden einen festen Wert zu gewinnen. Und dies geschieht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/30>, abgerufen am 03.07.2024.